Venedig hat mit steigenden Touristenzahlen zu kämpfen, Besucher verstopfen die engen Gassen. Die Stadt hat nun eine Gebühr für Tagesbesucher beschlossen.
Venedig führt 2024 testweise eine Gebühr für Tagesbesucher ein. Der Stadtrat der Lagunenstadt gab am Dienstag grünes Licht für eine Gebühr von fünf Euro für den Eintritt in das historische Zentrum. Mit der Massnahme, die im Frühjahr 2024 erstmals greifen soll, soll der Besucherandrang in der Weltkulturerbe-Stadt begrenzt werden.
Die Gebühr soll an maximal 30 Tagen erhoben werden, an denen traditionell besonders viele Besucher in die Stadt strömen. Die betroffenen Tage sollen zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben werden. Ausgenommen von der Gebühr sind Kinder unter 14 Jahren und Touristen, die in der Stadt übernachten.
"Das ist ein erster Schritt. (...) Wir machen ein Experiment", sagte Bürgermeister Luigi Brugnaro. Das System werde einfach zu benutzen sein.
100.000 Touristen pro Nacht
Die im 5. Jahrhundert gegründete Inselstadt ist eine der meistbesuchten Städte der Welt, voller architektonischer Schätze und Kunstwerke. Zu Spitzenzeiten übernachten dort 100.000 Touristen pro Nacht, dazu kommen Zehntausende Tagesbesucher.
Für Städte wie Venedig ist das Wort "Overtourism", die ins Extrem gesteigerte Form des Massentourismus mit all ihren negativen Auswirkungen, erfunden worden. Jetzt will man dagegenhalten: Der Gemeinderat der italienischen Lagunenstadt beschloss am Dienstag, dass Kurzbesucher, die nur ein paar Stunden bleiben, vom nächsten Jahr an fünf Euro Eintritt bezahlen müssen. An manchen Tagen nur, aber immerhin.
Der Contributo d'Accesso (deutsch: Zugangsgebühr) ist eines der Themen, über die in Venedig seit langer Zeit gestritten wird. Mehr als fünf Millionen Besucher kommen pro Jahr.
"Gleichgewicht der Interessen" zwischen Einwohnern und Touristen
Inzwischen gibt es mehr Betten für Übernachtungsgäste als Einheimische. Der Ärger richtet sich aber vor allem gegen Tagesurlauber, die grosse Mehrheit: Kreuzfahrttouristen oder auch Besucher, die morgens kommen und abends wieder weg sind.
So wie die Hartings aus dem niedersächsischen Vechta in der Nähe von Bremen. Ankunft am Bahnhof Santa Lucia: 8.22 Uhr, Abfahrt: 17.32 Uhr. Jetzt steht das Paar an der Rialtobrücke. "Wird unangenehm", sagt Otto Harting (58). Seine Frau Bernadette meint: "Am Eiffelturm ist es auch voll. Aber so was wie hier habe ich noch nie erlebt." Die Gebühr würden die beiden zahlen, ohne grosse Einwände. "So kann das ja nicht weitergehen", sagt die 57-Jährige.
Das ist auch die Meinung von Bürgermeister Luigi Brugnaro. "Ich rufe alle zur Zusammenarbeit auf - damit Venedig gerettet und die älteste Stadt der Zukunft werden kann", mahnt der Mitte-Rechts-Politiker. Ziel sei ein "Gleichgewicht der Interessen" zwischen Einwohnern und Touristen. Brugnaro treibt die Pläne schon länger voran. Sie wurden mehrfach verschoben und auch verwässert, bis in die wer-weiss-wievielte Variante. Zwischenzeitlich war sogar von bis zu zehn Euro die Rede, das ganze Jahr über.
Der Plan im Detail
So weit geht es nun nicht. 2024 sollen Kurzbesucher zunächst einmal an 30 Tagen zahlen müssen, die erfahrungsgemäss besonders frequentiert sind: über Karneval wahrscheinlich oder an Ostern. Die genauen Termine sind noch offen. Dann muss man sich vorab übers Internet einen QR-Code besorgen und aufs Handy laden.
Kontrolliert werden soll das «Venedig-Ticket», insbesondere am Bahnhof und an den Anlegestellen der Boote. Wenn jemand ohne erwischt wird, werden 50 bis 300 Euro Strafe fällig. Kinder unter 14 bleiben ausgenommen. Die Einnahmen - geschätzt: bis zu sechs Millionen Euro - sollen dafür genutzt werden, Venedig ohne weitere Schäden zu erhalten.
Schikane oder echte Hilfe?
Viele Experten sind skeptisch, dass die Gebühr etwas bringt. Warum sollten sich Besucher von fünf Euro abschrecken lassen - in einer Stadt, die ihnen ohnehin viel abverlangt? Der offizielle Tarif für eine halbe Stunde Gondelfahrt am Abend liegt inzwischen bei 100 Euro. Im "Caffè Florian" am Markusplatz kostet der Cappuccino 11,50 Euro, der Bellini-Cocktail in "Harry's Bar" das Doppelte.
Deren Besitzer Arrigo Cipriani nennt die Gebühr schlicht "Schikane", womit er die Meinung vieler Geschäftsleute trifft. Mehrere Bürgerinitiativen hingegen nehmen der Kommune nicht ab, dass die Gebühr ernst gemeint ist. Die Zeitung "Corriere della Sera" hat ausgerechnet, dass die erwarteten Einnahmen gerade ausreichen, um die nötige Infrastruktur und die Kontrollen zu finanzieren.
Viele mutmassen deshalb, dass der Beschluss - und insbesondere der Termin ausgerechnet jetzt - damit zusammenhängt, dass die UNESCO derzeit berät, ob Venedig auf die Rote Liste des "bedrohten Weltkulturerbes" gesetzt wird. Im Juli hatten Experten der UN-Kulturorganisation die Listung empfohlen, weil Stadt und Lagune irreversiblen Veränderungen durch Massentourismus und Klimawandel ausgesetzt seien.
Das brächte Venedig dann in eine Liga mit Kriegsgebieten wie Damaskus, Sanaa oder seit kurzem auch Odessa - was die um ihren Ruf besorgte Kommune natürlich unbedingt verhindern will. Die internationalen Schlagzeilen kommen Bürgermeister Brugnaro also ganz recht. Die UNESCO will in den nächsten Tagen entscheiden. (afd/dpa/cgo)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.