Die Ampelkoalition gelobt Besserung, glaubt aber selbst nur bedingt daran. Die CDU sieht sich als demokratisches Bollwerk. Und die AfD will in Sachsen und Thüringen regieren, findet aber keine Partner. Eindrücke aus Berlin am Tag nach denkwürdigen Landtagswahlen.

Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von F. Busch, T. Eldersch, F. Hartmann und R. Sawicki sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Ein schwerer Tag für die Demokratie, so nennt SPD-Chefin Saskia Esken die Wahlergebnisse in Sachsen und in Thüringen. Sie müssten die Parteien wachrütteln, sagt sie am Tag danach im Willy-Brandt-Haus in Berlin. Für die SPD hätte es bei den Landtagswahlen zwar schlimmer kommen können. Insgesamt gehen aber alle drei Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP lädiert daraus hervor. Mal wieder.

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Und mal wieder lautet die Lehre, die die SPD daraus zieht: Wir müssen den Menschen die Politik besser erklären. Gleichzeitig müsse sich die Kanzlerpartei SPD stärker innerhalb der Koalition profilieren. Nach der Europawahl klang das ähnlich.

Esken will von Bundeskanzler Olaf Scholz zwar nicht fordern, seine Richtlinienkompetenz stärker auszuspielen. Trotzdem sagt sie: "Die SPD muss zeigen, dass sie die Regierung anführt, und dass wir auch umsetzen können, was wir wollen."

Wie eine stärkere Profilierung und gleichzeitig eine grössere Einigkeit der Ampel erlangt werden können, lässt Esken unbeantwortet. Nur so viel: Wenn es nach ihr geht, bringt die Ampel die Legislatur gut zu Ende und setzt sozialdemokratische Versprechen des Koalitionsvertrages um.

Grüne wollen keine weiteren Durchhalteparolen

Besser erklären und weniger streiten – dann wird alles besser? Ricarda Lang lässt bei der Pressekonferenz der Grünen durchscheinen, dass sie diese Erwartung naiv findet. Zu oft haben sich die Koalitionspartner das vorgenommen, zu oft sind sie dann doch wieder aneinandergeraten.

"Die Leute haben keine Lust auf Durchhalteparolen, die sich als falsche Versprechen entpuppen", sagt die Grünen-Vorsitzende. Die Ampelkoalition will sie zwar nicht vorzeitig beenden, trotzdem klingt ihre Einschätzung des Bündnisses fast nach einer inneren Kündigung. "Die Regierung hat es bisher nicht geschafft, dem Land die Stabilität zu geben, die es verdient." Es gehe jetzt darum, sich auf bestimmte Projekte zu konzentrieren, die man noch zusammen umsetzen kann.

Noch ein paar gemeinsame Projekte – aber welche?

Ricarda Lang denkt dabei vor allem an soziale Themen. Christian Lindner hat etwas anderes im Kopf. Der FDP-Vorsitzende und Bundesfinanzminister sagt am Montag, die Ampel müsse noch eine Reihe "von Projekten und Gesetzgebungen" voranbringen. Er meint dabei aber eine strengere Asyl- und Migrationspolitik. "Es muss sich etwas ändern. Die Menschen haben die Schnauze voll, dass der Staat die Kontrolle verloren hat bei Einwanderung und Migration nach Deutschland", sagt Lindner.

Merz: "CDU ist letztes Bollwerk der demokratischen Mitte"

Wenn die Ampel im Zustimmungstief verharrt, könnte der nächste Bundeskanzler 2025 Friedrich Merz heissen. Der CDU-Vorsitzende ist von den Ergebnissen seiner Partei in Sachsen und Thüringen zwar nicht gerade begeistert. Um die eigene Kanzlerkandidatur in der Union durchzusetzen, dürften sie aber reichen. Die Frage bleibt nur, wann Merz das öffentlich verkündet. Am Montag jedenfalls nicht.

Auch wenn Merz angesichts des starken Abschneidens der AfD nicht in Jubel ausbricht, gibt er sich doch selbstbewusst. "Die CDU ist das letzte Bollwerk aus der demokratischen Mitte heraus gegen den rechtsextremen Populismus dieses Landes."

Auch dieses Bollwerk wird in Sachsen und Thüringen aber Koalitionspartner brauchen. In Thüringen ist das praktisch ein Ding der Unmöglichkeit, wenn die CDU sowohl eine Zusammenarbeit mit der AfD als auch mit der Linken ausschliessen. Beim Nein zur AfD bleibt die CDU am Montag jedenfalls. Die habe im Wahlkampf mal wieder ihre Bösartigkeit bewiesen, sagt Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer.

Die AfD will regieren – und attackiert "Brandmauern"

Die Partei, mit der niemand etwas zu tun haben will, hat am Montag zur "Wahlnachlese" in die Bundesgeschäftsstelle nach Reinickendorf geladen, weit im Berliner Norden. Das Regierungsviertel – und damit der Zugang zur Macht – ist von hier weit entfernt. Es passt zur Lage der AfD. Die Partei sieht sich an den Rand gedrängt. Die Vorsitzende Alice Weidel ist schnell auf Betriebstemperatur: Es gebe in Thüringen und Sachsen einen klaren Wählerauftrag, Brandmauern gegen die AfD seien undemokratisch.

Ihr Co-Chef Tino Chrupalla sieht es genauso: Die AfD sei bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen – gemeinsam mit der CDU. Die Strategie der Partei scheint es zu sein, für Unruhe bei den Christdemokraten zu sorgen, sie vor sich herzutreiben. Dabei wissen auch Weidel und Chrupalla: Für sie gibt es keine Machtperspektive.

Das hat auch mit dem Mann zu tun, der am Montag gar nicht in Berlin ist. Der Thüringer AfD-Chef und Rechtsextremist Björn Höcke ist gar nicht erst gekommen, stattdessen sitzt der Co-Landesvorsitzende Stefan Möller auf dem Podium. Drückt sich der ebenso radikale wie sendungsbewusste Höcke etwa vor den Fragen der Journalisten? Nein, sagt Möller. Es gebe eben Arbeitsteilung zwischen ihm und Höcke. Dann grinst er.

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