• Mit Joe Biden im Weissen Haus wollten die westlichen Demokratien ihren Anspruch auf eine globale Vormachtstellung erneuern.
  • Nun sind sie in Afghanistan krachend gescheitert.
  • Auf den gefeierten Neuanfang in den transatlantischen Beziehungen folgt bittere Ernüchterung.

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Eine Demonstration der Geschlossenheit und der Stärke sollte der G7-Gipfel in Cornwall sein. Die Botschaft des Spitzentreffens vor der südenglischen Urlaubskulisse: Der Westen ist zurück. Für den neuen US-Präsidenten Joe Biden - der alles anders machen wollte als sein Vorgänger Donald Trump - war der Gipfel der grossen westlichen Industriestaaten im Juni der erste grosse Auftritt auf der Weltbühne.

Gut zehn Wochen später kommen die Staats- und Regierungschefs der G7 am Dienstag zu einem Online-Sondergipfel zusammen und schon ist aller Enthusiasmus verflogen. Der Westen ist in Afghanistan krachend gescheitert. Das Vertrauen der Verbündeten in die USA und in Biden ist erschüttert. Der gross gefeierte Neuanfang der transatlantischen Beziehungen ist schon wieder am Ende.

Die G7 sind zurück im Krisenmodus

Die G7 ist zurück im Krisenmodus. Die Nato - die den gescheiterten Einsatz formell geleitet hat, auch wenn letztlich immer die Amerikaner das Zepter führten - hat ein Debakel erlebt. Und die Europäer machen beim Abzug aus Afghanistan, aber auch bei den laufenden Evakuierungsbemühungen in Kabul ein weiteres Mal die demütigende Erfahrung, dass sie komplett von den Amerikanern abhängig sind.

Der russische Präsident Wladimir Putin kann sich dagegen ins Fäustchen lachen. Mehr als 30 Jahre nach der Sowjetunion zieht auch der Westen nach einer bitteren Niederlage aus Afghanistan ab. Eigentlich hatte sich Biden zum Ziel gesetzt, dass die Demokratien dieser Welt den Autokratien in Russlands und China zeigen, dass sie das bessere Modell sind. Zumindest die Menschen in Afghanistan dürften davon nun nicht mehr restlos überzeugt sein. Nach 20 Jahren internationalem Einsatz sind die alten Machthaber wieder die neuen.

Der US-Präsident gibt zwar zu, dass seine Regierung die Geschwindigkeit des Taliban-Siegeszugs unterschätzt habe. Darüber hinaus weigert er sich aber, Fehler einzugestehen. "Ich denke, dass die Geschichte festhalten wird, dass dies die logische, rationale und richtige Entscheidung war", sagt er über seinen umstrittenen Beschluss zum bedingungslosen Truppenabzug. Die Szenen am Flughafen in Kabul nennt er zwar "herzzerreissend", behauptet aber zugleich, Chaos wäre beim Abzug und der Evakuierung von Schutzsuchenden unausweichlich gewesen. Und er betont: "Ich habe nicht gesehen, dass unsere Glaubwürdigkeit von unseren Verbündeten in der ganzen Welt in Frage gestellt wird."

Biden spricht von jenen Verbündeten, denen er seit seinem Amtsantritt im Januar bei jeder Gelegenheit versichert, dass die USA wieder auf Zusammenarbeit setzen - statt auf Trumps Alleingänge. Er behauptet sogar, die Koalitionspartner in Afghanistan hätten seinen Abzugsplänen zugestimmt. Tatsächlich konnten sie seinen einseitigen Beschluss nur noch abnicken.

Afghanistan-Experte: "Das von den USA geführte Bündnis ist zerbrochen"

Der Afghanistan-Kenner und frühere britische Minister Rory Stewart schrieb auf Twitter: "Unser demütigender Verrat an Afghanistan signalisiert das Ende der zentralen Ideen, die die westliche Aussenpolitik seit dem Ende des Kalten Krieges prägten. Das von den USA geführte Bündnis ist zerbrochen, fassungslos und zieht sich in die Isolation zurück."

Auch in Berlin ist der Unmut über die Amerikaner in Sachen Afghanistan deutlich zu spüren. "Das hat für das transatlantische Verhältnis weitreichende Folgen, die im Einzelnen noch nicht absehbar sind", sagt zum Beispiel der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen. "Es ist ein moralisches und ein politisches Scheitern."

Der CDU-Politiker hofft nun, dass die USA bei der laufenden Evakuierungsaktion die neuen Risse im westlichen Bündnis zumindest nicht weiter vertiefen. "Ein Teil des Desasters ist ja, dass die USA den Abzug einseitig entschieden haben. Eine erste Lektion daraus sollte sein, dass man sich jetzt bei der Evakuierung abstimmt und koordiniert."

Bisher ist das nicht der Fall. Am Flughafen in Kabul läuft nichts ohne Zustimmung der Amerikaner, die auch die alleinige Kontrolle über alle Zugänge haben. Nach jetzigem Stand wird die Aktion bis zum 31. August beendet, dem von Biden ohne Abstimmung mit den Verbündeten festgelegten Abzugstermin. Die Europäer dringen auf eine Verlängerung, um Tausende weitere Schutzsuchende vor den Taliban in Sicherheit bringen zu können, die auf ihren Ausreiselisten stehen.

G7-treffen als letzte Chance für eine gemeinsame Linie

Das G7-Treffen dürfte die letzte Chance sein, zu einer gemeinsamen Linie zu kommen. Besonders grosse Kompromissbereitschaft hat Biden bisher allerdings nicht gezeigt. Sollten G7-Staaten um eine Verlängerung bitten, werde er antworten, "dass wir sehen werden, was wir tun können", sagte er am Sonntag etwas gönnerhaft. Aber nicht ohne hinzuzufügen: "Wir hoffen, dass wir nicht verlängern müssen."

Aus Nato-Kreisen hiess es zuletzt, ein Aufschub um einige Tage sei vielleicht möglich, vermutlich aber nicht um einige Wochen. Die Bundesregierung arbeitet schon an einem Plan B. Aussenminister Heiko Maas sagte am Montag, man wollen mit den USA, der Türkei, aber auch mit den Taliban über eine zivile Nutzung des Flughafens über den 31. August hinaus verhandeln.

Die Afghanistan-Krise dürfte aber auch langfristige Folgen für das westliche Bündnis haben. Für die Partner der USA wird sich spätestens nach dem Ende der Evakuierungsaktion die Frage stellen, welche Lehren sie aus den jüngsten Ereignissen ziehen. Denkbar ist, dass Länder wie Frankreich die Geschehnisse zum Anlass nehmen, um noch stärker auf militärische Eigenständigkeit der EU zu dringen – unter Verweis auf die Abhängigkeit von den USA und deren Folgen.

Das Thema strategische Autonomie werde wieder auf den Tisch kommen, und man werde diskutieren müssen, was das bedeute, prophezeite der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell bereits am vergangenen Donnerstag. Diese Krise werde auch eine Chance sein, die Europäische Union als eigenständigen politischen Akteur weiterzuentwickeln. (dpa/Can Merey/Ansgar Haase/Michael Fischer/mgb)

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