Mit seinen Aussagen zu Flüchtlingen hat CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer viel Kritik auf sich gezogen, auch aus seiner eigenen Partei. Es ist nicht das erste Mal, dass Scheuer mit rechtslastigen Äusserungen aneckt - und damit nicht nur den politischen Gegner gegen sich aufbringt.

Ein Interview
von Andreas Kuhlmann

Trotzdem seien die umstrittenen Aussagen keineswegs ein Zufall, sondern Teil einer Partei-Strategie, glaubt der renommierte Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld. Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt der Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung in München (CAP), warum Scheuers Vorgehen wahrscheinlich mit Partei-Chef Seehofer abgestimmt sei - und warum der Generalsekretär dennoch im jüngsten Fall über das Ziel hinausgeschossen ist.

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Herr Weidenfeld, das Schlimmste sei ein "Fussball-spielender, ministrierender Senegalese" - denn den "kriegen wir nie wieder los", hat CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer über abgelehnte Asylbewerber gesagt - und steht dafür auch innerparteilich in der Kritik. Nun ist Herr Scheuer ja ein intelligenter Mensch und die Kritik an seinen Äusserungen war erwartbar. Warum hat er sie trotzdem so gesagt?

Werner Weidenfeld: Die genannte Aussage hat zwei Dimensionen, die getrennt betrachtet werden müssen. Das eine ist die Abgrenzung von dem Fremden. Das ist tatsächlich ein taktisches Kalkül. Eine Partei wie die CSU will dieses Thema nicht alleine der AfD überlassen und zeigt deshalb immer wieder an dieser Stelle eine Kante. Was in diesem Fall jenseits dieser Überlegung etwas aus dem Lot geraten ist, bleibt die genaue Formulierung. Scheuers Äusserung kann als eine Entwürdigung von Menschen verstanden werden. Und das ist etwas, was nicht im Sinne des Kernbestands der CSU-Anhänger ist - besonders nicht der kirchlich orientierten Wähler. Entsprechend gross ist jetzt die Empörung. Wir erleben hier auch, dass die Umsetzung einer Strategie in der politischen Praxis schon einmal aus dem Lot laufen kann, zum Beispiel durch ungeschickte Formulierungen.

Aber Sie sagen auch, dass es diese Strategie der CSU tatsächlich gibt, durch zugespitzte Äusserungen Wähler am rechten Rand zu erreichen?

Ja natürlich. Das ist ja auch keineswegs das erste Beispiel, auch in Bezug auf Herrn Scheuer. Sie brauchen in einer solchen Volkspartei, die das Ziel hat, eine grosse Mehrheit bei den Wahlen zu gewinnen, eine Bandbreite von Aussagen. Dazu gehört die harte These, dass sich rechts von der CSU niemand etablieren darf. Dafür braucht es Positionen, die das verhindern. Aber genauso gut braucht die Volkspartei CSU auch intellektuelle Höhenflüge, wenn sich zum Beispiel ein paar CSU-Obere über die Fortentwicklung der Opern- oder Konzert-Landschaft unterhalten. Solche Themen bedienen dann vielleicht eher bildungsbürgerliche Kreise, während Scheuer mit seinen Äusserungen durchaus Wähler am rechten Rand anspricht. Wenn Sie diesen Erfolg der CSU haben wollen, brauchen Sie die gesamte Bandbreite im Angebot.

Sind Scheuers Vorstösse also vielleicht sogar mit Horst Seehofer abgestimmt, als Teil einer Art Doppelstrategie?

Aber ja, wenn auch wahrscheinlich nicht unbedingt die genauen Formulierungen im jüngsten Fall. Aber dass man eine profilierende Schärfe auch gegenüber den Rändern artikuliert, das ist schon immer ein Element der politischen Arbeit gewesen. Und ein Vorsitzender, der meistens ein Hauch integrierender und verbindlicher sein will, braucht natürlich in der Arbeitsteilung eine Hilfe für eine schärfere Artikulation, in diesem Fall eben Herrn Scheuer. Diese Arbeitsteilung gilt aber nicht nur für die CSU, sondern Sie finden sie in jeder politischen Partei, wenn Sie die Arbeit der Generalsekretäre dort einmal beobachten.

Sind Scheuers Äusserungen denn tatsächlich geeignet, AfD Wähler zurückzugewinnen?

Nein, da müsste die CSU wesentlich mehr bieten. Die AfD-Wähler sind ja keine Wähler, die so auf eine Silbe reagieren. Als die AfD sich auf den Weg machte, war für sie das grosse Thema der Euro. Erst dann wurde das Flüchtlingsthema bestimmend. Sollte sich das Flüchtlingsthema entspannen, durch die Massnahmen der Bundesregierung und der EU, dann wird die AfD nach einem anderen Grossthema suchen. Zum Beispiel die demographische Entwicklung der Gesellschaft oder irgendein anderes grosses Feld. Sie wird damit auch wieder Zustimmung gewinnen, solange die Grossparteien nicht selbst die Orientierungsleistung erbringen, darzustellen, was diese Gesellschaft ausmacht - und was sie in Zukunft ausmachen will. Das Problem geht über ein paar taktische Fingerübungen von Herrn Scheuer hinaus.

Inwiefern?

Die soziologischen Milieu-Bildungen in der Politik sind abgelöst durch Stimmungsmilieus. Es wählt nicht mehr der Arbeiter oder der Unternehmer eine bestimmte Partei, sondern es sind heute Stimmungslagen, aus denen heraus entschieden wird. Darauf müssen die Volksparteien eine Antwort finden.

Schaden die jüngsten Äusserungen von Herrn Scheuer aus Ihrer Sicht der CSU?

Ja natürlich. Diese Äusserungen sind alles andere als hilfreich für die CSU. Wenn die CSU wirklich den rechten Rand schärfen will, dann gibt es dazu sicherlich Möglichkeiten, beispielsweise durch Betonung nationaler und regionaler Identität. Aber dazu braucht sie nicht diese Art von Rhetorik.

Werner Weidenfeld, Jahrgang 1947, ist Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung in München (CAP). Bis zu seiner Emeritierung arbeitete er als Professor für Politische Wissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Von 1987-1999 war er Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit.
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