Ein Red-Bull-Erbe soll in Thailand mit einem Sportwagen einen tödlichen Unfall verursacht haben – und feiert trotzdem seit Jahren Partys, ohne dass ihm der Prozess gemacht wird. Der Ärger um den Justizskandal reisst nicht ab. Jetzt ermittelt ein Untersuchungsausschuss.

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Thailands Polizei und Justiz muss sich erhebliche Vorwürfe gefallen lassen: Im Juli hatte die Staatsanwaltschaft die Anklage wegen eines Unfalls mit Todesfolge gegen den Red-Bull-Erben Vorayuth Yoovidhya fallen gelassen – ohne Gründe dafür anzugeben. Jetzt beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuss mit dem Fall. Und der hat bereits eklatante Ermittlungsfehler festgestellt – möglicherweise wird der Unfallfahrer erneut angeklagt.

Mit einem 660-PS-Ferrari soll der Sohn einer der reichsten Familien des Landes im September 2012 einen Motorradpolizisten angefahren und mehr als 100 Meter mitgeschleift haben. Danach flüchtete der damals 27-Jährige vom Unfallort. Das Opfer, ein 47 Jahre alter Familienvater, brach sich das Genick und starb. Den schwer beschädigten Sportwagen parkte Yoovidhya am frühen Morgen offenbar vor der Villa seiner Familie – eine Spur aus Öl und Kühlflüssigkeit führte die Beamten vom Unfallort dorthin.

Der Grossvater des Unfallfahrers, Chaleo Yoovidhya, hatte gemeinsam mit dem Österreicher Dietrich Mateschitz das Unternehmen Red Bull gegründet. Ein halbes Jahr vor dem Unfall war er gestorben. Das Vermögen der Familie beträgt nach Schätzungen mehr als 20 Milliarden Dollar. Dieser Reichtum – davon sind viele Menschen in Thailand überzeugt – schützt Yoovidhya vor konsequenter Strafverfolgung.

Eklatante Ungleichbehandlungen bei Red-Bull-Erben

Die Öffentlichkeit ist auch deshalb so empört, weil andere Fälle zeigen, wie ungleich das Justizsystem ärmere Menschen behandelt: Ein Ehepaar etwa, das 2010 beim Sammeln von Pilzen in einem Nationalpark erwischt worden war, wurde der BBC zufolge dafür zunächst zu je 15 Jahren Haft verurteilt. Die Strafen wurden später auf fünf Jahre verkürzt. Der Vergleich zu dem Unfall mit tödlichem Ausgang und dessen absurdem juristischen Nachspiel wühlt viele Menschen in Thailand auf.

Zumal die politische Lage dort in diesen Tagen ohnehin sehr angespannt ist, wie Südostasien-Experte Wolfram Schaffar im Gespräch mit unserer Redaktion betont: "Neu ist eine studentische, pro-demokratische Bewegung, die starke Kritik an der Regierung übt." Der Professor am Asien-Orient-Institut der Universität Tübingen hält es durchaus für möglich, dass auch im Fall Yoovidhyas Druck von der Strasse entstanden ist.

Es gibt in Thailand definitiv eine Zwei-Klassen-Justiz, sagt Schaffar. Er beobachtet aber nicht nur die unterschiedliche Behandlung von armen im Vergleich zu reichen Menschen. Sondern auch eine Politisierung: "Die Justiz hat zum Beispiel in der Vergangenheit mehrere Parteien aufgelöst, die der Militärregierung und dem Königshaus unliebsam waren." So seien auch schon mehrfach Regierungswechsel erzwungen worden, zuletzt etwa 2014. Das Oberste Gericht hatte Premierministerin Yingluck Shinawatra wenige Tage vor dem Militärputsch von ihrem Amt enthoben. Die Justiz fungiere als Handlanger der Regierung, bedauert Schaffar. Und wer Richter öffentlich kritisiere, riskiere eine hohe Haftstrafe.

Vorayuth Yoovidhya: Flucht ins Partyleben

Vorayuth Yoovidhya wurde 2012 zwar zunächst wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und der Fahrerflucht verhaftet. Doch schon kurz darauf war er nach Zahlung einer Kaution in Höhe von 500.000 Baht (rund 12.500 Euro) wieder frei. Er flüchtete nach Singapur. Bei der Polizei gab zwar jemand anderes an, den Unfallwagen gesteuert zu haben. Diese Aussage stellte sich allerdings schnell als falsch heraus.

Immer wieder verpasste der Red-Bull-Erbe Anhörungen, erschien nicht, meldete sich krank. Die thailändischen Sicherheitskräfte gaben an, nicht zu wissen, in welchem Land er sich aufhält. Er wurde unter anderem in London gesehen. Doch bis zur Ausstellung des Haftbefehls soll er auch regelmässig für Partys der Bangkoker Rich-Kid-Szene nach Thailand eingereist sein.

Der Red-Bull-Erbe ist als Playboy bekannt und trägt den Spitznamen "Boss". "Er stürzt sich ins Nachtleben, lässt im Luxus-Hotel in Taiwan die Puppen tanzen, fliegt zum Snowboarden nach Japan und zeigt sich im Red-Bull-VIP-Zelt bei der Formel 1. Bilder von seinem tollen Leben teilt er auf Instagram und bei Facebook", schrieb das Magazin "Wizelife" 2017.

Erste Vorwürfe sind verjährt

Der Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung war schnell verjährt. Auch ein zweiter Anklagepunkt – weil er nicht anhielt, um dem Unfallopfer zu helfen – verjährte im September 2017. Erst im April desselben Jahres, also fast fünf Jahre nach dem Unfall, wurde überhaupt ein Haftbefehl ausgestellt – auch ein internationaler. Wieder flüchtete der Red-Bull-Erbe der "Bangkok Post" zufolge mit einem Privatjet.

Nur ein Vorwurf blieb bestehen: rücksichtsloses Fahren mit Todesfolge. Dafür drohten ihm bis zu zehn Jahre Haft – bis die Behörden im Juli 2020 die Anklagepunkte gegen den inzwischen 35-Jährigen fallen liessen.

Premierminister meldet sich zu Wort

Der Fall ist so brisant und der Druck der Öffentlichkeit inzwischen so hoch, dass sich auch Thailands Premierminister Prayut Chan-o-cha eingeschaltet hat. Er sei nicht damit einverstanden, wie es gelaufen ist. Viele Aspekte seien unklar geblieben. Der Fall Vorayuth Yoovidhya habe die Systeme von Gerechtigkeit und Gesetzen infrage gestellt und das Vertrauen der Öffentlichkeit in den gesamten Regierungssektor beeinträchtigt, zitiert ihn die "Bangkok Post". Der Premier forderte Transparenz und Aufklärung – und liess die Generalstaatsanwaltschaft dafür den Untersuchungsausschuss einsetzen.

Daraufhin ruderte etwa ein Ermittler wieder zurück: Er hatte zunächst angegeben, dass der Unfall bei 177 Kilometern pro Stunde passiert sei, später sprach er plötzlich nur noch von 80 Kilometern pro Stunde - nun kehrte er wieder zu seiner ursprünglichen Aussage zurück.

Einen wichtigen Zeugen, der Yoovidhya entlastet haben soll, kann der Untersuchungsausschuss jedoch nicht mehr befragen: Er ist Ende Juli bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen. Ob es wirklich ein Unfall war, daran bestehen allerdings Zweifel.

Zum Experten: Wolfram Schaffar ist Professor am Asien-Orient-Institut der Universität Tübingen. Bis 2008 hat er an Bangkoks Chulalongkorn-Universität Politikwissenschaft unterrichtet.

Verwendete Quellen

  • Gespräch mit Professor Wolfram Schaffar
  • Stern: Wer ist der Red-Bull-Erbe, der seit Jahren auf der Flucht ist?
  • BBC: Wanted Thai Red Bull heir Vorayuth not in Singapore
  • Der Farang: Erhebliche Ermittlungsmängel im Fall des Red-Bull-Erben
  • Bangkok Post: Prayut 'not OK' with past handling of 'Boss' case
  • Bangkok Post: Policeman U-turns in Boss case
  • Wizelife: Polizist (48) tot gefahren – Red-Bull-Erbe flüchtet sich ins Party-Ausland
  • Thailand-Tip: Schlüsselzeuge im Fall des Red-Bull-Erben kommt bei einem Unfall ums Leben
  • Deutsche Presse-Agentur
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