Nach den Übergriffen von Köln diskutiert Deutschland über die Ursprünge eines problematischen Frauenbildes von Migranten. Eine Kulturwissenschaftlerin erklärt, wieso sexuelle Gewalt in arabisch-nordafrikanischen Ländern akzeptiert wird, was die Emanzipation dort hemmt und warum die Mütter der Täter eine Mitschuld haben.

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Frau Schröter, sind Szenen, wie in Köln geschehen, typisch für den nordafrikanischen Kulturkreis?
Prof. Dr. Susanne Schröter: Solche Szenen kennen wir aus arabischen Staaten.

In Kairo ist es im Zuge des Arabischen Frühlings weltweit publik geworden, weil Frauen, die damals gegen das Mubarak-Regime demonstriert haben, sexuell belästigt, vergewaltigt und teils schwer misshandelt worden sind.

An diesen Übergriffen war damals auch die Polizei beteiligt. Das bekannteste Beispiel war das Mädchen mit dem blauen BH, das von Sicherheitskräften misshandelt wurde und danach verschwand.

Da hat die Weltöffentlichkeit erstmals verstanden, dass es dieses Problem gibt.

Also auch heute noch?
Noch immer gibt es massive sexuelle Gewalt in Ägypten, vor allem in Kairo. Umfragen zufolge sind weit über 90 Prozent aller Frauen Opfer sexueller Gewalt in der Öffentlichkeit gewesen.

Für Kairo gibt es sogar ein Mapping, wo Frauen nicht mehr hingehen sollten. Wir kennen dieses Phänomen aber auch aus Marokko, Tunesien, Jordanien oder Saudi-Arabien.

Als ich in den Nachrichten gesehen habe, was in Köln passiert ist, war meine erste Assoziation: Aha, jetzt haben wir es also auch. Es ist ein Import. Das ist ganz neu.

Viele Feministinnen sagen, wir hätten sowieso Sexismus, die Kritik an diesem Ausmass sei rassistisch. Ich sage, nein, das ist ein ganz neues Phänomen.

Und es hat etwas mit kulturellen Gepflogenheiten unserer Migranten und Flüchtlinge zu tun.

Was meinen Sie mit kulturellen Gepflogenheiten?
Damit meine ich eine patriarchalische Kultur der Ehre. Frauen werden unterteilt in diejenigen aus der Familie, Frauen, Töchter, Mütter, Tanten, die idealerweise zu Hause sind, sich um Kinder und Haushalt kümmern und wenn sie rausgehen, verschleiert sind.

Dann gibt es lose Frauen, die an die Universität gehen, arbeiten, ausgehen, für sich in Anspruch nehmen, ein modernes Leben zu führen.

Seit wir Emanzipation in arabischen Staaten haben, etwa seit den 1980er Jahren, hat sich diese Art von Gewalt entwickelt. Sie ist relativ neu, weil Frauen früher gar nicht öffentlich präsent waren.

Seit sie das sind, reagieren Männer, die ihre patriarchalische Ordnung gefährdet sehen, sexuell aggressiv.

Und die staatlichen Ordnungen können dem nicht entgegenwirken? Oder haben sie kein Interesse daran?
Es ist durchaus in deren Interesse. Während des Arabischen Frühlings gab es in Ägypten diese furchtbaren Jungfrauentests bei festgenommenen Frauen durch das alte Regime.

Der neue Militärmachthaber hat sich dafür entschuldigt. Die Staaten haben Gesetze, es ist strafbar, niemand darf eine Frau vergewaltigen.

Ein Teil der konservativen Bevölkerung begegnet den jungen Männern aber mit Verständnis.

Wieso?
Selbst konservative Frauen behandeln die Opfer abwertend. Sie sagen: Sie haben es nicht besser verdient, was haben sie denn auch in der Öffentlichkeit zu suchen.

Darauf können sich die jungen Männer berufen. Sie sind d’accord mit den Konservativen. Sie gestehen ihnen zu, dass sie sexuell aktiv sind, dass sie natürlich bei Frauen erregt werden.

Frauen hätten darauf zu achten, dass sie nicht zurechtgemacht herumlaufen, sodass sie nicht die Begierde wecken. Das ist eine Doppelmoral.

Frauen müssen dafür sorgen, dass ihnen nichts passiert. Wenn wir das in unsere Gesellschaft transportieren, führt das logischerweise in einen fürchterlichen Aufschrei.

Und das Streben nach Gleichberechtigung der Frauen spaltet arabische Gesellschaften?
Absolut. Es gibt zwar Emanzipationsbewegungen in diesen Ländern. Tunesien hat eine unglaublich aktive Frauenrechtsbewegung, die sich nach dem Sturz des ehemaligen Regimes ganz massiv dagegen gewehrt hat, dass das Land islamisches Recht bekommt.

Männer der gebildeteren Schicht haben ein Bewusstsein dafür, dass da was schief läuft.

Die Gesellschaft ist aber gespalten in einen fortschrittlichen, teils städtischen Teil und traditionelle, vor allem ländliche Bevölkerungsschichten, die unter den negativen Seiten der Moderne, wie Armut und sozialer Unsicherheit, leiden und sich deshalb umso stärker am konservativen Weltbild festhalten.

Passt dazu, dass die libanesische Frauenaktivistin Joumana Haddad gesagt hat, dass die Mütter dieser mutmasslichen Sexualstraftäter mit schuld am frauenfeindlichen Weltbild ihrer Söhne seien?
Ja. Die Frauen sind die wichtigsten Erziehungsinstanzen. Als Mütter werden sie geehrt.

Die wirklich schlechten Positionen in patriarchalischen Familien haben junge Frauen, vor allem die, die von Ehemännern und Schwiegermüttern gleichermassen klein gehalten werden.

Mütter haben ein Interesse daran, das System aufrechtzuerhalten, weil es ihnen nützt.

Sie machen ihre Jungs zu Prinzen, entschuldigen alles, was diese tun und befeuern die Haltung, dass die jungen Frauen an allem schuld seien. Es ist ein Clash der Generationen.

Spannen wir den Bogen zu Köln. Diese jungen Männer schaden mit ihren Taten der Akzeptanz für eine Mehrheit Migranten. Begreifen sie das nicht?
Etlichen wird es nicht bewusst gewesen sein, dass das bei uns solche Reaktionen hervorruft. Sie kennen den öffentlichen Aufschrei nicht. Viele haben sicher aber auch eine ganz falsche Vorstellung von unserer Gesellschaft.

Sie kommen hier an, es gibt sexualisierte Werbung, halbnackte Frauen in Journalen, Pornografie, da kann man, wenn man vom Leben in Deutschland keine Ahnung hat, die falschen Schlüsse ziehen.

Es braucht gründliche Aufklärung, da reicht eine Kopie des Grundgesetzes nicht. Bei denen, die guten Willens sind, sich zu integrieren, wird es Erfolg haben.

Prof. Dr. Susanne Schröter ist die Geschäftsführende Direktorin des Instituts für Ethnologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Fragen von Geschlecht, Sexualität und Moral in der islamischen Welt gehören zu ihren Forschungsschwerpunkten. Schröter veröffentlichte zum Thema etliche Aufsätze in Fachzeitschriften.
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