Spanien trägt Trauer: Ein Wetterphänomen, das als "kalter Tropfen" bekannt ist, forderte Dutzende Menschenleben. Dabei ist das ganze Ausmass der Jahrhundert-Tragödie noch unbekannt.

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"Ich halte mich an dieser Pflanze fest, um mich herum gibt es aber nichts, nichts, nur Wasser, als wäre ich mitten im Meer" per Handyvideo bat Maite Jurado Freunde und Verwandte mit angsterfüllter Stimme um Hilfe. Ihr Auto war zu dem Zeitpunkt in Paiporta nahe der Metropole Valencia längst von den Wassermassen weggespült worden. Die junge Spanierin erlebte einen Alptraum, wurde aber gerettet und kam mit dem Schrecken davon.

Bei der Flutkatastrophe in Spanien sind mindestens 95 Menschen ums Leben gekommen. Die Behörden rechneten am Mittwoch damit, dass die Opferzahl noch weiter steigen wird. Am schlimmsten betroffen ist die östliche Region Valencia. Die Regierung rief eine dreitägige Staatstrauer ab Donnerstag aus.

Die Zahl der verzeichneten Todesopfer war im Laufe des Tages immer weiter gestiegen. Am Abend nannte der Minister für Territorialpolitik, Ángel Víctor Torres, im Fernsehsender TVE die Zahl von mindestens 95 Toten, davon 92 in der Region Valencia, zwei in Kastilien-La Mancha und einer in Andalusien. Diese Bilanz sei "vorläufig" fügte er hinzu. "Leider deutet alles darauf hin, dass diese Zahl noch steigen wird."

Allein in Paiporta könnte es Dutzende Tote geben, erklärte Bürgermeisterin Maribel Albalat gegenüber Medien. Vielerorts konnten Rettungskräfte aufgrund überschwemmter oder anderweitig blockierter Strassen nicht mit Fahrzeugen zu Einsatzorten vordringen.

Besonders schlimm ist die Lage in der auch bei Urlaubern sehr beliebten Region Valencia. Aber auch andere Mittelmeer-Anrainer-Regionen wie Andalusien und Murcia sind schwer betroffen. Die starken Regenfälle setzten unzählige Strassen, Gebäude und Felder unter Wasser. Strassen und kleinere Brücken brachen weg, Bäume, Autos und auch riesige Lastwagen wurden von den Wassermassen wie Spielzeug mitgerissen. Neben heftigenm Regen gab es Hagel und starke Windböen. Aus der andalusischen Küstenortschaft El Ejido unweit von Almería berichteten Einwohner von Hagelkörnern "so gross wie Golfbälle".

Eingeschlossen in Büros und Einkaufszentren

Autobahnen und Landstrassen wurden gesperrt. Auch Flug- und Bahn-Verkehr wurden erheblich beeinträchtigt. Am Dienstag war ein Hochgeschwindigkeitszug auf dem Weg von Málaga nach Madrid wegen eines Steinsturzes entgleist. Verletzte gab es dabei nicht.

Zahlreiche Menschen waren in Häusern, Büros oder Einkaufszentren eingeschlossen und setzten wie Maite Jurado in sozialen Medien Notrufe ab. Viele riefen auch beim TV-Sender RTVE und anderen Medien an, weil sie Freunde und Verwandte nicht kontaktieren konnten. "Ich suche meinen 40 Jahre alten Sohn Enrique, der gestern mit seinem Van beruflich unterwegs war und von dem ich seitdem nichts mehr höre", sagte ein Rentner in RTVE den Tränen nahe.

Die Menschen suchten auf Dächern von Autos und Häusern Schutz, die völlig vom Wasser umgeben waren, wie auf unzähligen Videos in Medien und im Netz zu sehen ist. Bei den Such- und Rettungsarbeiten sind neben Feuerwehrleuten und Angehörigen des Zivilschutzes allein in Valencia über 1.000 Kräfte der Militärischen Nothilfeeinheit UME im Einsatz.

Reporterin berichtet von "kriegsähnlichen Szenen"

Eine RTVE-Reporterin sprach auf einer überschwemmten Strasse, in der zerstörte Fahrzeuge teils übereinander gestapelt lagen, von "kriegsähnlichen Szenen". "Das ist wie die Hölle", sagte eine Anwohnerin. Ein eben geborgener Rentner sagte weinend vor laufenden Kameras: "Das war schrecklich, danke, danke an meine Schutzengel, die mich gerettet haben."

Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez sprach den Betroffenen Mut zu und versprach schnelle Hilfe. "Wir werden alle zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen. Wir werden euch nicht im Stich lassen." Er fügte an: "Ganz Spanien weint mit euch."

Die Europäische Union bot bereits Hilfe an. "Wir haben unser Copernicus-Satellitensystem aktiviert, um bei der Koordinierung der Rettungsteams zu helfen. Und wir haben bereits angeboten, unseren Katastrophenschutz zu aktivieren", sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel.

Wetterphänomen "Kalter Tropfen"

Für die Katastrophe war der sogenannte "Kalte Tropfen" verantwortlich. Es handelt sich um ein Wetterphänomen, das vor allem in der spanischen Mittelmeerregion in den Monaten September und Oktober häufig auftritt und mit den stark unterschiedlichen Temperaturen von Meer und Luft zusammenhängt. Es entsteht, wenn sich die ersten atlantischen Tiefausläufer mit feuchtkalter Luft über das warme Mittelmeer schieben.

Der Wetterdienst Aemet in Valencia sprach in einer ersten Bilanz von einem "historischen Unwetter". Es habe sich um den schlimmsten "Kalten Tropfen" (gota fría) dieses Jahrhunderts in der Region Valencia gehandelt, schrieb Aemet auf X.

Experten im In- und Ausland wiesen auch auf den vom Menschen verursachten Klimawandel hin. "Die Bilder aus Spanien sind erschreckend und zeigen in aller Klarheit: Der Klimawandel ist längst da und eine Gefahr für die Menschheit", sagte Klimaforscher Niklas Höhne, der Mitbegründer des NewClimate Institute. Verheerende Regenfälle würden durch die höheren Temperaturen immer stärker und wahrscheinlicher, warnte der Deutsche. Mit konsequenten Massnahmen zur Reduzierung des CO2-Ausstosses könne man aber noch die schlimmsten Folgen eindämmen und viele weitere Katastrophen zu verhindern. (Angelika Engler und Emilio Rappold, dpa/bearbeitet von tas)

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