Tausende Feuer wüten im Amazonasgebiet und bringen die grüne Lunge des Planeten in Gefahr. Die Lage ist so schlimm, dass die Welt den Druck auf Brasilien erhöht. Auch WWF-Experte Roberto Maldonado warnt im Interview: "Die Lage ist dramatisch."
Herr Maldonado, wie schlimm schätzt der WWF die Lage vor Ort im Amazonas-Gebiet ein?
Roberto Maldonado: Die Lage ist dramatisch. Wir erwarten bis zu einer Verdopplung der Entwaldung allein im brasilianischen Urwald. Sie ist aber auch in den Anrainerstaaten wie zum Beispiel Bolivien oder Kolumbien dramatisch.
Welche Auswirkungen haben die Brände auf die Pflanzen- und Tierwelt vor Ort?
Wir haben derzeit eine Rauchwolke, die zirka 3.000 Kilometer lang ist. Das entspricht etwa der Entfernung Luftlinie Berlin – Marrakesch. Das hat zum einen erhebliche gesundheitliche Folgen für die Bevölkerung. Das Feuer gefährdet traditionell lebende Menschen - indigene und andere - direkt. Sie verlieren dadurch ihre Heimat und ihre Nahrungsquellen. Zum anderen gefährden Feuer und Rauch natürlich auch viele Tiere, einschliesslich ganzer Tierarten. Und die Brände gefährden letztendlich in Summe auch das Weltklima.
Sind die langfristigen Auswirkungen schon absehbar?
Ja, sie sind absehbar. Wenn die Entwaldung wieder stark zunimmt, können wir unsere globalen Klimaziele, die übrigens auch Brasilien unterstützt, nicht mehr einhalten. Damit wären die Ziele des Pariser Klimaabkommens nicht mehr zu erreichen.
Besteht die Möglichkeit, dass sich der Regenwald nach dem Feuer wieder erholt?
Die Widerstandskraft des Amazonas-Regenwaldes ist durchaus stärker, als wir angenommen haben. Wenn der Mensch nicht jedes Jahr die gleichen Flächen verbrennt, könnte er sich in vielen Fällen auch wieder erholen.
Wird genug für die Bekämpfung der Brände vor Ort getan?
Im Gegenteil. Im Moment wird viel zu wenig getan. Was getan werden muss und was Brasilien, wie in der Vergangenheit auch schon gezeigt, tun kann: Die vorherrschende Stimmung der Impunität, der Straffreiheit, muss sofort beendet werden. Sie führt zu illegaler Entwaldung im ganz grossen Stil. Dahinter stecken oft Landspekulanten.
Hier muss die brasilianische Regierung ein Zeichen setzen und konkret auch die Umweltbehörden deren Arbeit machen lassen. Wenn man die Budgets zusammenstreicht und die Beamten einschüchtert, kann man natürlich weniger Kontrollen durchführen und somit auch einen "Freibrief" erteilen.
Liegt es damit allein an Brasilien, die Lage zu verbessern?
Nein, auch wir hier in Deutschland und Europa sollten einiges tun. Wir müssen zum Beispiel – und der WWF fordert das von der Bundesregierung und Kanzlerin Angela Merkel – das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Mercosur (der südamerikanische Binnenmarkt, Anm. d. Red.) nachverhandeln. Es muss selbstverständlich sein, dass hier soziale und Umwelt-Mindeststandards eingehalten werden. Niemand möchte in Deutschland Fleisch aus illegal gerodetem Urwald, aus indigenen Territorien oder aus staatlichen Schutzgebieten.
Doch auch die Wirtschaft ist gefragt: Unternehmen, die gute Geschäfte mit den Mercusor-Staaten - allen voran Brasilien - machen, sollten ihre Lieferketten überprüfen. Keiner braucht Autos oder Lebensmittel, die mit illegal gerodetem Regenwald in Verbindung gebracht werden.
Nun hat Macron die Waldbrände auf die Agenda des G7-Gipfels in Biarritz gesetzt. Ist das der richtige Schritt?
Europa muss als Partner auf Augenhöhe der Mercosur-Staaten auch deren wirtschaftliche Interessen verteidigen. Doch Brasilien kann die Agrarproduktion auch steigern, ohne einen einzigen Baum zu fällen. Deswegen muss man solche Entwicklungen, wie sie gerade stattfinden, nicht hinnehmen.
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