Alexis Tsipras geht auf grosse "Werbetour" in Europa. Die ersten Stationen des griechischen Ministerpräsidenten: Zypern, Italien, Frankreich. Sein Ziel: Verbündete für seinen Anti-Spar-Kurs gewinnen. Doch wie? Drei Szenarien sind möglich, doch nur eine ist wahrscheinlich.

Mehr aktuelle News

Der Ton ist schon gemässigter. Die Zusammenarbeit mit der Troika will Alexis Tsipras nicht aufkündigen. Er weiss: Ohne die "Troika" aus Internationalem Währungsfonds (IWF), der Europäischen Zentralbank (EZB) sowie der EU-Kommission droht den Hellenen schon am 1. März die Zahlungsunfähigkeit.

Dennoch ist der griechische Ministerpräsident fest entschlossen, sein Land aus der Misere führen – koste es, was es wolle. Das hat er versprochen, deshalb haben die Menschen Griechenlands ihn gewählt. In Brüssel sind bereits die ersten Warnschüsse gefallen, nachdem Tsipras gleich mehrere Reformen für null und nichtig erklärt, gleichzeitig aber an seiner Forderung eines Schuldenschnitts festgehalten hatte.

Allein die EZB erwartet im Frühjahr Rückzahlungen in Höhe von sieben Milliarden Euro, der Währungsfonds in Washington fordert ebenfalls die ersten Stundungen in Milliardenhöhe. Geld, das Griechenland unmöglich selbst aufbringen kann. Denn das Land sitzt auf einem gewaltigen Schuldenberg von 176 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung: mehr als 320 Milliarden Euro steht das Land in der Kreide, Ökonomen gehen davon aus, dass diese Summe in diesem Jahr noch auf 340 Milliarden Euro ansteigen wird. Tsipras' Forderung nach einem Schuldenschnitt käme damit einer Erleichterung um 88 Prozent, also 170 Milliarden gleich.

Doch welche Alternativen bleiben Alexis Tsipras und den Griechen? Und - welches Szenario ist am wahrscheinlichsten?

Szenario 1: Der Schuldenschnitt

Alexis Tsipras' Maximalforderung. Sehr wahrscheinlich ist diese Option allerdings nicht. Denn Griechenland hat bereits 2012 einen Schuldenschnitt bekommen. Zumal Griechenland von einem neuerlichen Schuldenerlass nur bedingt profitieren würde: Zwar gilt ein Schuldenschnitt als wachstumsfördernd. Doch was Griechenland langfristig wirklich hilft, sind Strukturreformen in der Wirtschaft. Stattdessen will Tsipras bereits angestossene Privatisierungen wie die der Hafenanlage in Piräus, die ausländische Investoren anlocken sollen, stoppen und bereits verkaufte staatliche Unternehmen wieder zurückholen.

Zudem profitiert Griechenland bis 2020 von kaum nennenswerten Zinsen und verlängerten Kreditlaufzeiten. "Ich sehe derzeit keine Notwendigkeit für einen solchen Schritt", sagte deshalb auch der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker. Zumal ein solcher Schritt für die Geberländer, zu denen auch Deutschland gehört, mit hohen Verlusten einherginge. Experten gehen in einem solchen Fall von 60 bis 80 Milliarden Euro Schaden aus - zulasten der Steuerzahler. Darauf wird sich kaum eine Regierung in Europa einlassen. Auch nicht die Italiener, die in einem solchen Fall mit gut 40 Milliarden Euro haften müssten. Damit stünde Rom zudem selbst vor dem finanziellen Abgrund. Denn nach Griechenland ist Italien mit 132 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung das zweithöchstverschuldete Land der Eurozone. Matteo Renzi, der sich gerade um Strukturreformen bemüht, um das Land wieder auf Kurs zu bringen, wird sich von Tsipras, der dieser Tage auch bei ihm aufschlagen wird, daher kaum überzeugen lassen.

Dabei ist Rom nicht das einzige Euroland mit hoher Staatsverschuldung. Auch Portugal steht mit knapp 132 Prozent des Bruttoinlandprodukts in der Kreide. Selbst Frankreich schreibt mit rund 98 Prozent seiner Jahreswirtschaftsleistung rote Zahlen. Der Euroraum würde sich von einem Schuldenerlass aller 19 Mitglieder kaum erholen, fürchtet Gustav Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung. Denn er würde nicht nur das Vertrauen der Steuerzahler erschüttern, sondern auch das der Investoren.

Szenario 2: der "Grexit"

Gleiches dürfte aber für das Szenario eines Austritts Griechenlands aus der Eurozone, kurz "Grexit", gelten. Zum einen, weil zwei Drittel der Griechen den Euro behalten wollen – und auch Tsipras keine Rückkehr zur Drachme will. Zum anderen, weil dies rechtlich gar nicht möglich wäre. Denn der Lissabonvertrag, der die Regeln der EU-Gemeinschaft bestimmt, sieht dies überhaupt nicht vor: Wer einmal in die Eurofamilie eingetreten ist, kann sie nur verlassen, indem er die EU verlässt. Dafür bräuchte es aber neben der Zustimmung der Regierung aus Athen auch die aller anderen 27 Mitgliedsstaaten.

Und selbst, wenn diese Hürde genommen würde, hätte dies für Griechenland dramatische Folgen. Durch die resultierende Abwertung der Drachme würden die Schulden der Hellenen noch teurer. Importe drohten unbezahlbar zu werden, der Kapitalmarkt würde seine Türen endgültig für Hellas verschliessen. Athen stünde damit vor dem wirtschaftlichen Abgrund.

Szenario 3: der Kompromiss

Die wahrscheinlichste Option ist wie so oft der Kompromiss. Tsipras weiss, welch dramatische Folgen der "Grexit" für Griechenland hätte. Zumal die Eurozone, von der Griechenland gerade einmal zwei Prozent ausmacht, sich "nicht erpressen lassen" wird (Wolfgang Schäuble). Nach dem Konfrontationskurs der ersten Amtswoche Tsipras' geht es nun also um eine Kompromisssuche. Dennoch fordert Tsipras ein Ende der "Troika"-Besuche, die seine Landesgenossen als erniedrigend empfinden.

Für eine Umstrukturierung der "Troika" hat EU-Kommissionspräsident bereits seine Unterstützung signalisiert. Auch eine Streckung der Laufzeiten für die griechischen Kredite gilt als denkbar, ebenso die weitere Absenkung der ohnehin mit knapp 2,5 Prozent bereits niedrigen Zinsen.

Nun müssen beide Seiten eine schnelle Einigung finden. Denn das im Winter noch eilig verlängerte Hilfspaket läuft Ende Februar aus. Tsipras will eine Fortsetzung bis zum Sommer erreichen. Doch dafür wird er Brüssel entgegenkommen müssen. "Über die Details kann man reden", sagte Juncker zu den von der Troika auferlegten Sparmassnahmen. Aber "die Zielmengen müssen eingehalten werden".

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.