Nach der Serie von Wahlniederlagen ist in der CDU ein offener Machtkampf entbrannt. Auf dem Parteitag im November könnte es zum Showdown kommen. Die Chancen von AKK auf die Kanzlerkandidatur schwinden. Friedrich Merz hingegen gewinnt Zuspruch und steigt in Umfragen zum zweitbeliebtesten Politiker Deutschlands auf.

Dr. Wolfram Weimer
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Wolfram Weimer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Die CDU wirkt erschüttert. Nach der Serie desaströser Wahlergebnisse ist auf der Vorstandssitzung am Montag erstmals offen die Machtfrage gestellt worden, ob Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) noch die richtige Parteichefin sei. Als Kanzlerkandidatin sieht sie insgeheim kaum ein Vorstandsmitglied mehr.

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AKK musste sich ungewöhnlich emotional wehren und warf ihren Kritikern offen den Fehdehandschuh hin. Sie will die Frage der Kanzlerkandidatur erst auf dem Parteitag Ende 2020 klären.

Trotzig verkündet sie: "Wer auch immer meint, die Frage müsse jetzt in diesem Herbst geklärt werden, hat auf diesem Bundesparteitag die Gelegenheit." Ende November findet der CDU-Parteitag in Leipzig statt.

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AKK hat damit allerdings das Gegenteil dessen erreicht, was sie wollte. Denn das Thema der Kanzlerkandidatur ist jetzt erst recht oben auf der CDU-Agenda. Bislang war die K-Frage in der Union offiziell "kein Thema" und eine "verfrühte Frage".

Und grundsätzlich habe die Vorsitzende ein "Erstzugriffsrecht" auf die Kandidatur. Beides gilt nun nicht mehr. Zum einen steht die K-Frage plötzlich im Mittelpunkt der verunsicherten Partei. Zum anderen wird AKK das Zugriffsrecht nicht mehr zugebilligt.

Die meisten Entscheidungsträger sprechen jetzt von einer "offenen Frage". Immer grössere Teile innerhalb der CDU wünschen sich entweder Armin Laschet oder Friedrich Merz als Kanzlerkandidaten.

Merz ist zweitbeliebtester Politiker der Deutschen

Die Chancen von Merz steigen dabei kontinuierlich. Der vor einem Jahr knapp unterlegene Kandidat um den Parteivorsitz steigert Monat für Monat seine Umfragewerte, während die von AKK fast spiegelbildlich fallen.

Ihre knappe Mehrheit auf dem Parteitag im Dezember wirkt rückblickend wie ein Pyrrhussieg. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa ist Friedrich Merz inzwischen sogar Deutschlands zweitbeliebtester Politiker. Demnach erreicht Merz derzeit einen Zustimmungswert von 111 Punkten in der Bevölkerung (plus 3 zur Vorwoche). Nur Bundeskanzlerin Angela Merkel befindet sich noch knapp vor ihm.

Merz liegt aber in der Wählergunst mit deutlichem Abstand vor allen anderen Unionspolitikern. Die CDU-Parteivorsitzende und Bundesverteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer fällt mit 76 Punkten abgeschlagen auf Platz 18 der Rangliste.

Vor allem unter Unionswählern ist Merz inzwischen klarer Favorit für die Kanzlerkandidatur. Nach einer neuen Emnid-Umfrage spricht sich fast die Hälfte aller Befragten für ihn aus. Kramp-Karrenbauer fällt mit 13 Prozent innerhalb ihrer eigenen Partei weit zurück.

Unter den Befragten, die der CDU/CSU politisch nahestehen, ist der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) mit 16 Prozent nach Merz am zweitbeliebtesten. Fazit: Ginge es nach den Wahlumfragen, wäre Merz die Kanzlerkandidatur derzeit nicht zu nehmen.

Merz ist für viele Unionswähler offenbar eine Projektionsfläche für die Sehnsucht nach der guten alten CDU. Er verkörpert für diese Zielgruppe die Chance auf ein kraftvolles Comeback der bürgerlichen Politik. Gerade, weil er zu Angela Merkel und der grossen Koalition in rigoroser Distanz steht, in der Aussen- wie Wirtschaftspolitik hohe Kompetenzwerte erhält, sehen ihn viele - insbesondere die vielen Mittelständler in der Union - als ihren Wunschkandidaten.

So fordert der Chef des einflussreichen Parlamentskreises Mittelstand (PKM) in der Union, Christian von Stetten, nach der Thüringen-Wahl eine stärkere Einbindung von Friedrich Merz.

Merz hat inzwischen nicht nur den Wirtschaftsflügel, die Mittelständler, die Junge Union und Konservativen hinter sich. Auch immer mehr Landesverbände von Ostdeutschland bis Baden-Württemberg wenden sich ihm spürbar zu. Landesgruppen wie Hessen waren vor Jahresfrist noch eher auf Seiten von AKK, nun schwindet dort ihr Rückhalt.

Spielt AKK auf Zeit und lässt Merz den Vortritt?

AKK hat mit ihrer provokanten Aufforderung, auf dem anstehenden Parteitag die Machtfrage zu klären, möglicherweise Merz eine unerwartete Tür zur Macht aufgemacht. Denn zumindest das Findungsverfahren des Kanzlerkandidaten könnte in Leipzig nun beraten und - zu ihren Ungunsten - entschieden werden.

Die Junge Union wird einen Antrag auf Urwahl stellen, andere erwägen eine abermalige Regionalkonferenzen-Roadshow mit offenem Parteitagsentscheid.

Das Merz-Lager schaut nun bereits mit Vorfreude auf den Parteitag. Leipzig ist für Merz ein symbolischer Ort. Im Jahr 2003 gelang es ihm dort, den Bundesparteitag der CDU triumphal auf sein Konzept eines radikal vereinfachten Einkommenssteuerrechts einzuschwören.

Die "Bierdeckel-Vorschläge" wurden damals von den 1.001 Delegierten einstimmig angenommen. Viele werden sich erinnern und warten nun gespannt, was Merz auf diesem Parteitag anzubieten und zu sagen hat.

Das eigentlich als Routine-Parteitag gedachte Treffen ist auch deswegen spannender als gedacht, weil mit dem überraschend starken Abschneiden der GroKo-Gegner Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken bei der SPD-Urwahl das Risiko eines Platzens der grossen Koalition gestiegen ist. Die K-Frage könnte damit in diesem Winter tatsächlich akut werden.

Eigentlich wollte AKK auf Zeit spielen, an der Erholung ihrer Akzeptanz arbeiten und darauf spekulieren, dass sich ihre Konkurrenten um die Kandidatur gegenseitig hindern. Insbesondere Armin Laschet und Friedrich Merz. Anderseits ist es für AKK gefährlich, wenn beide - die ohnedies ein passables Einvernehmen haben - sich untereinander einigen sollten.

Langjährige Wegbegleiter von AKK halten daher auch eine überraschende Wendung in der K-Frage für möglich. AKK hat Stehvermögen und denkt langfristig. Sie ist zudem klug, um zu erkennen, dass sie derzeit besser nicht als Kanzlerkandidatin antreten sollte.

Es erinnert manches an den Winter 2001/2002, als Angela Merkel in einer ähnlichen Situation war und sich einem drängenden Edmund Stoiber gegenüber sah. Merkel entschied sich damals, strategisch clever, ihrem Konkurrenten den Vortritt zu lassen.

Im legendären Wolfratshausener Frühstück im Januar 2002 (es gab Semmeln, Honig, Marmelade und Käse auf bayerischem Porzellan mit Blümchen) überliess Merkel dem Widersacher Stoiber die Kandidatur. Der verlor und Merkel rettete so ihre langfristigen Optionen. Nun unkt man im Adenauer-Haus: "Es könnte zwischen AKK und Merz zu Wolfratshausen 2.0 kommen."

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