Schallende Ohrfeige für Bundesrat und Parlamentsmehrheit: Das Grossprojekt Altersvorsorge 2020 wird an der Urne mit einem Stimmenanteil von fast 53% Nein abgelehnt. Die Vorlage zur Erhöhung der Mehrwertsteuer scheitert am Kantonsmehr.

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Für das ambitionierte Projekt des Bundesrats und einer Mehrheit des Parlaments heisst es nach dem Verdikt des Stimmvolks: zurück auf Feld eins.

Seit 20 Jahren keine Revision

Die letzte Revision der beruflichen Vorsorge in der Schweiz fand im Jahr 1997 statt. In den letzten 20 Jahren sind sämtliche Reformversuche gescheitert – entweder im Parlament oder an der Urne.

"Ein einziges Nein hätte gereicht", sagte ein sichtlich enttäuschter Bundesrat Alain Berset, der sich vehement für die Doppelvorlage (Altersvorsorge 2020 und Erhöhung der Mehrwertsteuer) eingesetzt hatte.

"Der Bundesrat stellt fest, dass das Problem der Finanzierung der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) und der Stabilität der beruflichen Vorsorge damit ungelöst bleibt."

Es sei allen klar gewesen, "dass die Diskussion über den 24. September hinausgehen würde. Sei es nun ein Ja oder ein Nein. Nach dem Nein geht die Diskussion jetzt auf einer neuen Basis weiter. Wir werden nun rasch die betroffenen Akteure zu einem Treffen einladen, um die nötigen Schritte vorbereiten zu können."

Rechts und links bodigten die Mitte

Das jüngste Projekt zur Sicherung der Finanzierung der Altersvorsorge war von rechts, aber auch von kleineren Linksparteien bekämpft worden.

"Ohne die geeinte Linke und ohne die Frauen wird eine Rentenreform nicht durchzusetzen sein", kommentierte Tamara Funiciello, Präsidentin der Jungsozialisten, in einer ersten Reaktion das Abstimmungsresultat gegenüber Radio SRF.

"Damit ist der Weg frei für eine übersichtlichere Reform. Und damit dürfte auch der Rentenausbau vom Tisch sein", sagte Karin Keller-Sutter, Nationalrätin der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP.Die Liberalen), die ebenfalls gegen die beiden Vorlagen gekämpft hat.

Christine Häsler, Nationalrätin der Grünen Partei, gehört zu den Verlierern. Ihre Partei hatte sich stark für die Revision eingesetzt. "Es ist ausserordentlich schade, dass es nicht gelungen ist. Jetzt müssen jene, die so stark dagegen gekämpft haben, sagen, wohin sie gehen möchten."

BDP gegen Salamitaktik

Lorenz Hess, Präsident der Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP), hat nun grosse Befürchtungen, wie es weitergehen soll.

"Ob man jetzt mit den gleichen Leuten pragmatische Lösungen finden wird – da habe ich grosse Zweifel. Ausgerechnet der Plan B, der jetzt diskutiert wird, ist nicht gut. Man sollte dem Volk nicht mit Salamitaktik Einzelteile vorlegen."

Wie geht es nun weiter? "Man muss etwas anbieten für die Frauen, und es braucht die Mitte, die einen Kompromiss gegen links und rechts ausarbeiten kann", sagte Lukas Golder, Forschungsleiter des Instituts gfs.bern, das die Hochrechnungen im Auftrag der SRG SSR durchführte, gegenüber Radio SRF.

Immens wichtiges Projekt

Die Altersvorsorge 2020 war zweifelsohne eines der wichtigsten, wenn nicht das grosse Reformprojekt der letzten Jahre. Vor allem deshalb, weil die gesamte Bevölkerung betroffen ist: Schweizer oder Ausländer, Alte oder Junge, Berufstätige oder Pensionierte, Reiche oder Arme – praktisch alle Einwohner der Schweiz und viele Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer haben Anrecht auf Leistungen der staatlichen Altersvorsorge.

Ziel der Reform war es, auch in Zukunft die Finanzierung der Sozialwerke sicherzustellen. Vor allem auf die Renten werden in den nächsten Jahrzehnten grosse Herausforderungen zukommen, die grösste bildet zweifelsohne die demographische Entwicklung der Schweiz, zumindest aus Sicht der Versicherung.

Während vor 50 Jahren die Lebenserwartung der Frauen bei 74 Jahren und die der Männer bei 68 Jahren lag, ist sie heute auf 84 resp. 80 Jahre gestiegen.

Auch das Verhältnis zwischen der aktiven Bevölkerung und den Pensionierten verschiebt sich: Vor 50 Jahren kamen auf einen Pensionierten fünf berufstätige Personen zwischen 20 und 64 Jahren. Heute kommen auf einen Rentenempfänger noch etwas mehr als drei "Finanzierende".

Dieses Verhältnis wird sich in den nächsten Jahren durch die schrittweise Pensionierung der Babyboomer-Generation weiter verschärfen.

Schwieriges wirtschaftliches Umfeld

Auch auf wirtschaftlicher Ebene befindet sich die Altersvorsorge in einem schwierigen Umfeld: Krisen nehmen zu und schwächen das Wachstum, die lange Zeitspanne von tiefen Zinsen belastet die Erträge der Vorsorge-Einrichtungen und bedroht somit die Renten.

Schliesslich wollte die Reform auf gesellschaftlicher Ebene den Veränderungen entgegenkommen, die auf dem Arbeitsmarkt im Gang sind, und den Bestrebungen für ein flexibles Pensionierungsalter Rechnung tragen.

Zur Sicherung des Rentensystems bieten sich im Wesentlichen drei Optionen an: eine Reduktion der Leistung, eine Erhöhung der Beiträge oder die Erhöhung des Rentenalters. Die Frage, die sich seit Jahren stellt, bleibt ungelöst: Wer soll die Last tragen? Die Versicherten, die Arbeitgeber, der Staat, die Frauen, die Pensionierten, die Berufstätigen?

Um die zusätzlichen Lasten gerecht zu verteilen und einen mehrheitsfähigen Konsens zu erreichen, hatte die Regierung eine Vorlage zu einer umfassenden Reform der Altersvorsorge präsentiert, die sowohl die erste wie die zweite Säule betraf.

Knappe Mehrheit im Parlament

Im Parlament wurde dieses Massnahmenpaket im vergangenen März mit einer Mehrheit der Mitteparteien und der Linken äusserst knapp angenommen.

Die Altersreform 2020 wurde von den Mitte-Parteien und den linken Parteien - der Christlichdemokratischen Volkpartei (CVP), der Bürgerlich Demokratischen Partei (BDP), den Grünliberalen (GLP), der Sozialdemokratischen Partei (SP) und den Grünen - unterstützt. Für sie war es eine ausgewogene Reform, die die Renten sichert und die AHV stärkt.

Dagegen waren vor allem die Parteien vom mehrheitlich rechten Spektrum, die FDP.Die Liberalen und die Schweizerische Volkspartei (SVP). Für sie war die Reform ungerecht und ungeeignet, um die Probleme der Altersvorsorge zu lösen.

Die Altersreform wurde auch von kleineren Gewerkschaften und linken Gruppierungen bekämpft, die vor allem die Erhöhung des Rentenalters für Frauen und die Senkung der Renten ablehnten.  © swissinfo.ch

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