Die Landwirtschaft soll in erster Linie der Versorgung der lokalen Bevölkerung mit nachhaltig produzierten Lebensmitteln dienen: Das fordert die Initiative "Für Ernährungssouveränität". Die Gegner befürchten übermässige staatliche Eingriffe in den Agrarmarkt und eine schädliche Tarifpolitik.
Die Volksinitiative "Für Ernährungssouveränität. Die Landwirtschaft betrifft uns alle" wurde von den Gewerkschaften Uniterre und L'autre syndicat lanciert. Sie fordert eine radikale Änderung der eidgenössischen Agrarpolitik.
Der Initiativtext – einer der längsten in der Geschichte der direkten Demokratie der Schweiz – formuliert ein zehn-Punkte-Programm für eine diversifizierte und nachhaltige lokale Landwirtschaft, die frei von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) und in der Lage sein soll, Beschäftigung und gute Lohnbedingungen zu bieten.
Die Initiative orientiert sich am Konzept der Ernährungssouveränität, das La Via Campesina propagiert. Beide Gewerkschaften sind Mitglieder dieser internationalen Bewegung der Kleinbauern. Diese war eine Antwort auf die Agrarpolitik und den Strukturwandel in der Landwirtschaft seit Mitte der 1990er-Jahre.
Ihre Anhänger kritisieren besonders, dass es immer weniger Bauernbetriebe gibt und beklagen die Preisschwankungen, den Druck des internationalen Wettbewerbs auf die Landwirte, die Macht der grossen Lebensmittelkonzerne und die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt.
Was verlangt die Initiative?
Sollte die Initiative angenommen werden, würde ein neuer Artikel zur Ernährungssouveränität in die Bundesverfassung aufgenommen. Die ersten beiden Absätze enthalten die allgemeinen Ziele der Verfassungsänderung. Der Bund wird verpflichtet, "eine einheimische bäuerliche Landwirtschaft, die einträglich und vielfältig ist, gesunde Lebensmittel produziert und den gesellschaftlichen und ökologischen Erwartungen der Bevölkerung gerecht wird", zu fördern. Lebensmittel und Tierfutter müssten weitgehend einheimischen Ursprungs sein, und ihre Produktion müsste die natürlichen Ressourcen schonen.
Die darauffolgenden Absätze enthalten konkrete Massnahmen, wie diese Ziele erreicht werden sollen. Der Bund soll beauftragt werden, Massnahmen zu ergreifen, um die Zahl der in der Landwirtschaft tätigen Personen zu erhöhen, Ackerland zu erhalten und den Bauern das Recht auf Nutzung, Vermehrung und Austausch von Saatgut zu garantieren. Die landwirtschaftliche Nutzung gentechnisch veränderter Organismen soll ausdrücklich verboten werden.
Der Staat muss auch die Transparenz des Binnenmarkts gewährleisten, die Festsetzung fairer Preise fördern und regionale Verarbeitungs- und Lagereinrichtungen stärken. Besonderes Augenmerk muss auf die Arbeitsbedingungen der landwirtschaftlichen Angestellten gelegt werden, auch durch eine Harmonisierung auf Bundesebene.
Um ihre Ziele zu erreichen, sieht die Initiative vor, die Produktion nach Schweizer Sozial- und Umweltstandards zu schützen, indem landwirtschaftliche Produkte, die diesen Standards nicht entsprechen, mit Importzöllen oder -verboten belegt werden. Andererseits zielt die Initiative auf die Abschaffung der Exportsubventionen ab.
Der Bund soll auch die Bevölkerung über die Bedingungen, unter denen einheimische und importierte Lebensmittel hergestellt und verarbeitet werden, informieren und sensibilisieren.
Warum empfiehlt die Regierung ein Nein?
In seiner Botschaft vom 15. Februar 2017 forderte der Bundesrat (Landesregierung) das Parlament auf, die Initiative abzulehnen. Die Regierung geht davon aus, dass der Vorschlag die agrarpolitischen Fortschritte der letzten 25 Jahre gefährden, die Wettbewerbsfähigkeit und den Innovationsgeist der Schweizer Lebensmittelversorgungskette beeinträchtigen und den aussenpolitischen Handlungsspielraum der Schweiz unangemessen einschränken wird.
Einerseits ist das Ziel der Förderung einer vielfältigen und nachhaltigen ländlichen Landwirtschaft laut Regierung bereits durch die Bundesverfassung und namentlich durch den durch das Stimmvolk im September 2017 verabschiedeten Artikel 104a zur Ernährungssicherheit gewährleistet.
Der Bund verfüge auch über Instrumente zum Schutz der landwirtschaftlichen Flächen und Preise sowie zur Förderung der Verarbeitung, Lagerung und Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte auf lokaler Ebene. Die Exportsubventionen werden in jedem Fall bis 2020 gemäss den im Rahmen der Welthandels-Organisation (WTO) getroffenen Vereinbarungen abgeschafft.
Andererseits betrachtet die Regierung die Initiative als eine gefährliche Abkehr von der Öffnung des Agrarmarkts, die sie seit 25 Jahren vorantreibt. Verstärkte staatliche Eingriffe in Strukturen und Markt führten zu höheren Preisen für Agrarprodukte und damit zu einem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Landwirtschaft. Auch der Tourismus und die Gastronomie wären betroffen.
Weiter betont die Regierung, ein generelles Verbot von GVO und anderen verwandten Technologien gefährde das Innovationspotenzial der Schweiz. Und eine Harmonisierung der Arbeitsbedingungen auf Bundesebene verletze die kantonalen Kompetenzen im Rahmen der normalen Arbeitsverträge.
Schliesslich sieht der Bundesrat ein Risiko für die Schweizer Wirtschaft, weil Zölle gemäss der Initiative auch unter Verletzung internationaler Verpflichtungen erhöht werden müssten. Einerseits stünde der Bund vor der fast unmöglichen Aufgabe, die Einhaltung der Schweizer Sozial- und Umweltstandards im Ausland zu überwachen. Andererseits könnte sich die einseitige Anwendung von Zollschutzmassnahmen sehr negativ auf die Handelsbeziehungen der Schweiz auswirken.
Was meint das Parlament?
Die Volksinitiative "für Ernährungssouveränität" konnte auch eine Mehrheit des Parlaments nicht überzeugen. Besonders heftig war die Debatte im Nationalrat (Volkskammer), wo fast alle Fraktionen Verständnis und Sympathie für die Forderungen der Initiative zeigten.
Besonders Mitglieder der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) nutzten die Debatte, um die agrarpolitischen Pläne des Bundesrats ins Visier zu nehmen. Ab 2022 will sich die Regierung auf den freien Handel und den Abbau des Zollschutzes konzentrieren.
Einzig die Grünen hielten die Initiative für angemessen, um damit das Ziel des Schutzes einer diversifizierten und nachhaltigen Landwirtschaft zu erreichen. "Wir müssen ein starkes Signal gegen eine von der Scholle entfremdete industrielle Landwirtschaft setzen, welche die Schweizer Bevölkerung schon immer vermeiden wollte", ist Adèle Thorens Goumaz aus dem Kanton Waadt überzeugt.
Die anderen Fraktionen, wie auch die Regierung, waren der Ansicht, dass viele der Vorschläge bereits eine Rechtsgrundlage hätten, während andere Forderungen als überzogen angesehen wurden. "Die Initiative ist gut gemeint, sie ist sehr gut gemeint, aber sie ist viel zu stark reguliert", sagte beispielsweise der Bündner Nationalrat der Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP), Duri Campell, während einer Parlamentsdebatte. "Die Initiative für Ernährungssouveränität führt direkt in die staatliche Planwirtschaft", kritisierte die Zürcher Nationalrätin Regine Sauter von der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP.Die Liberalen).
Auch aus den Reihen der Linken wurde kritisiert, dass durch das hohe Zollschutzniveau der Anstieg der Lebensmittelpreise an die Verbraucher weitergegeben würde. Ein Gegenvorschlag einer rot-grünen Minderheit, auf die restriktiveren Elemente der Initiative zu verzichten, wurde jedoch abgelehnt.
In der Schlussabstimmung beschloss der Nationalrat mit 146 gegen 23 Stimmen bei 24 Enthaltungen, die Initiative zur Ablehnung zu empfehlen. Die Grünen, etwa ein Drittel der Sozialdemokratischen Fraktion und zwei Mitglieder der SVP-Fraktion befürworteten diese Initiative. Mehr als ein Drittel der Sozialdemokratischen Fraktion enthielt sich der Stimme.
Im Ständerat (Kantonskammer) war die Debatte über die Initiative nicht sehr lebhaft. Nur der Grüne Genfer Robert Cramer sprach sich für da Volksbegehren aus und wies darauf hin, dass täglich zwei oder drei Betriebe geschlossen würden, weshalb eine neue Agrarpolitik erforderlich sei. Am Ende empfahl der Ständerat mit 27 Stimmen gegen eine bei vier Enthaltungen, die Initiative abzulehnen. © swissinfo.ch
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