This Jenny hat Krebs. Und will selbst entscheiden, wann es Zeit ist, zu sterben. Und ein Neuenburger Arzt wird in zweiter Instanz freigesprochen, obwohl er einem Patienten eine tödliche Substanz verschrieben hat. Beide Fälle schüren eine in der Schweiz längst vergessen geglaubte Diskussion - um die Sterbehilfe.
Vergangenes Wochenende hat Ex-Politiker This Jenny erstmals öffentlich über seine Krebserkrankung gesprochen und in einem Interview klargestellt: "Ich gehe mit Sterbehilfe, wenn die Zeit kommt." Fünf Jahre bleiben ihm noch, höchstens. "Werde ich nicht operiert, bleibt mir noch ein Jahr", sagt Jenny. Seine Heilungschancen liegen bei nur fünf Prozent, über sein Sterben will er selbst bestimmen - wie viele andere Menschen.
Sterbehilfe ist nicht verboten
In der Schweiz nimmt der Wunsch nach Sterbehilfe zu: Laut Exit - der "Vereinigung für humanes Sterben deutsche Schweiz" - nehmen immer mehr Menschen freiwillige Sterbehilfe in Anspruch. Anders als bei den Nachbarn ist hierzulande Sterbehilfe gemäss Artikel 115 des Strafgesetzbuches nicht verboten - solange keine selbstsüchtigen Motive vorliegen.
Das im Jahr 1982 gegründete Exit ist zusammen mit Dignitas die bekannteste Sterbehilfeorganisation der Schweiz. Anfang April 2014 verkündete Exit nun, dass man daran denke, nicht nur todkranken Menschen, sondern zukünftig auch lebensmüden Personen Sterbehilfe anbieten zu wollen. Laut Exit-Präsidentin Saskia Frei steht der Bedarf ausser Frage: 2013 begleitete die Organisation 460 Menschen bis hin zu ihrem Tod. Das sind um 100 mehr als noch im Jahr 2012.
Organisationen wie Exit und Dignitas berufen sich auf Artikel 115 oder im Einzelfall auf Patientenverfügungen, wenn es darum geht, ob Sterbehilfe in der Schweiz rechtens ist. Vor allem im Bezug auf das Betäubungsmittelgesetz sehen Kritiker das Land nach wie vor in einer Grauzone. So fordert etwa Ludwig A. Minelli von der Dignitas, der Bundesrat solle die Rechtslage im Rahmen der Betäubungsmittelverordnung ergänzen, um Klarheit für Ärzte zu schaffen, wann welches Medikament für einen begleitenden Suizid verschrieben werden darf.
Mit Hilfe einer Patientenverfügung können Bürger heute vorsorgen und selbst bestimmen, was im Falle eines Unfalls oder einer bedrohlichen Krankheit passieren soll. In der Gesellschaft scheint sich die vorherrschende Meinung jedenfalls dahingehend zu entwickeln, dass jeder frei von Behördenschikanen über Leben oder Sterben entscheiden können soll. Immer häufiger heisst es, ein freiwilliger Tod sei Menschenrecht.
2013 brachte die Klage einer 82-jährigen Zürcherin das Thema Sterbehilfe bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg. Das Urteil des EGMR fordert von der Schweiz mehr Rechtsklarheit zum Thema. Wie stark das Thema polarisiert, zeigt auch ein aktuelles Schweizer Urteil: Das Neuenburger Kantonsgericht sprach einen Arzt in zweiter Instanz frei, der einem Patienten eine tödliche Substanz verschrieben hatte. Der Arzt behandelte einen 89-jährigen Patienten, der seine Krankheit nicht mehr ertrug und bereits einen Suizidversuch begangen hatte.
Generell wird kritisiert, dass ein Ja zur Sterbehilfe eine Art internationalen Sterbe-Tourismus fördert. Nicht nur in der Schweiz gilt: Schwerstkranken ist nicht immer zu helfen, und Palliativmedizin und psychologische Betreuungsdienste sind zu oft machtlos, um leidenden Menschen das Leben noch lebenswert zu machen.
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