Theresa May hat viele Schwächen. Die konservative britische Premierministerin hat zum Beispiel Schwierigkeiten, souverän mit unangenehmen Fragen umzugehen. Sie beantwortet sie meist gar nicht, sondern kontert nur mit gestanzten Sätzen. Das brachte ihr den Spitznamen "Maybot" ein, eine Mischung aus May und Roboter.
Zu der Frage, was passiert, wenn das Parlament am 11. Dezember den mit Brüssel ausgehandelten Brexit-Deal ablehnt, sagt sie immer und immer wieder: "Ich fokussiere mich auf die Abstimmung am 11. Dezember."
Dass vor der fünftägigen Debatte, die am Dienstag beginnen sollte, bereits etwa 100 Abgeordnete ihrer eigenen Fraktion Widerstand dagegen angekündigt hatten, ignoriert
Medien staunen über Mays Ignoranz nach Desastern
Britische Kommentatoren beobachten das mit zunehmendem Staunen. Der "Times" zufolge wird Mays Verhalten sogar innerhalb des Regierungssitzes Downing Street 10 mit einer Szene aus dem Zweiten-Weltkriegs-Drama "Der Untergang" verglichen.
Doch wenn May etwas als Stärke ausgelegt werden kann, dann ist es ihre unerschütterliche Beharrlichkeit. Sie verlor eine Parlamentswahl - und machte weiter, sie erlebte einen desaströsen Parteitag - und machte weiter, mehrere wichtige Kabinettsmitglieder warfen im Streit um ihre Brexit-Pläne hin - sie machte weiter. Doch wird sie auch dieses Mal in der Lage sein, einfach weiterzumachen?
Premierministerin will einfach Weitermachen
Es ist nicht nur ihre Unbeirrbarkeit, die für Kopfschütteln sorgt. Statt bei den Abgeordneten in Westminster, auf deren Stimmen es ankommt, Überzeugungsarbeit zu leisten, reiste May wie besessen durchs ganze Land und macht eine Art Wahlkampf. Selbst einer TV-Debatte gegen Oppositionschef Jeremy Corbyn will sie sich stellen - anders als im echten Wahlkampf im vergangenen Jahr.
In einem Brief wandte sie sich an die Nation, um ihren Deal anzupreisen. Das Abkommen werde die gespaltene Nation wieder versöhnen, versprach sie. "Wir werden ein neues Kapitel in unserem Leben aufschlagen."
Kann Mays Beharrlichkeit erfolgreich sein?
Doch ob sie mit ihrer Taktik erfolgreich sein wird, ist unklar. Umfragen zumindest deuten darauf hin, dass die Zustimmung in der Bevölkerung wächst. Waren kurz nach der Veröffentlichung des Brexit-Abkommens Mitte November nur 15 Prozent der Wähler dafür, verdoppelte sich diese Zahl bis Ende des Monats beinahe auf 27 Prozent. Doch die Zeit ist knapp und am Ende kommt es nicht nur darauf an, was die Öffentlichkeit denkt.
Längst gibt es Spekulationen, die Regierungschefin habe etwas ganz anderes im Sinn. Sie wolle den Abgeordneten mit einer Neuwahl drohen, glauben manche, und sich schon einmal einen Vorsprung im Wahlkampf verschaffen.
Will die Premierministerin mit Neuwahlen drohen?
Doch damit würde sie der Labour-Opposition in die Hände spielen. Die hat bereits angekündigt, eine Misstrauensabstimmung anzustossen, sollte das Brexit-Abkommen am 11. Dezember durchfallen. "Wenn sie eine Abstimmung von solcher Bedeutung nach zwei Jahren Verhandlung verliert, wäre es richtig, eine Parlamentswahl abzuhalten", sagte der Brexit-Experte der Labour-Partei, Keir Starmer, kürzlich in einem BBC-Interview.
Wahrscheinlicher ist, dass May insgeheim auf einen zweiten Wahlgang setzt. Ein Kurssturz an den Finanzmärkten nach einer Niederlage der Regierung am 11. Dezember könnte die Abgeordneten zur Vernunft bringen, so möglicherweise die Hoffnung. Zudem könnte May beim nächsten regulären EU-Gipfel zwei Tage später kleine Änderungen an der politischen Erklärung für die zukünftige Beziehung mit Brüssel aushandeln.
Bei Ablehnung könnte es zum Putsch kommen
Doch wenn die Parlamentarier erneut ablehnen, müsste May endgültig mit einem Putsch rechnen. Für diesen Fall oder für einen Rücktritt Mays plant angeblich bereits eine Gruppe von Ministern, eine engere Anbindung an die EU zu suchen. Für das sogenannte Norwegen-Plus-Modell, bei dem Grossbritannien im Europäischen Binnenmarkt und in der Zollunion bleiben würde, gäbe es theoretisch eine Mehrheit.
Doch auch die Rufe nach einem zweiten Referendum dürften immer lauter werden. Die Labour-Partei will sich mit ganzer Kraft hinter die Forderung nach einer zweiten Volksabstimmung stellen, wenn eine Neuwahl nicht zu erreichen ist. Auch ein Austritt ohne Abkommen wäre nicht auszuschliessen. (cs/dpa)
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