In London geht ein aufsehenerregender Prozess zu Ende. Knapp eineinhalb Jahre nach dem Tod der zehnjährigen Sara Sharif ist klar: Ihr Vater und ihre Stiefmutter gehen für Jahrzehnte ins Gefängnis. Reue zeigten beide nicht.
Knapp eine Woche nach den Verurteilungen im Fall Sara Sharif ist in London das Strafmass bekannt gegeben worden. Urfan Sharif, Vater der ermordeten Zehnjährigen, erhielt eine lebenslange Freiheitsstrafe, von der er mindestens 40 Jahre absitzen muss. Seine Frau, Saras Stiefmutter Beinash Batool, wurde ebenfalls zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, von der sie mindestens 33 Jahre verbüssen muss.
Sara Sharifs Onkel Faisal Malik, der am 11. Dezember ebenfalls verurteilt worden war, muss für 16 Jahre hinter Gitter, wie die BBC berichtet. Ihm wurde zur Last gelegt, er habe zum Tod des Kindes beigetragen oder ihn zumindest nicht verhindert.
Der Fall Sara Sharif ist ein besonders gravierendes Beispiel für das Versagen von Polizei und Kinderschutzbehörden in Grossbritannien. Die Zehnjährige war am 8. August 2023 tot in der Wohnung ihrer Familie in Surrey südwestlich von London aufgefunden worden. Ihr Vater hatte sie zwei Tage zuvor umgebracht, nach einem jahrelangen Martyrium.
Richter John Cavanagh sagte in seiner Urteilsbegründung, Saras Tod sei "der Höhepunkt von jahrelanger Vernachlässigung" gewesen, "häufigen Übergriffen und etwas, das man nur als Folterung (von Sara) bezeichnen kann". Keiner der Angeklagten habe "auch nur einen Funken Reue" gezeigt.
Polizei, Schule und Kinderschutzbehörden griffen nicht ein
Sara Sharifs Familie war den Behörden seit Jahren bekannt. Das Mädchen lebte über die Jahre immer wieder in Pflegefamilien, bis im Jahr 2019 einige Zeit bei ihrer Mutter - dann entschied ein Jugendgericht, Sara solle wieder in die Obhut des Vaters gegeben werden.
Im Gerichtsverfahren vor dem Old Bailey in London wurde eine Zeitachse der Ereignisse aufgemalt. Demnach fiel im Juni 2022 Verantwortlichen in Saras Schule auf, dass sie blaue Flecken unter ihrem linken Auge hatte. Im März 2023 bemerkten Lehrer erneut blaue Flecken und kontaktierten die Kinderschutzbehörde Children’s Single Point of Access, die das Jugendamt informierte.
Dieses entschied am 16. März, dass keine Massnahmen zu ergreifen seien. Im April 2023 nahm Urfan Sharif seine Tochter aus der Schule, um sie zu Hause zu unterrichten – womöglich auch, um sie der Kontrolle der Schule zu entziehen. Vier Monate später war Sara Sharif tot.
Familie flüchtete nach Pakistan
Urfan Sharif, Beinash Batool und Faisal Malik flüchteten einen Tag nach der Tat nach Pakistan, zusammen mit Saras fünf Geschwistern. Sharif rief noch vom Flughafen in Islamabad die britische Polizei an und gestand unter Tränen, seine Tochter getötet zu haben.
Am 15. August erhielten die pakistanischen Behörden eine Anfrage von Interpol, Sharif und seine Familie ausfindig zu machen. Knapp einen Monat später, am 13. September, wurden Sharif, Batool und Malik bei ihrer Rückkehr nach Grossbritannien am Flughafen Gatwick verhaftet und zwei Tage später wegen Mordes angeklagt.
Besserer Schutz von Kindern gefordert
Maria Neophytou, interimistische Geschäftsführerin der Wohltätigkeitsorganisation NSPCC, nannte den Fall "absolut schockierend". "Was dieses kleine Mädchen über mehrere Jahre hinweg erdulden musste, wirft die entscheidende Frage auf, was man hätte tun können, um sie zu schützen." Eine Überprüfung der Kinderschutzpraxis müsse nun aufzeigen, wie man solche Fälle in Zukunft verhindern könne.
"Dieser schreckliche Fall hat auch die Unklarheit der derzeitigen Rechtslage in England in Bezug auf die körperliche Bestrafung von Kindern deutlich gemacht", teilte Neophytou weiter mit. "Es ist beunruhigend, dass Urfan Sharif glaubte - und der Polizei erzählte -, dass er Sara für ihre Ungezogenheit 'rechtmässig bestraft' habe." Sharif hatte vor Gericht erklärt, es sei sein Recht gewesen, sein Kind zu bestrafen.
Verwendete Quellen
- BBC.com: Sara Sharif's father and stepmother jailed for life for her murder
- Telegraph: Sara Sharif’s father and stepmother sentenced to life for 10-year-old’s murder
- National Society for the Prevention of Cruelty to Children: Our response to the Sara Sharif verdict
Hilfsangebote
- Wenn Sie von häuslicher oder sexualisierter Gewalt betroffen sind, wenden Sie sich bitte an das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" (116 016 oder online), das Hilfetelefon "Gewalt an Männern" (0800/1239900 oder online), das Hilfetelefon "Sexueller Missbrauch" (0800/225 5530), in Österreich an die Beratungsstelle für misshandelte und sexuell missbrauchte Frauen, Mädchen und Kinder (Tamar, 01/3340 437) und in der Schweiz an die Opferhilfe bei sexueller Gewalt (Lantana, 031/3131 400)
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