Die Zeiten, in denen die meisten Männer in der Schweiz eine Dienstwaffe zu Hause hatten, sind vorbei. Doch noch immer sind mehr als 2,5 Millionen Gewehre und Pistolen im Privatbesitz. Parlament und Regierung wollen nun die Gesetze verschärfen. Hobbyschützen wehren sich – per Referendum.
Warum gibt es in der Schweiz, wo sich in fast jedem Haushalt eine Schusswaffe findet, nicht ständig Schiessereien? Das fragte sich in den 1980er-Jahren schon John McPhee, Autor des Bestsellers "Der wachsame Friede der Schweiz". Die lapidare Antwort des amerikanischen Essayisten: Weil es verboten ist.
Etwas weniger ernsthaft forschte die US-Comedy-Sendung "The Daily Show" letzte Woche dem Phänomen nach: Reporter Michael Kosta hatte das Eidgenössische Feldschiessen besucht, um der friedlichen Schweizer Waffenkultur auf den Grund zu gehen. Hier der Beitrag (in Englisch):
Unter anderem traf er dort auf alt Bundesrat Samuel Schmid, der erklärte, warum die Schweiz trotz vieler Waffen kaum Tote und Verletzte durch Schusswaffen zu verzeichnen habe: "Wir haben Respekt vor der Waffe. Und dann ist es kein Problem."
Das Beispiel zeigt: Im Ausland registriert man stets mit einer Mischung aus Bewunderung, Neugierde und Erstaunen, wie Schweizer Soldaten ihre Dienstwaffen zu Hause aufbewahrten. Ausländische Touristen staunten früher oft nicht schlecht, wenn sie Teenager in Jeansjacken auf ihren Mopeds sahen, das Sturmgewehr auf den Schultern: Das war lange die übliche Samstagskluft von Mitglieder lokaler Schiessvereine.
Das Bild des bewaffneten Bürgers, der jederzeit bereit war, sein Land zu verteidigen, stand jahrzehntelang für den Sinnspruch, dass die Schweiz keine Armee habe, sondern eine Armee sei. Dann kam 1989, der Fall der Berliner Mauer, ein Drittel der Schweizer Bürger sprach sich für die Abschaffung des Militärs aus – und vieles änderte sich.
Heute ist die emotionale Bindung zwischen den Bürgern und der Armee nicht mehr jene, welche die Schweizer Mentalität in den Jahren des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Kriegs geprägt hat. Die Zahl der Soldaten ist zurückgegangen, die Armee ist im Alltag weniger präsent. Und das Sturmgewehr im eigenen Haushalt ist aus der Mode gekommen.
Weniger Dienstwaffen zu Hause
2017 wurden 1523 Sturmgewehre und 990 Gewehre an entlassene Soldaten ausgeliefert, wie die Zeitung "Blick" unter Berufung auf Zahlen des Verteidigungsdepartements berichtet. 90 Prozent der Soldaten, die ihre Dienstpflicht im Laufe des Jahres erfüllt hatten, nahmen ihre Dienstwaffen nicht mit nach Hause.
Im Jahr 2004 lag die Zahl der entlassenen Soldaten und Offiziere, die ihre Waffen mitgenommen hatten, noch bei 43 Prozent: Mehr als 20'000 Sturmgewehre wurden der Bevölkerung übergeben, fast 12'000 Pistolen. Die Zahlen für 2004 sind jedoch im Zusammenhang mit der Armeereform 21 zu lesen, die in diesem Jahr in Kraft getreten ist. Sie hat zu einem deutlichen Rückgang der Zahl der Soldaten im Dienst geführt und den Bestand in den Arsenalen reduziert.
In den folgenden Jahren gingen die Zahlen rapide zurück. Seit 2004 bis heute wurden den Abtretenden bei Dienstende insgesamt 106'000 Waffen ausgehändigt. Seit 2010 muss, wer eine Waffe nach Hause nehmen will, auch regelmässig an Schiessübungen teilnehmen. Dies hat das Mitnehmen der Waffe zweifellos unattraktiver gemacht.
Boom bei den Kaufgenehmigungen
Das heisst aber nicht, dass die traditionelle Leidenschaft vieler Schweizer für Schusswaffen verschwunden ist. Laut der "NZZ am Sonntag" haben die Kantone im vergangenen Jahr zwischen 30'000 und 35'000 Bewilligungen für den Kauf von Waffen erteilt. Bewilligungspflichtig sind Pistolen, Revolver und halbautomatische Waffen. Die Anzahl der tatsächlich gekauften Waffen liegt laut der Zeitung zwischen 45'000 und 55'000.
Andere journalistische Umfragen (z.B. von Der Bund und Tages Anzeiger) haben ergeben, dass in den letzten Jahren die Anträge für Waffenkaufsgenehmigungen massiv zunahmen. Die "NZZ am Sonntag" geht – gestützt auf Schätzungen des Bundes und Einkaufserhebungen der letzten Jahre – davon aus, dass die Anzahl der Schusswaffen in der Hand von Privatpersonen zwischen 2,5 und 3 Millionen liegt.
In einer Studie von 2011 erwähnte die Genfer Nichtregierungsorganisation Small Arms Survey sogar 3,4 Millionen Waffen. Damit stünde die Schweiz nach den USA und Jemen weltweit an dritter Stelle unter den Ländern mit der höchsten Waffendichte pro Kopf. Neuere Daten derselben Organisation, die sich auf 2017 beziehen, revidieren jedoch diese Schätzungen deutlich: Etwa 2,3 Millionen Waffen – so die aktuelle Schätzung – würden sich in privaten Händen befinden. Das bedeutet, dass in der Schweiz jeder dritte bis vierte Einwohner eine Waffe besitzt.
Die grosse Waffendichte in der Schweiz erklärt sich nicht nur durch die Möglichkeit, dass entlassene Soldaten die Dienstwaffe mit nach Hause nehmen können. Verantwortlich dafür ist auch die eher liberale Gesetzgebung. Und genau diese könnte sich jedoch bald ändern. Regierung und Parlament wollen die Regeln für den Waffenbesitz verschärfen und an die Richtlinien der Europäischen Union anpassen.
Strengere Normen
Eineinhalb Jahre nach den Terroranschlägen von Paris im November 2015 beschloss die EU, halbautomatische Waffen zu verbieten. Zu dieser Kategorie gehören auch Sturmgewehre der Schweizer Armee. Die dem Schengen-Raum angehörende Schweiz ist verpflichtet, die europäischen Rechtsvorschriften bis Ende Mai 2019 zumindest im Grundsatz anzuwenden. Bern ist es jedoch gelungen, zahlreiche Ausnahmen zu erhalten.
Insbesondere Dienstwaffen, die von Soldaten nach Beendigung ihrer Dienstzeit übernommen werden, fallen nun nicht mehr unter die Kategorie der verbotenen Waffen. Nur der Weiterverkauf des Gewehrs bedarf laut dem neuen Gesetz einer besonderen Genehmigung. Sportschützen hingegen müssten Mitglied eines Schützenvereins sein oder nachweisen, dass sie regelmässig an Schiessübungen teilnehmen.
Für die Schützenverbände geht die Reform zu weit. Sie befürchten, dass die neuen Regeln das Ende des Schiessens als Breitensport markieren und Waffenbesitzer unter Generalverdacht stellen. Aus diesem Grund ergriff der Schweizer Schiesssportverband (SSV) das Referendum gegen die Gesetzesrevision.
Am Donnerstag hat der SSV dieses mit 125'000 Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht. Notwendig gewesen wären 50'000 Unterschriften. Das Schweizer Stimmvolk wird daher am 19. Mai zur Verschärfung der Gesetzgebung über den Waffenbesitz Stellung nehmen müssen.
(Übertragen aus dem Italienischen)
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