Bei Kennedy, der Mondlandung oder Elvis mögen Verschwörungstheorien Unterhaltungswert haben. Doch bei 9/11 wird es ernst. Im Internet und in den Buchläden tobt ein Krieg um die Deutungshoheit der Anschläge vom 11. September. Und keine Theorie scheint zu absurd.

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New York (dpa) - Wer mochte da noch an Zufall glauben: Q33NY, Flugnummer des ersten Flugzeugs, das am 11. September 2001 das World Trade Center traf, ergebe in der Schriftart Wingdings seltsame Symbole, hiess es in Internetforen: Ein Flugzeug, zwei wie Hochhäuser aussehende Papierseiten, ein Totenkopf - und ein Davidstern. Verschwörungstheorien wie diese kursieren seit zehn Jahren massenhaft durch das Internet und die Buchläden. Oft sind sie antisemitisch, praktisch immer antiamerikanisch und fast immer leicht zu widerlegen. Und dennoch reisst der Strom der Gläubigen nicht ab.

Dutzende, Hunderte, ja Tausende Theorien gibt es, was an dem Septembertag "wirklich" geschah. Viele sind so plump wie die Wingdings-Mär. Denn die tatsächlichen Flugnummern waren AA 011 und UA 175. Die Q33NY ist schlicht erfunden - und wird von vielen immer noch für bare Münze genommen. Bilder einer Teufelsfratze im Rauch der brennenden Türme stellten sich schnell als Fälschungen heraus. Das galt auch für das Bild vom Touristen auf dem Dach des Nordturms, während hinter ihm eine Boeing heranrast. Nicht einmal der Flugzeugtyp stimmte.

Doch es geht auch raffinierter. Und vor allem profitabler. Denn Bücher über Verschwörungstheorien verkaufen sich prächtig und die über "9/11" besonders. Hat die Katastrophe doch alles, was eine gute Geschichte braucht: Böse Amerikaner, nichtsahnende Taliban, denen man alles in die Schuhe schieben kann, unschuldige Opfer und ebenso raffinierte wie gierige Juden. Denn dass die wieder einmal etwas damit zu hätten, sei ja wohl klar - siehe Davidstern bei Wingdings.

Und die Fragen klingen in der Tat plausibel. Warum hat kein Geheimdienst etwas von der Planung mitbekommen? Wie konnten die Terroristen mit Messern und Pfeffersprays die Flugzeuge in ihre Gewalt bringen? Wieso konnten sie so gut fliegen? Warum ist das Loch im Pentagon so klein? Und wieso konnten die Gebäude einstürzen?

Das Problem: Viele selbst ernannte Experten stellen nicht nur Fragen, sondern geben auch gleich Antworten, in denen kräftig Ideologie mitschwingt. Für die meisten ist es ausgemachte Sache, dass die Amerikaner selbst die Türme sprengten und einen Marschflugkörper ins Pentagon jagten, um einen Kriegsgrund zu haben. Und Israel steckte natürlich ganz tief mit drin. Gleich mehrere Gruppen mit "Wahrheit" im Namen versprechen alle Fakten - und hinterlassen mehr Fragen als sie beantworten. Nur die offenliegendste: Wenn die Amerikaner tatsächlich ihr eigenes Verteidigungsministerium mit einer Rakete beschossen haben - wo ist dann das Flugzeug mit 59 Menschen?

Mit Halbwahrheiten oder schlicht dem Verschweigen von Fakten lässt sich ein - zumindest auf den ersten Blick - plausibles Konstrukt aufbauen. Und wo die Argumente gänzlich fehlen, werden Fragen gestellt, die wie Fakten klingen. Dabei ist sich die Szene allerdings selbst nicht grün. Als der Philosoph James H. Fetzer ernsthaft Mini-Atombomben im World Trade Center oder den Beschuss durch Killersatelliten, natürlich durch die Amerikaner, als Ursache erwog, spaltete er seine Gruppe "Gelehrte für die Wahrheit".

Solche Mythen sind ganz normal, schreibt der Medienwissenschaftler Alexander Halavais in einem Aufsatz: "Das ist der natürliche Versuch, einer Katastrophe Sinn zu geben." Doch obwohl sich Webseiten wie www.911mythos.com um Fakten bemühen, obwohl viele Rätsel schon beim zweiten Hinsehen keine mehr sind, obwohl das "Opfer" Al-Kaida nicht müde wurde, sich zu den Anschlägen zu bekennen - Millionen Menschen glauben, dass die Amerikaner die Türme selbst gesprengt haben.

Und es werden mehr. In Jordanien glauben nach einer neuen Umfrage des PEW-Instituts nur noch 22 Prozent, dass die Terroristen Araber waren. Vor fünf Jahren waren es fast doppelt so viele. In Pakistan sind es 12 und in der Türkei gar nur 9 Prozent. Und 2008 gab in einem anderen Land jeder vierte an, er halte die USA oder Israel für die Drahtzieher. Es war kein Land mit muslimischer Mehrheit, nicht einmal mit einem grossen Araberanteil. Es war Deutschland.

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