Schraubenzieher und Bettlaken – das sind die klassischen Utensilien für einen Gefängnisausbruch. Manche Häftlinge lassen mit ihrem Einfallsreichtum allerdings selbst MacGyver verblassen.

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Es klingt wie ein Szene aus einem Drehbuch: In Kleve befreit eine 22-Jährige ihren inhaftierten Komplizen, der auf einem Arztbesuch von Pflegern begleitet worden war. Das bewaffnete Pärchen flieht mit dem Auto und löst eine Grossfahndung der deutschen und niederländischen Polizei aus. Solche spektakulären Fluchtversuche sind selten geworden - die aktuell erhältlichen Zahlen weisen für das Jahr 2012 nur sechs Fluchtversuche im ganzen Bundesgebiet aus. 2000 waren es noch 73. Wir haben die aufsehenerregendsten Ausbrüche der vergangenen 30 Jahre für Sie zusammengefasst.

1978 – Ein Radio als Waffe

Ein Massenausbruch aus dem Verwahrhaus des Krankenhauses Göttingen hält die Polizei im Januar 1978 fünf Tage lang auf Trab: Acht Männer überwinden das vier Meter hohe Tor mit einem Gitter. Zuvor hatten sie mehrere Pfleger überwältigt, einer davon wird lebensgefährlich verletzt – von einer Stichwaffe, die sich der Häftling Peter S. aus dem Bügel seines Kofferradios gebastelt hatte.

Die Polizei fasst sechs der Gesuchten innerhalb von vier Tagen. Die letzten beiden stellen sich schliesslich bei einer Diskussionsveranstaltung der Universität Göttingen, wo sie Studenten um Hilfe bitten: "Wir wollen da nicht wieder rein. Wir wollen in ein Gefängnis, wo wir nicht immer nur Spritzen und Tabletten kriegen."

2004 – Mit dem Gabelstapler über die Mauer

Aus Erfahrung einfallsreich: Bei seiner sage und schreibe achten Flucht aus einem Gefängnis hievt sich der Schwerverbrecher Christian Bogner über die 5,50 Meter hohe Mauer der Haftanstalt Lübeck – mit einem Gabelstapler und einer Leiter, die er selbst in der Anstaltsschlosserei gebaut hatte. Auf der anderen Seite parkt ein Mercedes-Benz, den wahrscheinlich sein Bruder für ihn gemietet hatte. Er bringt Bogner auch mit dem Arbeitslosen Engelbert D. zusammen, dem er eine Arbeit verspricht – eine Falle. Bogner tötet den Mann, der ihm sehr ähnlich sieht, weil er dessen Identität annehmen und untertauchen will. Doch die Polizei schnappt Bogner vier Tage nach dem Ausbruch, er wird erneut verurteilt und sitzt nun in der Sicherheitsstation der JVA Oldenburg ein.

Es war wahrscheinlich nicht das erste Mal, dass Bogner einen Mann tötete, um unterzutauchen. 1995 lebte er mehrere Monate unter der Identität seines Schulfreundes Thomas Ranke in Rostock. Ranke war zuvor spurlos verschwunden, doch der Justiz fehlten die Beweise, um Bogner den Mord anzulasten.

Apropos Identität: Christian Bogner heisst eigentlich gar nicht Christian Bogner. Weil er 1993 aber mit der Justiz zusammenarbeitete, musste er seinen Namen ändern. Er hatte eine geplante Gefängnismeuterei in der JVA Celle verraten und wurde unter einer neuen Identität in ein anderes Gefängnis verlegt. Weil er gern Designerklamotten trägt, wählte er den Namen Bogner.

2006 – Der Müllmann

Nein, so etwas kommt nicht nur in Filmen vor: In Neuburg an der Donau gelangte ein Häftling tatsächlich im Müll in die Freiheit. Der Mann arbeitete in der JVA in einem Betrieb, in dem Müllcontainer in einen LKW entleert wurden. Eines Tages schmuggelte er sich einfach in den Wagen – weil das Personal nicht wie vorgesehen nach der Abfahrt die Vollzähligkeit der Gefangenen kontrollierte, blieb die Flucht unbemerkt.

2013 – Unter dem Schutz des Feuerwerks

Thomas S. wählt die klassische Methode für seinen Ausbruch: Mit einem Besenstiel, einem Tischbein und Tafelbesteck schlägt der Sexualstraftäter ein kleines Loch in die Wand seiner Zelle im dritten Stock der Hamburger Untersuchungshaftanstalt. Den Krach bemerkt niemand – denn gleichzeitig dröhnt über dem benachbarten Vergnügungsmarkt Hamburger Dom ein Feuerwerk. Der schmächtige Mann zwängt sich durch das nur kopfgrosse Loch und seilt sich mit einem Bettlaken an der Aussenwand ab. Den Alarm, den Thomas S. auslöst, hält das Wachpersonal für einen Fehlalarm, auf ihren Monitoren können sie nichts Auffälliges entdecken. Obwohl sich Thomas S. bei der Flucht offenbar verletzt hat und die Polizei die Blutspur hunderte Meter verfolgen kann, fehlt zunächst jede Spur von dem Flüchtigen. Erst vier Tage nach dem Ausbruch stellt ihn das Mobile Einsatzkommando im Hamburger Randbezirk Bergedorf.

2014 – Mit freundlichen Grüssen

Zwei Schwerverbrecher zersägen die Gitterstäbe, klettern über einen vier Meter hohen Zaun und unter Stacheldraht hindurch – so weit ist der Ausbruch von Metin M. und Ulrich Z. noch relativ unspektakulär. Doch als die Polizei die Zelle der Flüchtigen durchsucht, stösst sie auf eindeutige Hinweise auf Fluchtziele. "Wir überprüfen das, können aber nicht ausschliessen, dass die beiden uns an der Nase herumführen", sagte ein Ermittler. Wahrscheinlich eher Letzteres – denn die Beamten fanden auch einen Zettel von Ulrich Z., die nette Botschaft: "Muss noch was erledigen, komme in drei Wochen wieder."

Die Vorhersage erfüllte sich nicht ganz. Nach rund zweieinhalb Wochen nahm ihn die Polizei fest. Ulrich Z. hatte in einem Charlottenburger Hotel eingecheckt, gab sich als Tourist aus, trug einen rot gefärbten Bart und sprach extra gebrochenes Englisch. Doch die Mitarbeiter erkannten den Mann, der per Steckbrief gesucht wurde, und alarmierten die Polizei. Sein Komplize Metin M. hielt fast zwei Monate länger durch, obwohl auch er in Berlin blieb – er wurde schliesslich in Reinickendorf festgenommen.

Übrigens: Strafrechtlich belangt werden die Insassen für einen Gefängnisausbruch grundsätzlich nicht. Der Gesetzgeber erkennt den Drang nach Freiheit als Ausdruck der Persönlichkeit an. Allerdings begehen die Insassen und ihre Helfer im Zuge des Ausbruchs meist Straftaten wie Sachbeschädigung, Bestechung und Körperverletzung, für die sie natürlich belangt werden. Und auf eine frühzeitige Entlassung wegen guter Führung dürfen Flüchtige dann auch eher nicht hoffen.

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