Inmitten der Debatte um Abschiebungen nach Afghanistan äussert sich nun ein Taliban-Sprecher. Er fordert die deutschen Behörden auf, die Angelegenheit bilateral zu regeln. Kritiker warnen vor Gesprächen mit den Islamisten.
Die in Afghanistan herrschenden islamistischen Taliban zeigen sich angesichts der in Deutschland neu entflammten Debatte um Abschiebungen von afghanischen Straftätern und Gefährdern offen für eine Zusammenarbeit.
"Das Islamische Emirat Afghanistan fordert die deutschen Behörden auf, die Angelegenheit im Rahmen der üblichen konsularischen Beziehungen und eines geeigneten Mechanismus auf der Grundlage einer bilateralen Vereinbarung zu regeln", teilte der Sprecher des Taliban-Aussenministeriums, Abdul Kahar Balchi, auf der Plattform X mit.
Nach der tödlichen Messerattacke von Mannheim hatte Bundeskanzler
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums betonte, Abschiebungen bedeuteten für Kriminelle nicht Straffreiheit in Deutschland. "Bei Mordfällen heisst das, mindestens zehn Jahre Haft in Deutschland als Minimum, bevor eine Abschiebung dann in Anschluss an diese Strafhaft in Betracht kommt."
Warnungen vor Abschiebe-Zusammenarbeit mit Taliban
Kritiker warnen allerdings vor solchen Gesprächen mit den Islamisten, die international isoliert sind. Die Taliban könnten von Abschiebungen profitieren, indem sie diese als Möglichkeit für eine Zusammenarbeit mit einem westlichen Staat nutzten, meinte Afghanistan-Experte Thomas Ruttig.
Pro-Asyl-Geschäftsführer Karl Kopp bezeichnete die Pläne in der "Augsburger Allgemeinen" (Freitag) als rechtswidrig. "Das Völkerrecht verbietet ganz eindeutig jegliche Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien", sagte er. "Denn in beiden Ländern drohen Folter und unmenschliche Strafen." Dies betonten auch die Vereinten Nationen immer wieder.
Auch das Auswärtige Amt warnt vor einer Zusammenarbeit mit den islamistischen Taliban bei Abschiebungen von Afghanen. "Etwaige Rückführungen werden sich die Taliban mindestens durch internationale Anerkennung bezahlen lassen wollen", sagte ein Sprecher des Ministeriums von Annalena Baerbock (Grüne) am Freitag in Berlin. "Und es ist nun mal Fakt, dass die Bundesregierung die De-facto-Regierung der Taliban in Afghanistan, genau wie jedes andere Land der Welt, nicht anerkennt und nicht mit ihr zusammenarbeitet." Es gebe nur punktuell in Einzelfällen Kontakt "auf technischer Ebene".
Auch Grünen-Politiker warnen
Auch Vertreter der Grünen lehnen Abschiebungen von Afghanen und eine Kooperation dafür mit den Taliban ab oder stehen dem Vorhaben skeptisch gegenüber. "Die Taliban haben in Afghanistan seit 2021 ein menschenverachtendes Regime errichtet, unter dem besonders Frauen und Kinder leiden", sagte die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg (Grüne), der "taz" (Freitag/online). "Jede Ausweisung und jede Abschiebung nach Afghanistan erfordert eine Zusammenarbeit mit diesem islamistischen Terrorregime und damit quasi eine Anerkennung der Taliban. Die wäre aus meiner Sicht ein grosser Fehler."
Auch der grüne Bundestagsabgeordnete Julian Pahlke bezeichnete die Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), als Konsequenz aus der tödlichen Messerattacke von Mannheim die Abschiebung von Schwerstkriminellen nach Afghanistan und Syrien wieder zu ermöglichen, als "realitätsfremd" und juristisch nicht umsetzbar. Der damalige Innenminister Horst Seehofer (CSU) habe nach der Taliban-Machtübernahme 2021 Abschiebungen nach Afghanistan ausgesetzt, weil Gerichte sie sonst gekippt hätten, sagte Pahlke der "taz". Ein Umweg über Pakistan mache dabei rechtlich keinen Unterschied.
Bundesregierung erwägt Umweg über Nachbarländer Afghanistans
Ein Umweg über Nachbarländer Afghanistans wie Pakistan wird derzeit ebenfalls von der Bundesregierung erwogen. Diese Möglichkeit lehnen die Taliban jedoch offensichtlich ab. Auslieferungen an Drittstaaten seien ein Verstoss gegen geltende Konventionen, hob der Sprecher des Taliban-Aussenministeriums in seiner Mitteilung hervor.
Bislang hat kein Land die Taliban-Regierung offiziell anerkannt. Westliche Staaten fordern für eine Anerkennung unter anderem die Einhaltung von Menschen- und vor allem Frauenrechten in dem Land. Andere Staaten, vor allem Nachbarländer, haben sich gleichwohl für einen pragmatischeren Umgang mit den Islamisten ausgesprochen. (dpa/tas)
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