Das Schweizer Parlament brütet über einem Gesetz zur Verantwortung von Unternehmen bei Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden. Dieses Thema wird seit Jahren auch international diskutiert. Die Schweizer Wirtschaftsverbände befürchten eine strengere Regulierung als im Ausland.

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Die Konzernverantwortungsinitiative wie auch ein Gegenentwurf wollen die Achtung der Menschenrechte und den Umweltschutz bei wirtschaftlichen Aktivitäten von Schweizer Firmen im Ausland stärken. Doch die Initiative ist genauso wie der Gegenvorschlag äusserst umstritten.

"Der Gegenvorschlag stellt faktisch ein Umsetzungsgesetz zur Initiative dar und bewirkt einen gefährlichen Alleingang der Schweiz", sagte Denise Laufer als Vertreterin vom Verband Swissholdings, der grosse Industrie- und Dienstleistungskonzerne vertritt, kürzlich in der Neuen Zürcher Zeitung.

Die Vorlage zur Konzernverantwortungsinitiative kommt dieser Tage in den Ständerat (kleine Parlamentskammer). Im genannten NZZ-Artikel haben die wichtigsten Wirtschaftsverbände deutlich ihre ablehnende Haltung ausgedrückt zu den jüngsten Versuchen, noch einen tragfähigen Kompromiss zu finden.

Schweiz setzt auf Freiwilligkeit

Machen wir einen Schritt zurück. Über die Verantwortung von Unternehmen in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt wird seit Jahrzehnten debattiert.

Ein Meilenstein war mit Sicherheit die Verabschiedung der "Guiding Principles on Business and Human Rights" (Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte) am 16. Juni 2011 durch den UN-Menschenrechtsrat. Dieser Bericht geht davon aus, dass die Unternehmen verantwortlich sind für die Einhaltung der Menschenrechte. Zugleich wird aber den einzelnen Staaten die Aufgabe übertragen, diese Rechte zu schützen und im Falle von Verletzungen entsprechende Durchsetzungsinstanzen zu schaffen.

Die OECD hat – ebenfalls im Jahr 2011 – ein Update ihrer Leitlinien zu multinationalen Firmen gutgeheissen. Die konkreten Massnahmen in Anwendung der UNO-Prinzipien müssen in einem nationalen Aktionsplan enthalten sein. Der Schweizer Bundesrat hat am 9. Dezember 2016 einen Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) verabschiedet. Während andere Staaten wie Frankreich für die Annahme von verbindlichen Massnahmen zur Sorgfaltspflicht von Unternehmen in Bezug auf die Menschenrechte optieren, hat die Schweizer Regierung ihren Fokus auf freiwillige Massnahmen gesetzt.

Volksinitiative

Diese Haltung der Schweiz ist in der Debatte über die Anwendung der UN-Leitlinien immer wieder kritisiert worden, vor allem von Nichtregierungs- und Menschenrechtsorganisationen. Sie verwiesen zudem darauf, dass die Schweiz die Ausarbeitung der internationalen Leitlinien mit Nachdruck unterstützt hat.

Diese Unzufriedenheit von Seiten der NGO führte schliesslich 2015 zur Lancierung der Konzernverantwortungsinitiative. Diese verpflichtet Konzerne mit Sitz in der Schweiz, bei ihren Geschäften anerkannte Menschenrechte und Umweltstandards zu achten, also eine Sorgfaltsprüfung durchzuführen. Diese Sorgfaltspflicht soll auch für im Ausland kontrollierte Tochterunternehmen gelten.

Zudem gibt es eine Haftungsklausel. Das heisst: Wer einen Schaden verursacht, soll dafür geradestehen und Schadenersatz bezahlen. Demnach würden Konzerne mit Sitz in der Schweiz zivilrechtlich für Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden, die von ihnen kontrollierte Unternehmen im Ausland begehen, haften.

Gegenvorschlag

Die Regierung hat dem Parlament beantragt, die Volksinitiative ohne Gegenvorschlag abzulehnen. Im Juni 2018 nahm der Nationalrat (grosse Parlamentskammer) gleichwohl einen Gegenentwurf an, der in grossen Linien die Anliegen der Volksinitiative aufgreift, auch wenn der Geltungsbereich eingeschränkt ist. In den folgenden Monaten gelangte der vom Nationalrat verabschiedete Text in die vorberatende Kommission für Rechtsfragen des Ständerats.

Aus den Beratungen ging eine neue Version hervor, die in einigen Punkten vom Nationalrat abweicht. Entscheidend ist in dieser Fassung die Einführung des Subsidiaritätsprinzips. Demnach könnte ein multinationales Unternehmen in der Schweiz nur dann zur Verantwortung gezogen werden, wenn nachgewiesen werden könnte, dass juristische Schritte am Sitz der ausländischen Tochterunternehmen auf erhebliche Hürden treffen würden.

Diese Klausel reichte aber nicht, um eine Unterstützung der Vorlage durch die Wirtschaftsverbände zu erreichen. Unzufrieden ist aber auch die andere Seite. Die Initianten der Konzernverantwortungsinitiative erklärten, dass sie im Falle einer Einführung des Subsidiaritätsprinzips ihre Initiative nicht zurückziehen würden.

Risiko von Schauprozessen

Die Diskussion ist aus rechtlicher Sicht äusserst komplex. Die Meinungen gehen insbesondere in Bezug auf die Haftungsfrage auseinander. Für Karl Hofstetter, Titularprofessor für Privat- und Wirtschaftsrecht an der Universität Zürich und Präsident von Swissholdings, ist die Haftung gemäss der Initiative "zu breit und zu unbestimmt". Seiner Meinung nach setzt auch der Gegenvorschlag keine ausreichenden Grenzen.

Darüber hinaus ermöglichen sowohl die Initiative als auch der vom Nationalrat angenommene Gegenvorschlag laut Hofstetter eine Haftung für Handlungen von Dritten, mit denen das Unternehmen wirtschaftliche Beziehungen führt. Der Rechtsprofessor sieht "ein grosses Missbrauchspotential" und das "Risiko von Schauprozessen" für Unternehmungen.

"Das bedeutet nicht, dass die Wirtschaft gegen jegliche Haftung ist", präzisiert Hofstetter. Zuerst müssten die Tochterunternehmen von Schweizer Firmen in demjenigen Land zur Verantwortung gezogen werden, in denen sie operativ sind. "In schwerwiegenden Fällen sieht das geltende Recht bereits die Möglichkeit vor, die Unternehmungen in der Schweiz für Vergehen ihrer Tochterfirmen haftbar zu machen."

Gemäss Hofstetter sollte die Schweiz nicht "eine unsinnige Haftung" einführen, sondern eine Berichtserstattungspflicht zu den getroffenen Massnahmen in Bezug auf die Einhaltung der Menschenrechte und den Umweltschutz. "Das würde dem internationalen Trend entsprechen", bilanziert Hofstetter.

Auf der Höhe internationaler Standards

Und was sagt die Gegenseite? In einem Punkt stimmt Franz Werro, Professor für Privatrecht an der Universität Freiburg und an der Georgtown Universität in Washington, mit seinem Kollegen Hofstetter überein. Theoretisch ist es heute schon möglich, eine Muttergesellschaft für Handlungen zur Rechenschaft zu ziehen, die von Tochterfirmen im Ausland begangen werden. Doch in Bezug auf die laufende Debatte hat er eine vollkommen andere Haltung: "Die Schweiz hat internationale Standards auf Augenhöhe mit anderen OECD-Ländern verabschiedet. Jetzt geht es darum, diese Standards effektiv und operativ zu machen."

Seiner Meinung nach stellt weder die Initiative noch der Gegenvorschlag im internationalen Vergleich eine wirkliche Neuheit dar, sondern entspreche einzig einem allgemeinen Trend. "Die Möglichkeit, Muttergesellschaften für Schäden zur Verantwortung zu ziehen, welche von Niederlassungen im Ausland begangen wurden, gibt es in den meisten europäischen Ländern. Es stellt keinen grundlegenden Unterschied dar, ob die Haftbarkeit der Muttergesellschaft in der Rechtsprechung anerkannt oder im Gesetz festgelegt ist. Das Gesetz führt einfach zu mehr Klarheit."

Franz Werro ist zudem der Auffassung, dass die in der Schweiz diskutierten Normen keineswegs extrem sind, sie leiteten sich ab von der im Obligationenrecht (OR) festgehaltenen "Haftung des Geschäftsherrn" (Artikel 55). Diese Art der Haftung beinhaltet die Möglichkeit eines Entlastungsbeweises. Das heisst: Das Unternehmen kann sich der Haftung entziehen, wenn es beweisen kann, die nötige Sorgfalt für die Vermeidung eines Schadens erbracht zu haben. In diesem Falle, so Werro, sei das Risiko einer Prozessflut nicht gegeben. "Die Haftung ist nicht das Ende der Welt, wenn die Unternehmen im Vorfeld die nötige Sorgfalt anwenden", bilanziert der Rechtswissenschaftler.

Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob

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