Sind Rechtspopulisten besonders in Osteuropa erfolgreich? Experten halten das für Schubladendenken. Die Wirklichkeit ist viel komplizierter. Zum einen, weil sich rechts und links nicht immer unterscheidet. Zum anderen, weil es grosse Unterschiede zwischen den Ländern gibt.
Der Front National mit Marine Le Pen in Frankreich, die Partei für die Freiheit mit Geert Wilders in den Niederlanden oder die FPÖ mit Heinz-Christian Strache in Österreich: Seit vielen Jahren sitzen rechte Parteien in europäischen Ländern in den Parlamenten. In 19 von 28 Mitgliedsstaaten der EU.
Auffällig ist, dass in den vergangenen Jahren vor allem im Osten Europas Parteien am rechten Rand erstarkt sind. In einigen stellen sie sogar die Regierungschefs - neben Polen und Ungarn nun auch Tschechien.
Dort wurde Andrej Babiš mit der Regierungsbildung beauftragt. Er gilt ebenfalls als Rechtspopulist. Damit wächst der rechte Block in Osteuropa.
Es scheint, als wären besonders diese Länder momentan offen für rechtspopulistische Parteien.
Dass allerdings greift zu kurz. Der Begriff Rechtspopulismus ist Osteuropa-Experte Stefan Meister zufolge unpassend. Man könne in diesem Zusammenhang nicht immer rechts und links unterscheiden. Der Begriff Populismus sei treffender, da er beides berücksichtigt.
Pauschal alle Länder im Osten über den Kamm zu scheren, ist zudem wenig zielführend. Jedoch gibt es Gemeinsamkeiten. Ein Überblick:
Stimmung in der Bevölkerung
Generell richten sich die Populisten in Osteuropa "nach den unterschiedlichen Stimmungen in der Bevölkerung", sagt Meister. Dafür bedienen sie sich eines Instrumentenkastens mit verschiedensten Elementen.
Dazu gehören sowohl rechte wie linke Ideen, der Kampf gegen Korruption und gegen alte Eliten. Aber eben auch sozialer Populismus.
Meister zufolge kommen antidemokratische, anti-europäische und auch antideutsche Elemente sowie die Sehnsucht nach einer starken Führungsfigur, Nationalismus oder die Angst vor Überfremdung hinzu. Jedes europäische Land habe da seine spezifische Ausprägung.
Gemeinsamkeiten sieht der Experte bei der Visegrad-Gruppe (Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei) vor allem bei Fragen von Identität und Souveränität. Durch die Flüchtlingskrise seien die Abgrenzungsbestrebungen gegenüber der EU und Deutschland besonders stark.
Angst vor Verlust der Identität
Zentraler Punkt in allen Staaten sei die Angst vor dem Verlust der eigenen Identität. Daraus ergibt sich Meister zufolge die Tendenz gegen Dirigismus der EU, grosser Mitgliedsstaaten oder supranationale Einrichtungen.
Politik-Experte Martin Brusis von der LMU München sieht zudem die wirtschaftliche Entwicklung in Osteuropa als gemeinsame Ursache.
"Die ökonomische Transformation und Globalisierung haben in relativ kurzer Zeit tiefe gesellschaftliche Umbrüche ausgelöst." Soziale Unterschiede wurden vergrössert und viele Menschen existenziell verunsichert.
Zudem biete die Geschichte Osteuropas ein Reservoir kollektiver Erinnerungen, Ideen und Symboliken, in der die Nation in ihrer Existenz gefährdet sei.
Die Nation erscheine darin als Opfer äusserer Mächte, in heldenhaftem Widerstand oder in tragisch scheiternden Märtyrerrollen.
Polen: Gezeichnet von Fremdherrschaft
"In Polen ist man besonders empfindlich gegenüber Eingriffen der EU und sehr auf die nationale Souveränität bedacht - gerade als Reaktion auf die eigene Teilungsgeschichte zwischen Grossmächten", erklärt Meister.
Polen etwa stand jahrhundertelang unter Fremdherrschaft und war zwischen Preussen, Russland und Habsburg aufgeteilt. Deshalb spielt hier auch das Verhältnis zu den beiden Nachbarstaaten und der Zweite Weltkrieg eine grosse Rolle.
Ein Beispiel dafür sind die Reparationsforderungen der Partei PIS und deren Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski an Deutschland.
Die Frage der Souveränität betreffe auch die von Deutschland und der EU geforderte Aufnahme von Flüchtlingen. Kaczynski setzt zudem auf eine Schwächung der Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit der Presse, Elemente der liberalen Demokratie.
"Die Polen fragen sich auch, wie lange es dauert, bis sie ökonomisch zu Westeuropa aufgeschlossen haben, da trotz der immer wieder zitierten Erfolgsgeschichte die Gehälter noch immer deutlich geringer sind ", so der Experte.
Der harte Neoliberalismus der Vorgängerregierung wird von der Bevölkerung kritisch gesehen. Deshalb kämen die sozial-populistischen und damit durchaus linken Elemente im PIS-Programm wie Kindergeld und niedrigeres Rentenalter gut an.
Ungarn: Angst vor Fremdbestimmung
"In Ungarn wird der Populismus von der Frage geprägt: Wer bestimmt eigentlich, wie viele Migranten in unser Land kommen, die EU und Deutschland oder Ungarn?"
Hintergrund sei die Stilisierung der eigenen Souveränität und die Abgrenzung zur EU und zu Deutschland. Hinzu kommt Kritik an internationalen Konzernen, die sich in die ungarische Wirtschaft eingekauft haben.
So war die Partei Fidesz von Victor Orban ursprünglich proeuropäisch und liberal eingestellt. Erst nach der für viele Ungarn schwierigen wirtschaftlichen Anpassung an den Westen etablierte sich die Fidesz als autoritäre und euroskeptische Partei.
Tschechien: Kampf gegen Klientelwirtschaft
In Tschechien ist die Lage etwas anders. Hier geht es um den Kampf gegen Korruption, Klientelwirtschaft und alte sozialistische Parteikader.
"Im Hintergrund steht auch in Tschechien die Abgrenzung gegenüber der EU und die eigene Souveränität, die Zustimmungswerte zur EU sind hier so niedrig wie nirgendwo sonst in Europa", berichtet Meister.
Seit der Wahl vor ein paar Wochen liegt die traditionelle Parteienlandschaft in Trümmern. Sieger ist der Milliardär Andrej Babiš mit seiner wirtschaftsliberal-rechtspopulistischen Protestpartei ANO (Aktion unzufriedener Bürger).
30 Prozent der Stimmen erhielt die ANO. Dahinter liegen ebenfalls Parteien, die gegen die etablierten arbeiten: die Piratenpartei, die rechtsextreme SPD und die Kommunisten.
Wie auch andere populistische Parteien richten sich Babiš und die ANO nach den aktuellen Stimmungen der tschechischen Bevölkerung.
Die Partei nutzt wirtschaftsliberale Elemente und verspricht staatliche Investitionen sowie Steuersenkungen für Unternehmer, sie propagiert einen straffen Staat und will die Polizei stärken.
Hinzu kommen anti- und pro-EU Elemente sowie Fremdenfeindlichkeit - alles nach bewährtem Populismus-Muster.
Einen wesentlichen Unterschied gibt es zu Orban und Kaczynski: Babiš gilt nicht als Nationalist.
Slowakei: Linker Populismus
In der Slowakei stellt die populistische Partei Smer-SD mit Robert Fico den Ministerpräsidenten. Sie setzt auf staatliche Investitionsprogramme, einen starken Sozialstaat und gesellschaftliche Solidarität. Zudem ist sie gegen eine neoliberale Reformpolitik.
Osteuropa-Experte Meister schätzt den slowakischen Populismus deshalb auch eher links geprägt ein. Es werde sich weniger gegenüber der EU und Deutschland abgegrenzt. Dafür sei jedoch die Zuwandererfrage und die Angst vor Überfremdung sehr wichtig.
Baltikum: EU-freundlich - auch wegen Russland
In den baltischen Staaten sind die EU und der Euro beliebt. "Das sind Pro-EU-Länder, die für eine stärkere Vergemeinschaftung eintreten", sagt Meister.
Die EU garantiere die Souveränität gegenüber Russland, der Populismus, wenn überhaupt, sei gegen den grossen Nachbarn gerichtet.
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