Die Ampel ist Geschichte. Das Bündnis hat mit einem lauten Knall geendet – unter persönlichen Verletzungen und gegenseitigen Schuldzuweisungen. Was aber bleibt von den rot-gelb-grünen Jahren? Unsere Redakteure ziehen Bilanz.

Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von F. Hartmann, F. Busch, M. Sandler, T. Pillgruber, T. Eldersch und L. Czypull sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Sie war als selbsternannte Fortschrittskoalition gestartet. Als die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP nach der letzten Bundestagswahl die Arbeit aufnahmen, war die Hoffnung gross: ein lagerübergreifendes Bündnis, das Soziales, Ökologie und Freiheit verbindet. Nach 16 Jahren CDU-Regierung wollten die Koalitionäre den Reformstau im Land auflösen.

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Am 6. November 2024 ist all das in sich zusammengefallen. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat seinen Finanzminister Christian Lindner (FDP) vor die Tür gesetzt. Zerrüttet war das Bündnis allerdings schon lange. Was hat die Ampel in ihrer Regierungszeit umgesetzt, was nicht? Und vor allem: Was bleibt von dieser Koalition?

Die Zeitenwende des Kanzlers

Auch wenn Olaf Scholz vielleicht nur auf eine kurze Amtszeit zurückblicken wird: Als Bundeskanzler hat er trotzdem eine Rede für die Geschichtsbücher gehalten. Am 27. Februar 2022 kündigte er im Bundestag seine "Zeitenwende" an.

Auf den russischen Einmarsch in der Ukraine reagierte Deutschland mit eigener Aufrüstung: Das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr ist inzwischen praktisch verplant. Erstmals seit langem hat Deutschland wieder zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für die Verteidigung ausgegeben. Und ständig länger wurde die Liste der militärischen Unterstützung für die Ukraine: Helme, Waffen, Panzer, Flugabwehr.

Aus Sicht der CDU/CSU fiel die Zeitenwende viel zu zögerlich aus. Aus Sicht der neuen Wagenknecht-Partei BSW dagegen hat die Ampel damit den Sündenfall der Militarisierung begangen. Wie auch immer man dieses Thema bewertet: In der Sicherheits- und Verteidigungspolitik hat die gescheiterte Koalition das Gesicht Deutschlands verändert.

Neue Härte in der Migration

Untätigkeit in Sachen Migrationspolitik würden der Ampel vermutlich nicht einmal Asyl-Hardliner aus der Union vorwerfen. Schliesslich stand das Themengebiet unter der selbsternannten Fortschrittskoalition vor allem unter einem Motto: Verschärfen!

Mit der Bezahlkarte für Flüchtlinge setzte die Ampel die Umstellung von Geld auf Sachleistungen für Migrantinnen und Migranten durch. Mit dem Rückführungsverbesserungsgesetz wurden Abschiebungen erleichtert. Und auf europäischer Ebene machte sich die Bundesregierung stark für die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Bei der nationalen Umsetzung will man sogar über die Vorgaben aus Brüssel hinausschiessen.

Ob es dazu noch kommt, ist allerdings nach dem Ende der Ampel unklar. Selbiges gilt für die Asyl-Verschärfungen, die der Bundesrat zuletzt in Form eines Teils des Sicherheitspakets gestoppt hat.

Aber eines ist nach drei Jahren Ampel gewiss: In der Migrationspolitik gilt eine neue deutsche Härte.

Eine kräftige Mindestlohnerhöhung

Es war ein zentrales Versprechen der SPD: Der Mindestlohn sollte ausserplanmässig auf 12 Euro steigen. Das haben die Genossen in der Ampel auch durchgesetzt – wohlgemerkt: mit den Stimmen der FDP. Normalerweise entscheidet eine Kommission über die Höhe des Mindestlohns. Die Ampel hat sich darüber hinweggesetzt und sozialpolitisches Fingerspitzengefühl bewiesen.

Untere Lohngruppen waren zu lange vom wirtschaftlichen Fortschritt abgehängt. Natürlich: Ein solcher Schritt entspricht ganz sicher nicht der reinen Lehre der Marktwirtschaft. Er hat aber da für Kaufkraft gesorgt, wo sie dringend benötigt wird: bei Menschen, die jeden Euro sofort wieder ausgeben.

Schritte zur Energiewende

Die Energiewende hatte sich die Ampel zum Start gross auf ihre Fahnen geschrieben – und teilweise auch geschafft. Eine grosse Zäsur stellte der Ukrainekrieg und der damit einhergehende Importstopp von russischem Gas dar. Der Blackout blieb jedoch aus. Inzwischen bezieht Deutschland sein Gas vorwiegend aus Norwegen und den Niederlanden, auch die vorübergehende Preisexplosion bei den Strom- und Gaspreisen ist mittlerweile überstanden.

Ein Blackout auf dem Strommarkt blieb ebenfalls aus – trotz der Abschaltung der letzten drei verbliebenen Atomkraftwerke im April 2023. Dafür nahm der Anteil der Erneuerbaren Energien immer weiter zu. Er lag im ersten Halbjahr 2024 bei 61,5 Prozent. Mit dem "Wind-an-Land-Gesetz" sollen zudem die Länder bis 2032 zwei Prozent ihrer Landesflächen für Windenergie ausweisen. Beim Industriestrompreis fordert die Wirtschaft jedoch mehr Entlastung.

Ein Debakel war die zunächst unfertige Veröffentlichung des Heizungsgesetzes. Viele Haushalte fürchteten durch die Umstellung ihres Heizungssystems auf klimafreundliche Alternativen hohe Kosten. Das fertige Gesetz beinhaltet jetzt aber längere Übergangsfristen und mehr Förderungen.

Die Rentenpolitik: eine verpasste Chance

In der Rentenpolitik hätte die Ampel Pflöcke einschlagen können auch und gerade, weil es die FDP gibt. So richtig es ist, dass SPD und Grüne auf die Höhe der Absicherung schauen. Was beiden Parteien mitunter abgeht, ist ein Blick auf all jene, die es bezahlen sollen. Das hätte der Glanzmoment der Liberalen sein können. Und mit dem Generationenkapital einem staatlichen Fonds, der in Aktien investiert, um aus den Gewinnen die Beiträge in der Rentenversicherung stabil zu halten haben sie den ersten Schritt auch durchgesetzt.

Finanzminister Christian Lindner hat Schritt zwei skizziert. Die verkorkste Riester-Rente sollte endlich attraktiv werden: mithilfe des Kapitalmarktes. Private Vorsorge in Aktien und ETFs sollte staatlich gefördert werden. Dazu wird es nun nicht kommen. Die Liberalen haben den Rauswurf aus der Ampel provoziert und die Rentenpolitik bleibt weiter halbherzig.

Moderne Infrastruktur

Ob es in Sachen Verkehrspolitik nun voranging oder nicht in den vergangenen drei Jahren, darüber lässt sich streiten. Ein potenzielles Tempolimit spaltete die Koalition bis zuletzt. Irgendwann, so schien es allenfalls, wurde es einfach unter den Teppich gekehrt, das Verkehrsministerium mauerte.

Ein grosses Anliegen der Ampel war es jedoch, die Deutsche Bahn wieder auf Vordermann zu bringen. Ob das Sanierungsprojekt mit dem sperrigen Namen "Infrastrukturprogramm Schiene" Erfolg haben wird, lässt sich aber wohl erst frühestens 2030 beurteilen. Bis dahin spüren die Bürgerinnen und Bürger vor allem eines: noch mehr Verspätungen und Zugausfälle aufgrund der notwendigen Baustellen.

Die Krux mit dem Wohnraum

400.000 Wohnungen wollte die Ampel-Regierung im Jahr bauen – 100.000 davon sollten Sozialwohnungen werden. Dieses Ziel hat die zuständige Ministerin, Klara Geywitz (SPD), jedoch nicht erreicht. "Das aktuelle Niveau der Baugenehmigungen entspricht nur etwas mehr als 200.000 neu gebauten Wohnungen pro Jahr", sagte der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Sebastian Dullien, im August.

Geywitz selbst spricht im Gespräch mit unserer Redaktion jedoch von "390.000 Wohnungen", die sich im Bau befinden würden. Sie fügte hinzu: "Über 820.000 Wohnungen befinden sich im Bauüberhang: Sie sind schon genehmigt und geplant, aber noch nicht gebaut."

Für Mieter hat sich in den drei Jahren Ampel-Regierung ebenfalls wenig getan. Lange gab es ein Ringen um die Verlängerung der Mietpreisbremse. Erst in diesem Jahr wurde sie bis Ende 2028 verlängert. Zudem wollten SPD und Grüne den Mietern mehr Rechte bei der Kündigung aufgrund von Eigenbedarf an die Hand geben. Die FDP sah hier hingegen keinen Handlungsbedarf.

Anpassung an gesellschaftliche Realitäten

Vor allem trans- und intergeschlechtliche sowie nichtbinäre Menschen hatten jahrelang auf eine Reform des Transsexuellengesetzes gewartet. Die Ampel hat dafür gesorgt, dass Menschen ihren Vornamen und Geschlechtseintrag beim Standesamt ändern können. Eine richterliche Entscheidung, für die Betroffene zwei psychologische Gutachten vorlegen mussten, ist nicht mehr nötig.

Auch das neue Namensrecht trägt gesellschaftlichen Realitäten Rechnung. Bei der Frage, wer in einer (Patchwork-)Familie welchen Nachnamen trägt, haben die Bürger ab Mai deutlich mehr mitzureden. Dann sind zum Beispiel Doppelnamen aus beiden Nachnamen erlaubt.

Mit der Abschaffung des Paragrafen 219a, bekannt als Werbeverbot für Abtreibungen, hat die Ampel ein Versprechen erfüllt. Bei ihrem deutlich weitreichenderen Vorhaben in Sachen Abtreibung ist sie jedoch gescheitert – und zwar einmal mehr an der FDP. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) wollte Schwangerschaftsabbrüche bis zur zwölften Woche legalisieren. Doch mit den Liberalen war das nicht zu machen.

Kursschwenk in der Drogenpolitik

Wer volljährig ist, darf in Deutschland seit April bis zu 50 Gramm Cannabis besitzen und bis zu drei Pflanzen zu Hause haben. Mitglieder sogenannter Cannabis-Clubs dürfen selbst angebautes Cannabis untereinander abgeben.

Mit dieser – heftig umstrittenen – Legalisierung hat die Koalition ihr grösstes drogenpolitisches Projekt realisiert. Dahinter steht ein anderer Blick auf die Konsumenten, als ihn Vorgängerregierungen hatten: Die Politiker vertrauen darauf, dass mündige Bürger verantwortungsvoll mit der Droge umgehen.

Reformfreude in der Gesundheitspolitik

Die grösste Gesundheitsreform seit 20 Jahren: So bezeichnete Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Krankenhausreform, die die Ampel in diesem Jahr auf den Weg gebracht hat. Lauterbach will damit die Finanzierung der Kliniken verbessern, ihre Spezialisierung vorantreiben - und ein drohendes grosses Krankenhaussterben verhindern.

Doch mit dem Ampel-Bruch steht sie nun auf der Kippe. Lauterbach will seine Grossoperation aber trotzdem noch ins Ziel bringen. Auch die Apotheken sollten reformiert werden. Hier war sich die Ampel allerdings zuletzt immer noch nicht einig darüber, wie eine solche Reform im Detail aussehen soll.

Eine aufgeheizte Gesellschaft

Sie wollte ideologische Gräben überwinden. Doch ein Erbe der Ampel ist auch eine aufgeraute und dünnhäutige Gesellschaft. Der Ton im Bundestag oder bei Demonstrationen ist härter und unversöhnlicher geworden. Gerade in den Kommunen ziehen sich Menschen aus dem politischen Engagement zurück. Andere wenden sich von den Parteien der sogenannten demokratischen Mitte ab, hin zu AfD oder BSW.

Dieses Klima lässt sich nicht allein der Ampelkoalition anlasten. Sondern auch den anderen Parteien, die von der Polarisierung profitieren. Aber die Regierung hat diese Entwicklung mit öffentlichem Streit und unausgegorenen oder schlecht erklärten Entscheidungen zumindest mit angeheizt.

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