Am Samstagabend fand in einem Dorf in der Nordostschweiz ein Konzert von rechtsextremen Bands mit Tausenden Besuchern statt. Presse und Politiker zeigen sich schockiert von der bisher grössten Massenversammlung von Rechtsradikalen: Die Schweiz will kein Mekka für deutsche Neonazis sein.
Die Gemeinde im sankt-gallischen Toggenburg wurde überrumpelt: Zwar hatte sie den Anlass als "Konzert von Schweizer Nachwuchsbands" bewilligt, wusste jedoch nicht, dass Tausende Neonazis aus Deutschland für ein Konzert von rechtsextremen Bands anreisen würden.
Nach dem ersten Schreck atmeten die Behörden auf, da der Anlass friedlich verlief. Doch die Schweizer Presse ist sich einig: Das genügt nicht.
Es sei mitnichten noch mal alles gut gegangen, kommentiert der "Tages-Anzeiger" beziehungsweise "Der Bund". "Wer findet, man soll es ignorieren, wenn sich solches Gesindel zusammenrottet und unter sich bleibt, werfe einen Blick auf die aufgetretenen Bands und deren Texte." Wenn Behörden und Hallenvermieter im Umgang mit dem braunen Mob weiterhin derart naiv agierten, bestehe die Gefahr, dass die Schweiz als Aufmarschgebiet für Neonazis noch beliebter werde.
Das sieht die Zeitung "Le Temps" gleich: Die Rechtsextremen hätten sich mit einer beunruhigenden Leichtigkeit im Toggenburg treffen können. Damit die Schweiz nicht zum Paradies für solche rassistischen Konzertorganisatoren werde, genüge es nicht, nur über den Lärmschutz zu wachen.
"Wird die Schweiz zum Paradies von Neonazis?", fragt auch die Zeitung "Tribune de Genève" und begrüsst die Reaktion des Gemeindepräsidenten, der den Affront nicht hinnehmen will. Das sende eine notwendige Mitteilung der Intoleranz gegenüber solchen Ereignissen aus. "Schade, dass das Bundesgericht, das 2014 den Nazigruss in der Öffentlichkeit nicht verbieten wollte, dieser Argumentation nicht folgt."
Deutliche Worte findet die "Luzerner Zeitung": Der Vorfall dürfe nicht runtergespielt werden. "Dass sich ein brauner Mob in einem Schweizer Dorf ohne Konsequenzen treffen kann, schockiert. Dass Bands ihre expliziten Texte ins Mikrofon grölen können, ohne dass ihnen jemand den Strom abdreht, macht wütend."
Die Schweiz ist schockiert
Nicht nur auf den sozialen Netzwerken wurde heftig debattiert, auch Schweizer Politiker und Politikerinnen reagierten schockiert. Der "Tages-Anzeiger" beziehungsweise "Der Bund" zitiert die Sicherheitspolitikerin Chantal Galladé von der Sozialdemokratischen Partei (SP): "Es darf nicht sein, dass Rechtsradikale in die Schweiz ausweichen, weil es hier einfacher für sie ist, Anlässe durchzuführen." Und Walter Müller von der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP) sagte gegenüber der Zeitung: "Die Polizei hätte einschreiten müssen."
Die Polizei war vom Nachrichtendienst informiert worden, griff aber nicht ein. Sie war in der Halle nicht einmal präsent, mit der Begründung, es handle sich um einen privaten Anlass. Die Konzertkarten waren im geschlossenen Kreis verkauft worden. Doch laut Schweizer Presse ist das kein Argument. Der "Tages-Anzeiger" zitiert den Rechtsprofessor Marc Forster und das Bundesgericht, wonach rassistische Äusserungen auch bei privaten Grossveranstaltungen unter die Rassismus-Strafnorm fielen.
Ein Konzert mit Nachspiel
Der Anlass könnte durchaus Folgen haben: Die Gemeinde prüft laut Medienberichten rechtliche Schritte. Beispielsweise will sie mit der Staatsanwaltschaft prüfen, ob durch rechtsextreme Liedtexte die Rassismus-Strafnorm verletzt wurde.
Bereits heute könnte das Neonazi-Konzert in der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats zum Thema werden, berichtet der "Tages-Anzeiger". Beat Flach von der Grünliberalen Partei (GLP) und Jakob Büchler von der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) wollen laut dem "Tages-Anzeiger" von Nachrichtendienstchef Markus Seiler wissen, wie künftig solche Versammlungen von Neonazis verhindert werden könnten.
© swissinfo.ch
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