Erst wurde der Auftritt des türkischen Aussenministers im Zürcher Hilton wegen Sicherheitsbedenken abgesagt. Dann platzte die Spionage-Bombe. Der Islam-Experte Hansjörg Schmid warnt vor einer Polarisierung der Schweizer Gesellschaft.
Die türkische Regierung liess auch in der Schweiz grossflächig Regimekritiker ausspähen. Dabei konnte sie offenbar aus ein umfangreiches Netzwerk von Vereinen, Auslandsbehörden und Geheimdiensten zurückgreifen.
Das geht aus einem Dossier hervor, das der Grüne Nationalrat Balthasar Glättli am Freitag öffentlich machte. Glättli greift dabei auf Informationen seines österreichischen Parteifreundes Peter Pilz zurück, der eine grenzübergreifende Recherche zum Vorgehen der islamistischen AKP in ausländischen Ländern angestrengt hat. "Ich habe Dokumente von türkischen Botschaften in 35 Ländern zugespielt bekommen", sagt Pilz im Gespräch mit unserem Portal.
Auftritt von Cavusoglu in Zürich abgesagt
Mit der Bespitzelungsaffäre bekommt die Diskussion um den geplanten Wahlkampf-Auftritt von AKP-Aussenminister Mevlüt Cavusoglu in Zürich eine neue Dimension. Im Vorfeld des türkischen Referendums Mitte April – mit dem der zunehmend autoritäre Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan seine Befugnisse massiv ausweiten möchte – war ein Auftritt seines Vertrauten Cavusoglu im Hilton Zürich geplant. Dort wollte er unter Exil-Türken für ein "Ja" beim Referendum werben. Doch die Hoteldirektion des Hilton sagte die für Sonntag anberaumte Veranstaltung ab.
Man fürchtete Tumulte. Als Veranstalter war die UETD eingetragen, eine AKP-nahe Organisation, die auch in dem Dossier der Grünen mehrfach auftaucht. Gegner kündigten Protestveranstaltungen an. Am Ende zog die Hotelleitung die Notbremse: Man könne die Sicherheit der übrigen Hotelgäste nicht garantieren, hiess es. Auch die Zürcher Polizei hatte Bedenken geäussert.
Der Islam-Experte Hansjörg Schmid vom Zentrum für Islam und Gesellschaft an der Universität Freiburg kann diese Befürchtungen nachvollziehen. "Die türkische Diaspora in der Schweiz ist verglichen mit Deutschland und Österreich weniger politisiert. Von daher besteht jetzt die Befürchtung, dass es zu einer Mobilisierung kommt, die sich polarisierend auswirkt", schreibt er in einem E-Mail an unsere Redaktion.
Aufgeheizte Stimmung dürfte sich kaum entschärfen
Tatsächlich dürfte sich die aufgeheizte Situation in den kommenden Tagen kaum entschärfen. Denn die Spitzel-Vorwürfe gegen die AKP sind starker Tobak. Demnach erging bereits im September 2016 eine unmissverständlicher Aufruf an die türkischen Religionsattachés in 30 Ländern, mögliche Aktivitäten der oppositionellen Gülen-Bewegung in ihren Gastländern auszuspionieren.
Wie mehrere Medien berichten, habe der stellvertretende Botschaftsrat für religiöse Angelegenheiten der türkischen Botschaft in Bern – ein Zürcher Imam – sogar Kindergärten ausspitzeln lassen. Wenige Tage später übermittelte er Ankara ein umfangreiches Dossier, das vor einigen Wochen gemeinsam mit anderen dem Wiener Grünen Peter Pilz zugespielt wurde.
"Das System war überall dasselbe", sagt Pilz. "Über die Religionsattacheés wurde ein Netz der Erdoğan-Stasi über das ganze Land gelegt." Türkische Behörden hätten den Auftrag gehabt, "alles was gegen Erdoğan ist, nach Ankara zu berichten."
Pilz glaubt, dass nur ein gemeinsames und koordiniertes Vorgehen aller betroffenen Länder der türkischen Spionage Einhalt gebieten könne. "Wir müssen das europaweit aufklären und mit allen rechtsstaatlichen Mitteln daran arbeiten, diese Strukturen zu zerschlagen."
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