War es eine Niederlage für die Demokratie? Oder ein Zeichen, dass im Parlament künftig lebhafter und engagierter diskutiert wird? Als der AfD im September 2017 erstmals der Sprung in den Deutschen Bundestag gelang, waren sich Politiker und Experten in dieser Frage nicht einig. Inzwischen ist man um einige Erfahrungen reicher: Am 24. April ist es anderthalb Jahre her, dass der 19. Bundestag zusammengetreten ist. Zeit für eine erste Zwischenbilanz.

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AfD-Fraktion: Bei Gesetzesinitiativen an der Spitze

Vorlagen für neue Gesetze einzubringen, gehört zu den zentralen Aufgaben von Parlamentariern. Die AfD-Fraktion nutzt diese Möglichkeit ausgiebig: Laut einer Statistik der Bundestagsverwaltung gingen in der Zeit bis zum 1. April insgesamt 28 Gesetzesinitiativen auf das Konto der AfD – so viele wie bei keiner anderen Fraktion. Die Grünen folgen mit 22 Initiativen auf dem zweiten Platz.

"Diese parlamentarische Praxis ist typisch für eine Oppositionsfraktion. Vor allem für eine Fraktion, die zum ersten Mal im Bundestag vertreten ist", erklärt Gudrun Hentges, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität zu Köln, im Gespräch mit unserer Redaktion. Sie hat mit ihren Co-Autoren Christoph Butterwegge und Gerd Wiegel die Arbeit der AfD für das Buch "Rechtspopulisten im Parlament" beobachtet. Für die AfD seien die vielen Gesetzesinitiativen eine Art sich zu profilieren, sagt Hentges. "Sie will so der Öffentlichkeit verkünden, dass sie über eine vermeintliche Alternative zur Regierungspolitik verfüge."

Ein etwas anderes Bild ergibt sich bei den Anträgen. Damit können Fraktionen einen Beschluss des Parlaments herbeiführen, ohne gleich ein Gesetz auf den Weg bringen zu müssen. Bei den selbstständigen Anträgen einzelner Fraktionen liegt die AfD mit 109 hinter den anderen Oppositionsfraktionen FDP (159), Linken (173) und Grünen (164). Die Zahl der grossen und kleinen Anfragen, die Abgeordnete an die Bundesregierung richten können, beläuft sich lauf Bundestagsverwaltung bei der AfD auf 780. Hier waren Linke (1039) und FDP (897) aktiver.

Keine Vorschläge durchgesetzt

Bisher ist es der AfD nicht gelungen, für ihre Gesetzesvorschläge Mehrheiten zu finden. "Initiativen, denen sich Abgeordnete anderer Fraktionen angeschlossen haben, gibt es nicht", teilt der Pressesprecher der AfD-Fraktion, Christian Lüth, auf Anfrage unserer Redaktion mit.

Gudrun Hentges weist allerdings darauf hin, dass die Partei Entscheidungen des Bundestages indirekt beeinflussen konnte – schon als sie dort noch gar nicht vertreten war. Sie nennt als Beispiele Gesetzespakete zur Asylpolitik von Union und SPD. Diese umfassten etwa eine gesonderte Unterbringungen bestimmter Asylbewerber oder die Aussetzung des Familiennachzugs. Diese "repressive Flüchtlingspolitik" werde auch praktiziert, um zur AfD abgewanderte Wähler zurückzugewinnen, sagt Hentges.

In Ausschüssen unauffällig

Ein wichtiger Teil der Arbeit des Bundestages verläuft abseits von Kameras: in den 24 Ausschüssen, in denen Abgeordnete Gesetze im Detail beraten und diskutieren. In drei Ausschüssen haben AfD-Politiker den Vorsitz. Den wichtigen Haushaltsausschuss zum Beispiel leitet der AfD-Mann Peter Boehringer. Seine Wahl zum Vorsitzenden war umstritten – laut Recherchen des "Spiegel" soll er in einer E-Mail die Kanzlerin als "Merkelnutte" beschimpft haben.

Im Ausschuss selbst agiert er weniger auffällig. "Die demokratischen Fraktionen haben die klare Mehrheit im Haushaltsausschuss, was insbesondere bei Verfahrensfragen wichtig ist", erklärt Sven-Christian Kindler im Gespräch mit unserer Redaktion. Der Grünen-Abgeordnete ist haushaltspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Die gleiche Funktion übernimmt Boehringer in der AfD-Fraktion. Da diese Rolle mit dem neutralen Ausschussvorsitz eigentlich nicht zu vereinbaren ist, werden die meisten Sitzungen gar nicht von Boehringer geleitet – sondern von seinem Stellvertreter von der SPD.

"Provokation und Tabubrüche" im Plenum

Laut Stefan Ruppert, Obmann der FDP im Haushaltsausschuss und Parlamentarischer Geschäftsführer seiner Fraktion, gibt die AfD in den Ausschüssen kein einheitliches Bild ab: "Es gibt Abgeordnete, die ihre Anliegen engagiert vertreten. Aber viele melden sich kaum zu Wort." Auch Sven-Christian Kindler sagt: "Ihre Abgeordneten stellen wenig Fragen und sind häufig nicht gut vorbereitet. Detaillierte Sacharbeit ist auch nicht ihr Ding. Ihre Bühne ist das Plenum. Dort halten sie rechtsradikale Reden, randvoll mit Hass und Widerlichkeiten, um ihre Kanäle im Internet zu bespielen."

Gerade für die Inhalte in sozialen Medien habe die Partei viel Personal eingestellt, erklärt Politikwissenschaftlerin Hentges: "Hier geht es darum, ungefiltert durch die Medien ihre Sicht der Dinge zu verbreiten."

Aufmerksamkeit hat die AfD in der Tat erzeugt. Etwa als Fraktionschefin Alice Weidel Einwanderer als "Kopftuchmädchen, Messermänner und sonstige Taugenichtse" bezeichnete. "Die Strategie und das Auftreten der AfD im Bundestag leben von Provokation und Tabubrüchen", sagt Gudrun Hentges. "Die Provokation zeigt sich ganz deutlich anhand der Verwendung einer Sprache, die vor einem offenen Rassismus nicht zurückschreckt."

Abgeordnete grenzen sich ab

Auch wegen dieser Tabubrüche ist es der AfD bisher nicht gelungen, einen Vizepräsidenten des Bundestages zu stellen. Der würde der Fraktion eigentlich zustehen, doch mittlerweile sind drei AfD-Kandidaten bei Wahlgängen durchgefallen. Viele Abgeordnete anderer Parteien finden, dass der AfD wegen ihres Programms und ihres Auftretens kein Sitz im Präsidium zustehe. FDP-Politiker Stefan Ruppert sagt dagegen: "Wir werden die Auseinandersetzung mit der AfD nicht gewinnen, indem wir versuchen, sie mit Verfahren und Nichtwahlen klein zu halten. Die Arbeit der Partei im Bundestag ist so schwach, dass es sich eher lohnt, sich damit auseinanderzusetzen."

AfD-Sprecher Lüth erklärt, das Verhältnis zu den anderen Fraktionen gestalte sich unterschiedlich: "zu den Grünen und der SPD angespannt, bei den anderen läuft es auf der Arbeitsebene passabel".

Wie soll man mit den Kollegen von der AfD umgehen? Eine einheitliche Linie haben die Parlamentarier anderer Parteien hier nicht. "Ich fühle mich der AfD in keiner Weise verbunden. Aber ich bin dafür, dass man die Kollegen fair, höflich und ordentlich behandelt", sagt FDP-Politiker Ruppert. Der Grünen-Abgeordnete Kindler grenzt sich dagegen entschieden von der Partei ab. Für ihn gelte: "Kein Kaffee, keine Cola, kein Bier mit Faschisten und auch kein Duzen im Umgang mit ihnen."

Verwendete Quellen:

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