Wenn es um Abschiebung von Gefährdern aus Deutschland geht, stellen sich die zuständigen Behörden offensichtlich ebenso amateurhaft an wie bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Die Opposition wirft der Regierung in Nordrhein-Westfalen im Fall von Sami A. Rechtsbruch vor.

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Nach der umstrittenen Abschiebung des Islamisten Sami A. verlangen Grüne und SPD im Düsseldorfer Landtag Aufklärung zu den Ungereimtheiten.

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Sondersitzung des Rechtsausschusses

Am Freitag soll sich der Rechtsausschuss in einer Sondersitzung mit dem Fall befassen. Die Oppositionsfraktionen vermuten einen Rechtsbruch.

Sie wollen dem Verdacht nachgehen, dass die Rückführung nur gelingen konnte, weil Bundes- und Landesbehörden das zuständige Gericht getäuscht haben.

FDP nimmt ihren Minister in Schutz

Grünen-Chef Robert Habeck sprach von Rechtsbeugung. Die Bundes-FDP nahm hingegen den nordrhein-westfälischen Flüchtlingsminister Joachim Stamp (FDP) in Schutz.

Unterdessen wurde bekannt, dass es einen weiteren Fall eines möglicherweise rechtswidrig abgeschobenen Flüchtlings gibt.

Trotz laufenden Verfahrens abgeschoben

Es handelt sich nach Recherchen des Senders NDR um einen Afghanen aus Mecklenburg-Vorpommern, der in der vergangenen Woche zusammen mit 68 Landsleuten nach Kabul zurückgebracht worden war.

Das Verfahren, mit dem der 20-Jährige gegen seinen negativen Asylentscheid klagte, sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen gewesen. Deswegen "hätte keine Abschiebung erfolgen dürfen", zitierte der Sender einen Sprecher des Verwaltungsgerichts Greifswald.

Sami A. ist ein Sicherheitsrisiko

Sami A. wird als Gefährder eingestuft. Die Sicherheitsbehörden trauen ihm eine schwere Straftat wie einen Anschlag zu.

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hatte am Donnerstagabend entschieden, dass Sami A. weiterhin nicht abgeschoben werden dürfe, weil nicht auszuschliessen sei, dass ihm in Tunesien Folter drohe. Jedoch übermittelte es den Beschluss erst am Freitagmorgen, als das Flugzeug mit Sami A. schon in der Luft war.

Die Schuld soll beim Bamf liegen

Ein Gerichtssprecher erklärte, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) habe zuvor den Eindruck erweckt, es werde abwarten, bis das Gericht entschieden habe. Es verlangt nun, dass der Abgeschobene aus Tunesien zurückgeholt wird. Dagegen will das Flüchtlingsministerium NRW Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht Münster einlegen.

Der Islamist sei voreilig in sein Heimatland geflogen worden, sagte Grünen-Chef Habeck im ZDF-"Morgenmagazin". Es gebe noch grossen Klärungsbedarf.

Habeck spricht von Behörden-"Chaos"

"Entweder die Behörden arbeiten nicht gut zusammen, es herrscht Chaos, oder es gibt eine Art Weisung von oben, die gar nicht ausgesprochen sein muss", sagte er.

Das Bundesinnenministerium und das Bamf hätten gewusst, dass ein Gerichtsverfahren am Verwaltungsgericht Gelsenkirchen ausstehe, sagte Habeck. Deswegen sei es nicht die Frage, ob das gerichtliche Abschiebeverbot rechtzeitig beim Bamf eingegangen sei. Das Bamf wollte sich unter Verweis auf laufende Verfahren nicht äussern.

Die FDP beschwört den Rechsstaat

Die FDP stellte sich hingegen hinter Stamp. Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Marco Buschmann, sagte: "Wir brauchen mehr Politiker, die den Rechtsstaat tatsächlich durchsetzen und weniger, die nur darüber reden."

Stamp habe im Rahmen von Recht und Gesetz gehandelt, um einen Gefährder abzuschieben. Vize-Fraktionschef Stephan Thomae sagte: "Die Hilfsbereitschaft unseres Landes gilt natürlich nicht unbegrenzt." Der Rechtsstaat müsse auch zu einer "konsequenten Abschiebepraxis" imstande sein.

Kubicki kritisiert Willkür der Behörden

FDP-Vize Wolfgang Kubicki sieht jedoch ein grundsätzliches Problem. Er sagte dem rbb-Sender Radioeins unter anderem: "Wenn die Gerichte sich nicht mehr darauf verlassen können, dass die Behörden ihnen gegenüber die Wahrheit erklären, dann sieht es dunkel aus in Deutschland."

Stamp hatte die Abschiebung von Sami A. verteidigt. Am Montag erklärte er, zum Zeitpunkt des Fluges am vergangenen Freitag habe keine gerichtliche Entscheidung vorgelegen, die der Abschiebung entgegengestanden hätte.

Seehofer schweigt

Innenminister Horst Seehofer (CSU) äusserte sich bis Dienstagnachmittag nicht selbst zu dem Fall. Ein in Düsseldorf geplantes Treffen Seehofers mit Stamp war überraschend abgesagt worden. Das Landesministerium begründete das mit offenen Fragen auf Arbeitsebene. Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums bekräftigte: "Die Absage des Besuchs hat nichts mit Sami A. zu tun."

Sami A. ist machtlos

Sami A. sitzt zurzeit in Tunesien in Gewahrsam. Er antwortete auf Fragen, die die "Bild"-Zeitung über Sami A.s tunesischen Anwalt an ihn gerichtet und die dieser übermittelt hatte: "Um drei Uhr früh haben sie mich einfach mitgenommen."

Und weiter: "Ich habe der Polizei gesagt: Das geht so nicht, ein Gericht hat meine Abschiebung untersagt! Aber sie haben gesagt, dass das von ganz oben kommt und ich nichts dagegen tun könne." Ihm sei auch Kontakt zu seinem Anwalt verweigert worden.

Täuschung durch das Bamf

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) kritisierte die Rolle des Bamf scharf. Es werde immer klarer, dass das Bamf im gerichtlichen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen getäuscht habe, erklärte DAV-Präsident Ulrich Schellenberg.

Der Staatsrechtler Ulrich Battis sieht den Rechtsstaat in Gefahr. "Bei allem öffentlichen Druck darauf, den Gefährder loszuwerden: Wenn Behörden so vorgehen und offen gegen die Regeln des Rechtsstaates verstossen, hat das fatale Folgen", sagte er der "Nordwest-Zeitung".  © dpa

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