- Der Politikwissenschaftler und Terrorexperte Peter Neumann rechnet damit, dass sich Anhänger der Verschwörungsbewegung QAnon in Zukunft radikalisieren werden.
- Der Abgang von Donald Trump am 20. Januar könnte diese Entwicklung noch forcieren.
Ihr Erkennungszeichen ist das Q, ihre Ideologie erreicht immer mehr Menschen: Als am 6. Januar Unterstützer des abgewählten US-Präsidenten
Wissenschaftler sehen in der QAnon-Bewegung inzwischen auch eine terroristische Bedrohung. Der renommierte Sicherheitsexperte Peter Neumann vom King’s College in London erklärt im Interview mit unserer Redaktion, was QAnon so bedrohlich macht – und warum die Amtsübergabe an
Herr Neumann, geht von den Anhängern der Verschwörungstheorie QAnon in den USA eine terroristische Gefahr aus?
Peter R. Neumann: Ich denke schon. Was wir bei der Erstürmung des Kapitols gesehen haben, ist der Anfang einer Bewegung, die Gewalt hervorbringen kann. Meine Vorhersage ist, dass sie die grösste terroristische Bedrohung der nächsten Jahre sein wird.
Was macht diese Bewegung so gefährlich?
Es handelt sich zwar um eine sehr kleine Minderheit. Sie hat sich aber während der Präsidentschaft von Donald Trump und vor allem in den vergangenen Monaten radikalisiert. Sie ist schwer bewaffnet, sie glaubt an Rückhalt in der Bevölkerung und hat zum Teil Polizei und Militär unterwandert. Das ist wortwörtlich eine explosive Kombination. Viele Experten haben sich gewundert, dass nicht schon früher etwas passiert ist.
Es gibt sogar Stimmen, die einen Bürgerkrieg in den USA befürchten.
Ich glaube, dass es dafür wiederum keine Basis gibt. Die allermeisten Amerikaner inklusive der meisten Republikaner werden das Ergebnis der Präsidentschaftswahl akzeptieren.
Allerdings glauben laut Umfragen rund 40 Prozent der Amerikaner, dass eigentlich Donald Trump die Wahl gewonnen hat. Das zeigt doch, dass Verschwörungstheoretiker sich in den USA auf einen grossen Teil der Bevölkerung stützen können.
Das Potenzial, die Gesellschaft zu spalten, besteht. Und dieses Potenzial ist viel grösser als etwa bei den Dschihadisten, die in den USA null Unterstützung haben. Ich glaube aber, dass viele Leute von diesen 40 Prozent nach der Amtseinführung am 20. Januar akzeptieren werden, dass Joe Biden der Präsident ist. Die meisten dieser Menschen sehen sich nicht als Revolutionäre oder Umstürzler. Eine kleine Gruppe von gewaltbereiten Terroristen halte ich deshalb für wahrscheinlicher als einen Massenaufstand. Trotzdem darf man sie nicht unterschätzen. Wenn von den geschätzten eine Million QAnon-Anhängern in den USA nur ein Prozent gewaltbereit sind, wären wir gleich bei 10.000 Gefährdern. Insofern bin ich überzeugt, dass sie eine erhebliche terroristische Gefährdung darstellen.
Wie sind die Sicherheitsbehörden auf diese Bedrohung vorbereitet?
Unter Trump ist die Beobachtung des Rechtsextremismus systematisch heruntergefahren worden. Die Behörden haben nicht das Wissen und die Kapazitäten, um dieser Bedrohung Herr zu werden. Joe Biden muss am ersten Tag seiner Präsidentschaft dafür sorgen, dass die Sicherheitsbehörden wie das Heimatschutzministerium die nötigen Ressourcen bekommen, um die Gefahr effektiv zu bekämpfen. Natürlich muss er auch versöhnlich agieren und die Republikaner einbeziehen. Ich glaube aber nicht, dass seine Worte noch einen Einfluss auf den harten Kern dieser Bewegung haben.
Also steht die Politik diesen potenziellen Terroristen machtlos gegenüber?
Der ganz harte Kern wird sich von nichts mehr abbringen lassen. Trotzdem kann man die Bewegung zumindest noch reduzieren. Die Republikaner und Medien, die bisher aus opportunistischen Gründen das Spiel von Trump mitgespielt und die Lüge von der gefälschten Wahl verbreitet haben, müssten sich jetzt hinstellen und sagen: "Bidens Sieg ist das legitime Wahlergebnis, das müsst ihr jetzt akzeptieren." Das hätte zumindest Auswirkungen auf die weniger harten und die passiven Unterstützer extremer Gruppen.
Am 20. Januar übernimmt Joe Biden die Amtsgeschäfte – die Sicherheitsvorkehrungen für diesen Tag sind enorm. Macht es die Dinge leichter, wenn Trump das Weisse Haus verlassen hat?
Ich befürchte, dass das Gegenteil der Fall ist. Trump hat diese Bewegung ermutigt und angestachelt, er hat sie ironischerweise aber auch im Zaum gehalten. Die Anhänger haben sich immer darauf verlassen, dass er etwas macht. Direkt nach der Wahl kam es nicht zu Gewalt, weil er versucht hat, den Weg über die Gerichte zu gehen. Dann wollte er die Zertifizierung verhindern. Es gab deshalb für seine gewaltbereiten Anhänger immer einen Grund abzuwarten. Wenn Trump nicht mehr da ist, kann das für sie der Anlass sein, das Heft des Handelns selbst in die Hand zu nehmen.
QAnon hat keine hierarchische Struktur. Kann sie trotzdem eine terroristische Gefahr entwickeln?
Ja. QAnon ist wahrscheinlich der ideologische Kitt, der diese Bewegung zusammenhält. Unter diesem Dach sammeln sich unterschiedliche Gruppen: fanatische Trump-Anhänger, traditionelle Rechtsextreme und Milizen oder auch Menschen, die man in Deutschland als Reichsbürger bezeichnen würde. Es gibt offenbar keine echten Anführer. Wir wissen aber aus der Sozialwissenschaft, dass soziale Bewegungen an einem Wendepunkt kleine Minderheiten hervorbringen können, die gewaltsame Methoden anwenden. Das war schon bei der RAF so, die sich als sehr kleine Gruppe aus der grossen Studentenbewegung entwickelt hat. Ein Wendepunkt könnte in den USA jetzt erreicht sein: Durch den Abgang von Trump verlieren die Radikalen ihren Fürsprecher und ihre Rettungsfigur – der Staat ist für sie jetzt Feindesland.
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