Vergewaltigungen als Kriegswaffe sind auf dem Vormarsch: Dies das traurige Fazit von Expertinnen und Spezialisten an einer Konferenz in Genf. Die schweizerische Organisation Trial International, die das Treffen organisierte, kämpft zusammen mit der Schweizer Diplomatie gegen die Straflosigkeit für Täter in Syrien, Myanmar, der Demokratischen Republik Kongo oder Libyen.

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Was Céline Bardet, Gründerin der Nichtregierungs-Organisation "We are not weapons of war" (Wir sind keine Kriegswaffen), sagt, muss erschüttern: "Es gibt heute keinen Konflikt in der Welt, in der Vergewaltigung nicht als Waffe eingesetzt wird. Es ist eine extrem wirksame Kriegswaffe, mit vielen Auswirkungen, die nicht nur das Opfer direkt, sondern auch dessen Familie und die Gemeinschaft als Ganzes treffen."

Und weiter: "Da die Täter solcher Gräueltaten die Regel straflos bleiben, wird sie umso mehr eingesetzt."

Mit rund 50 anderen Aktivistinnen und Spezialisten hat Bardet Mitte Juni 2018 an einem Treffen in Genf teilgenommen, das von der Schweizer NGO Trial International zum 15. Jahrestag ihrer Gründung organisiert worden war.

Susannah Sirkin von der NGO "Physicians for Human Rights" (Ärzte für Menschenrechte) argumentierte ähnlich: "Das Erste, was wir tun müssen, ist Prävention. Und wir müssen der Straflosigkeit für jene, die diese Verbrechen begehen und organisieren, ein Ende setzen. Ist die Straflosigkeit total, wie beispielsweise in Syrien und Myanmar, ermutigt dies Vergewaltiger überall dort, wo Krieg herrscht."

Übereinstimmende Beobachtung der Teilnehmenden: sexuelle Gewalt in Konflikten breitet sich aus. Doch gibt es bis heute immer noch keine internationale Studie, die das Ausmass dieser Art von Kriegsverbrechen genauer erfasst.

Schätzungen zufolge wurden in den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien (1992-1995) mehr als 20'000 Frauen vergewaltigt. Für die Demokratische Republik Kongo (DRK) beläuft sich die Schätzung auf über eine Million Frauen. Im riesigen Land herrschten seit den 1990er-Jahren mehrere Kriege. Allein für letztes Jahr erfasste die UNO 5783 Vergewaltigungen, die tatsächlichen Zahlen aber dürften noch viel höher liegen.

Männer im Visier

Am extremsten aber ist die Lage laut Céline Bardet in Libyen. "Das Besondere dort ist, dass Vergewaltigungen praktisch systematisch eingesetzt wurden und immer noch werden: Während der Herrschaft Gaddafis, während der Revolution und heute in den Gefängnissen. Vergewaltigungen sind zu einem Instrument der Rache geworden, das praktisch alle Seiten einsetzen und das vor allem Männer im Visier hat", so Bardet.

Was weiss man über die Beweggründe der Täter, die solche Verbrechen begehen? "In den zahlreichen Zeugenaussagen, die zusammengetragen wurden, wird von den Drohungen der Täter gesprochen, seien es Anführer von Milizen oder Vertreter der Armee. Dies zeigt den Willen der Täter, eine Gemeinschaft zerstören zu wollen, indem man die Identität der nächsten Generation verändert", erklärt Susannah Sirkin.

Jesidische Opfer, Angehörige einer Minderheit im Norden Iraks, gaben an, Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hätten ihnen während der Versklavung gesagt, sie würden ihnen ein IS-Kind machen, um die Jesiden-Gemeinschaft zu zerstören. Dies verdeutlicht den völkermordähnlichen Charakter dieser Vergewaltigungen.

Auch in Bosnien hatten die serbischen Folterer bosnischen Frauen gesagt, sie würden ihnen ein serbisches Kind machen. Versuche, eine ganze Gemeinschaft durch erzwungene Schwangerschaften zu verändern, sind zudem auch in der sudanesischen Bürgerkriegsregion Darfur dokumentiert.

"Aber in der Mehrheit der uns bekannten Fälle wird Vergewaltigung eingesetzt, um eine ganze Bevölkerung zu terrorisieren und zu vertreiben. Dies im Rahmen einer Operation ethnischer Säuberung", sagt Susannah Sirkin weiter.

Doch das Bewusstsein für diese Gräueltaten und deren weitreichenden Auswirkungen steckt immer noch in den Kinderschuhen. "Bis 1945 wurden Vergewaltigungen in Kriegszeiten als Kollateralschäden betrachtet, nicht als echte Verbrechen", erklärt Lucie Canal, Rechtsberaterin für sexuelle Gewalt bei Trial International.

Erst wenige Gerichtsverfahren

Erstmals explizit aufgeführt wurde Vergewaltigung in der Vierten Genfer Konvention. Allerdings wurde sie nicht als schweres Kriegsverbrechen eingestuft. Erst die Internationalen Kriegsverbrechertribunale für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda machten es möglich, diese Verbrechen im Völkerrecht präziser zu definieren.

Das Römer Statut von 1998, das die rechtliche Grundlage zur Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs schuf, listete auch jene Kriterien auf, die Vergewaltigung oder sexuelle Gewalt in Kriegszeiten oder im Fall von gewaltsamer Unterdrückung als Kriegsverbrechen definieren. Dazu gehören auch Zwangsprostitution, erzwungene Schwangerschaften oder sexuelle Versklavung.

Doch während die Internationalen Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda Kriegsverbrecher wegen systematischer Vergewaltigung verurteilt haben, hat dies der Internationale Strafgerichtshof bisher noch nicht geschafft.

Nationale Gerichte als Hoffnungsträger

Das erste Urteil dieses Gerichtshofs gegen den Kongolesen Jean-Pierre Bemba wurde vor einem Monat von der Berufungsinstanz aufgehoben. Der Grund waren Verfahrensmängel. Er war ursprünglich auch wegen Vergewaltigung und sexueller Gewalt verurteilt worden.

Die Hoffnungen ruhen also auf den nationalen Gerichten. Denn diese sind im Prinzip auch mit der universellen Gerichtsbarkeit ausgestattet. Aber Fälle, wonach nationale Gerichte internationale Verfahren wegen Verstosses gegen die Menschenrechte durchgeführt haben, sind noch selten.

Trial International will die in Genf diskutierten Ideen weiterverfolgen. Denn der Weg zu einem besseren Schutz von Menschen in Konfliktgebieten vor Vergewaltigung und sexueller Gewalt ist noch sehr weit. Ebenso die Bemühungen, den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.


(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)  © swissinfo.ch

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