Experimente mit Tieren sind äusserst umstritten und Grundlage für hitzige Debatten zwischen Wissenschaftlern und Tierschützern. Befürworter halten Tierversuche für eine notwendige und wichtige Art der Forschung, Gegner sehen darin unnötiges Leid - wer hat nun recht?

Weitere aktuelle News finden Sie hier

Jedes Jahr werden an rund 2,8 Millionen Tieren in Deutschland wissenschaftliche Versuche gemacht.

Meist sind es Mäuse, aber auch an Ratten, Kaninchen, Vögeln, Meerschweinchen, Schweinen und Fischen werden in Deutschland jedes Jahr wissenschaftliche Versuche durchgeführt.

Laut dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft waren es im Jahr 2016 insgesamt etwas mehr als 2,8 Millionen Tiere, die hierzulande für die Forschung verwendet wurden.

Die Zahl ist aufgeteilt in knapp 2,2 Millionen Lebewesen, an denen Untersuchungen durchgeführt und weitere 660.000, die für wissenschaftliche Zwecke getötet wurden. Von ihnen wurden beispielsweise Zellmaterial und Organe für wissenschaftliche Zwecke entnommen.

Aber sind Tierversuche wirklich nötig?

Prof. Gerhard Heldmaier von der Universität Marburg und der Informationsinitiative "Tierversuche verstehen" meint: Ja.

"Der gesamte Kenntnisstand unserer medizinischen Forschung beruht in unterschiedlicher Art und Weise auf Tierversuchen. Wenn wir in der Forschung nicht weitermachen, stagniert die medizinische Entwicklung."

Und längst nicht jeder darf in Deutschland einfach so eine Forschungsreihe mit Tieren durchführen, erklärt der Experte: "Vor jedem Tierversuch muss ein umfangreicher Antrag bei entsprechenden Behörden eingereicht werden. Dabei wird auch eine genaue Begründung verlangt, weshalb das Experiment nur mittels eines Tierversuchs zum Erfolg führen kann und keine andere Methode infrage kommt."

Ergebnisse lassen sich oft nicht direkt übertragen

Ein grosses Problem bei der Forschung an Tieren ist jedoch die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Menschen, das räumt auch Heldmaier ein.

Für Dr. Corina Gericke vom Verein "Ärzte gegen Tierversuche" ist das einer der wesentlichen Gründe, weshalb sie diese Art von Forschung nicht unterstützt.

"Tierversuche sind nicht nur aus ethischen, sondern auch aus wissenschaftlichen Gründen abzulehnen, da sie keinerlei relevante Ergebnisse für den Menschen liefern."

Das liege zum einen daran, dass sich Mensch und Tier zu deutlich in Anatomie und Stoffwechsel unterscheiden würden. "Zudem werden einzelne Symptome menschlicher Krankheiten bei Tieren in sogenannten Modellen simuliert", erklärt Gericke.

So wird zum Beispiel bei einer Maus eine Arterie im Gehirn verstopft, um einen Schlaganfall hervorzurufen. Das Tier wird künstlich krank gemacht. Anschliessend werden Medikamente getestet, um die entstehenden Schäden durch die mangelhafte Durchblutung einzudämmen. Ein Schlaganfall beim Menschen kann jedoch eine Vielzahl an Ursachen haben.

"Laut einer Studie haben 500 Schlaganfall-Medikamente bei Mäusen funktioniert – beim Menschen versagten sie allesamt", gibt Gericke zu bedenken. "Nahezu 95 Prozent aller Medikamente, die im Tierversuch für wirksam befunden wurden, fallen im Menschenversuch wegen Nebenwirkungen oder fehlender Wirksamkeit durch. Viele Treffer sind einfach nur Zufälle."

Befürworter Heldmaier hält dagegen und erklärt, dass es eine 1:1-Übertragbarkeit vom Modell auf die konkrete Krankheitssituation in der Forschung bei keiner Methode geben könne – nicht einmal, wenn Versuche an Menschen durchgeführt würden. Die Übertragbarkeit sei ein langfristiges Ziel, das zusätzliche Forschung erfordere.

Die meisten Tests an Mäusen

Zwei Millionen (70%) der für die Forschung verwendeten Tiere sind Mäuse. Und das, obwohl sich Mensch und Maus auf den ersten Blick kaum deutlicher unterscheiden könnten.

Dass diese Nager vorwiegend eingesetzt werden, hat mehrere Gründe. "Bei Mäusen ist das Genom als allererster Säugetierorganismus entschlüsselt worden. Noch dazu lassen sie sich genetisch relativ leicht verändern und bei vielen Krankheiten gibt es einen genetischen Hintergrund", erklärt Heldmaier. "Um das zu verstehen, eignen sich Mäuse ganz hervorragend."

Ausserdem sind sie "pflegeleicht", vermehren sich schnell. Und seit der Entschlüsselung des Mausgenoms ist klar, dass sich Mensch und Maus die allermeisten Gene teilen – vor allem im Bereich des Nervensystems und bei der Fortpflanzung.

"Vieles von dem, was wir heute über Krebserkrankungen und die entsprechende Vorsorge wissen, ist auf die Forschung an Mäusen zurückzuführen. So konnten Vorsorgemassnahmen, Therapien und Medikamente entwickelt werden", erklärt Heldmaier.

Alternativen zu Tierversuchen

Für Tierärztin Gericke sind auch das keine unwiderrufbaren Argumente, um das Leid der Tiere zu rechtfertigen.

"Es gibt heutzutage bereits eine Vielzahl an tierversuchsfreien Forschungsmöglichkeiten. Wir sind bereits so weit, dass wir kleine Mini-Organe im Reagenzglas züchten können. Diese werden durch eine Art Blutkreislauf miteinander verknüpft und dort wird dann getestet."

Die Methode sei nicht nur ethisch vertretbar, sondern obendrein auch noch günstiger. Weshalb setzt die Forschung dann immer noch so stark auf Tierversuche?

Gericke erklärt, dass das grösste Problem in der Förderung begründet liegt: "Der Löwenanteil der Forschungsgelder, Milliarden von Euro, fliesst in Experimente mit Tierversuchen. Die Forschung ohne Tiere wird mit gerade einmal sechs Millionen Euro pro Jahr unterstützt. Würde man das umkehren, gäbe es noch viel mehr Möglichkeiten der tierversuchsfreien Forschung."

Als weiteren Aspekt führt sie die lange Tradition der Tierversuche an: "Sie haben sich Mitte des 19. Jahrhunderts als Methode der Wahl etabliert. Wer als Forscher heutzutage Artikel in Fachzeitschriften veröffentlichen möchte, hat Schwierigkeiten, wenn seine Forschungen komplett auf tierversuchsfreien Methoden basieren. Jeder, der in der Forschung Karriere machen möchte, wird also immer Tierversuche machen, um Anerkennung und Forschungsgelder zu bekommen."

Tierschutzgesetz in Deutschland

Laut Heldmaier werden sämtliche Tierversuche hierzulande streng kontrolliert und es gilt das 3R-Prinzip als Richtlinie und ethische Grundposition.

3R bedeutet "Replace, Reduce, Refine". Der Begriff "Replace" sagt aus, dass Tierversuche nach Möglichkeit durch andere Methoden ersetzt werden sollen.

Nach dem Prinzip "Reduce" sollen so viele Versuche wie nötig, aber so wenig wie möglich durchgeführt werden.

Und "Refine" bezieht sich darauf, die Belastung der Tiere auf ein Minimum abzusenken.

"Kein Forscher möchte sich nachsagen lassen, dass er unnötig Lebewesen Leid zufügt", meint Heldmaier. "Wir töten in Deutschland etwa 800 Millionen Tiere pro Jahr – davon werden lediglich zwei Millionen bei Tierversuchen eingesetzt."

Demgegenüber stünden allein in Deutschland jährlich vier bis fünf Millionen Tiere, die bei der Jagd getötet werden würden. "Der Anteil der Tiere, die in der Forschung eingesetzt werden, ist also im Vergleich zur Nahrungsmittelproduktion relativ bescheiden", so Heldmaier.

Dieses Argument will Corina Gericke von "Ärzte gegen Tierversuche" so nicht stehenlassen: "Man kann doch nicht ein Unrecht mit dem anderen rechtfertigen. Es ist doch alles Unrecht, was wir den Tieren antun."

Ob Tierversuche abgeschafft werden können und sollen ist also schon lange nicht mehr nur eine wissenschaftliche, sondern vor allem auch eine ethische Frage.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.