Tausende Menschen in der Schweiz melden pro Jahr einen Angehörigen als vermisst. Viele kehren nach kurzer Zeit zurück, andere können die Einsatzkräfte nur noch tot bergen. Einige verschwinden spurlos – zurück bleiben Freunde und Familie mit quälenden Fragen.

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Ein Mann aus Brugg bricht auf, um einen Bekannten zu besuchen, bei dem er nie ankommt. Anfang März verlässt ein 52-Jähriger bei Thurgau seine Wohnung – und ist seither spurlos verschwunden. Einen Monat später verlässt eine 40-Jährige – noch im Pyjama – ein Haus im Süden der Schweiz und fährt davon.

Stunden später sucht die Kantonspolizei Tessin über die Medien nach der Frau. Eine weitere Frau wird zu der Zeit schon seit Wochen gesucht. Sie ist 50 Jahre alt, verschwunden aus der Psychiatrischen Universitätsklinik in Zürich. In all diesen Vermisstenfällen setzen Polizei und Angehörige auf die Schweizer Bevölkerung - und haben sich für eine öffentliche Suche entschieden.

Pro Jahr werden in der Schweiz schätzungsweise zwischen 3.000 und 4.000 Menschen als vermisst gemeldet. Über die genaue Zahl können weder das Bundesamt für Polizei noch das Bundesamt für Statistik verlässliche Angaben machen. Die Kantonspolizeien bearbeiten die Fälle – und leiten die Daten nicht zwangsläufig weiter, da sie nicht in die Kriminalstatistik eingehen.

Jeder Fall ist ein Einzelfall

In der Regel melden Angehörige oder Freunde einen Menschen bei der nächsten Polizeistation als vermisst. Ein Irrglaube ist dabei, dass dies erst nach 48 Stunden möglich ist: "Grundsätzlich gibt es keinen festen Zeitpunkt", sagt Carmen Surber, Sprecherin der Kantonspolizei Zürich. Jeden Fall beurteilen die Beamten demnach neu.

Gerade wenn Menschen krank oder psychisch beeinträchtigt sind, wenn Senioren, Kinder und Jugendliche vermisst werden oder wenn Angehörige Hinweise darauf haben, dass sich der Verschwundene etwas antun könnte, handelt die Polizei sofort. In anderen Fällen gilt es zunächst, die Umstände genau zu prüfen, denn: Grundsätzlich dürfen Erwachsene ihr gewohntes Umfeld natürlich jederzeit verlassen - auch unangekündigt.

Was nach der Vermisstmeldung passiert

Zunächst befragen die Beamten Familie und Freunde des Vermissten. Er wird ins Fahndungssystem aufgenommen, so dass alle Kollegen informiert sind. Wenn nötig, machen sich Einsatzkräfte schnellstmöglich auf die Suche: zu Fuss, mit Hunden, per Helikopter. "Die Ortung von Mobiltelefonen muss im Einzelfall bewilligt werden", erklärt Polizeisprecherin Surber.

Über die Frage, ob der Vermisste auch über die Medien, also in der Öffentlichkeit gesucht wird, entscheiden die Angehörigen mit, und zwar aus gutem Grund: Surber zufolge handelt es sich um eine "sehr einschneidende Massnahme". Manche, die einen Menschen vermissen, ergreifen darüber hinaus selbst die Initiative, drucken Flyer oder verbreiten Fotos und Informationen in sozialen Netzwerken.

Es häufen sich die Fragen

Jacqueline Frossard ist Notfallpsychologin. Sie hat früher den Sozialdienst der Kantonspolizei Basel-Stadt geleitet. Dort war sie in Notfallsituationen für Angehörige von Vermissten da – und weiss sehr gut, in welchen Situationen sich diese befinden: "Es ist eine Mischung aus Angst, Trauer, Wut und Unsicherheit", erklärt sie.

Zunächst kommen die Fragen: "Ist dem lieben Menschen etwas passiert? Wurde er Opfer? Oder: Hat er sich einfach aus dem Staub gemacht?" Häufig bekämen Betroffene Schuldgefühle, sagt Frossard: "Ich hätte etwas merken müssen. Ich hätte sie oder ihn zurückhalten sollen. Oder: Wäre ich doch mitgegangen." Auch wenn objektiv völlig klar sei, dass derjenige nichts für das Verschwinden könne.

Auch im Kontakt mit der Polizei ergeben sich oft Spannungen. Die Angehörigen haben Angst - "ein Gefühl, dass die Polizisten, die emotional viel weniger betroffen sind, nicht gleich teilen", erläutert Frossard. Schnell fühlten sich die Hilfesuchenden allein gelassen. "Da sind rücksichtsvolle Beamte gefragt, die die Angehörigen zunächst auch aus ihrer Erfahrung heraus beruhigen können", sagt sie.

Carmen Surber von der Kantonspolizei Zürich berichtet von rund 150 Personen, die dort pro Jahr als vermisst gemeldet werden. Auch sie weiss: "Die meisten kehren nach einigen Stunden oder Tagen zurück oder sie werden gefunden - teilweise jedoch tot." Rund ein halbes Dutzend bleibt weiterhin vermisst. Was bleibt, sind die Angst, die Trauer und die Wut.

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