• Erstmals seit dem Ende ihrer Amtszeit hat Angela Merkel ein Interview gegeben.
  • Im Berliner Ensemble sprach die frühere Bundeskanzlerin mit dem Journalisten Alexander Osang über den Krieg in der Ukraine - und die Kritik an ihrer Russland-Politik.
  • Merkel übte Selbstkritik, von Fehlern und Versäumnissen wollte sie aber nicht reden.

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Angela Merkel redet nicht lange um das Thema herum. "Heute geht es mir persönlich sehr gut", sagt sie zu Beginn. Aber schnell kommt die Einschränkung. Der 24. Februar, der Beginn des russischen Kriegs in der Ukraine, sei eine Zäsur. "Und die beschäftigt mich persönlich sehr."

Schon da wird klar: Merkel ist nicht ins Berliner Ensemble gekommen, um mit dem Journalisten Alexander Osang nur zu plaudern. Sie will endlich etwas loswerden, sie will etwas zurechtrücken, sich rechtfertigen. Dieser Krieg treibt sie um. Sie wirkt ernst, stellenweise auf merkel-untypische Weise angefasst. "Es ist nicht gelungen, in all diesen Jahren den Kalten Krieg zu beenden", sagt sie im Rückblick auf ihre Amtszeit.

Russlands Krieg rüttelt an Merkels Vermächtnis

Der Auftritt von Merkel am Dienstagabend war mit Spannung erwartet worden. Am 8. Dezember 2021 hat sie das Kanzleramt an ihren Nachfolger Olaf Scholz übergeben. Die scheidende Regierungschefin kündigte an, sie wolle erstmal lesen, schlafen. "Und dann schauen wir mal." An diesem Dienstag erfährt man dann: Merkel hat sich tatsächlich ausgeruht, war an der Ostsee. Hat Shakespeares "Macbeth" gelesen. "Und danach noch Don Carlos, volle Länge."

Doch auf Deutschland – und auch auf Merkel – wartete keine geruhsame Zeit: Der russische Krieg gegen die Ukraine hat auch ihr Vermächtnis infrage gestellt. Als deutsche Bundeskanzlerin hat Merkel 2008 einen Nato-Beitritt der Ukraine und Georgiens verhindert, die Gas-Pipeline Nord Stream 2 trieb sie unbeirrt voran und bezeichnete sie als rein wirtschaftliches Projekt.

Dass sich Deutschland damit mehr oder weniger in die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen begeben hat, wird auch Merkel zur Last gelegt. "Ich würde mir wünschen, dass Angela Merkel bald einmal Zeit und Anlass findet, sich vertieft zu ihrer Russland-Politik zu äussern", sagte ihr CDU-Parteifreund Johann Wadephul im April zur "Neuen Osnabrücker Zeitung".

Erstmals hatte Merkel in der vergangenen Woche ihr Schweigen gebrochen. Bei der Verabschiedung von Reiner Hoffmann als Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) versicherte die Altkanzlerin der Ukraine ihre Solidarität. Doch das war "nur" eine Rede, ohne Raum für Fragen und Nachfragen.

Mal übt sie Selbstkritik, mal rechtfertigt sie sich

Merkel setzt für ihren Schritt zurück in die Öffentlichkeit am Dienstagabend auf bescheidenen Pomp: Der Saal des Berliner Ensembles bietet mit seinem in die Jahre gekommenen Kitsch einen festlichen und doch etwas bodenständigen Rahmen. Den Fragesteller und gebürtigen Ost-Berliner Alexander Osang kennt sie bereits lange. Der Journalist hat schon vor ihrer Kanzlerschaft für den "Spiegel" vielbeachtete Artikel über sie geschrieben.

Was aber hat sie zum Ukraine-Krieg zu sagen? "Das ist ein brutaler, das Völkerrecht missachtender Überfall, für den es keine Entschuldigung gibt", betont Merkel. Sie schwankt zwischen etwas Selbstkritik und viel Rechtfertigung. "Es ist nicht gelungen, eine Sicherheitsarchitektur zu schaffen, die dieses hier hätte verhindern können", sagt sie über den Krieg.

Zum russischen Präsidenten Wladimir Putin pflegte Merkel ein schwieriges, aber auch offenes Verhältnis, frei von Illusionen: Schon Anfang 2007 habe Putin ihr bei einem Treffen in Sotschi gesagt, der Zerfall der Sowjetunion sei für ihn "die schlimmste Sache des 20. Jahrhunderts". Sie antwortete damals: "Weisst du, für mich war das der Glückszustand meines Lebens."

Es war übrigens das Gespräch, bei dem Putin seine Labrador-Hündin zu Merkel schickte, obwohl er wusste, dass sie Angst vor Hunden hat. Vielleicht habe Putin der Kanzlerin nur eine Freude machen wollen, vermutet Alexander Osang. Merkels trockene Antwort: "Na ja. Wer's glaubt, wird selig."

"Ich wollte das nicht weiter provozieren"

Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hat Moderator Osang für diesen Abend eine Frage an Merkel mitgegeben: Ob ihre Politik den Überfall auf die Ukraine nicht erst ermöglicht habe? Die Altkanzlerin hält diese Einschätzung für falsch. Von Fehlern oder Versäumnissen will sie nicht sprechen. Entschuldigen will sie sich für ihre Politik auch nicht.

Dass sie einst den Nato-Beitritt der Ukraine verhinderte, rechtfertigt Merkel: Die Ukraine sei 2008 noch ein gespaltenes und nicht demokratisch gefestigtes Land gewesen. Zudem habe sie damals schon eine russische Kriegserklärung im Fall eines ukrainischen Nato-Beitritts befürchtet. "Ich wollte das nicht weiter provozieren." Ihre Argumentation lautet also: Mit diesem Beitritt wäre dieser Krieg schon früher losgebrochen. "Ich möchte, dass die Ukraine da möglichst gut rauskommt. Und das wollte ich immer."

Merkel verrät: Öffentliche Zitteranfälle hatten drei Gründe

Die frühere Regierungschefin wird an diesem Abend stellenweise persönlich. Sie redet auch über die Zitteranfälle, die zum Ende ihrer Amtszeit für Aufsehen gesorgt hatten. Drei Gründe hätten sie gehabt, verrät Merkel. Sie sei erstens erschöpft gewesen nach dem Tod ihrer Mutter, zweitens habe sie zu wenig getrunken. Und drittens sei nach dem ersten Anfall die Angst vor dem nächsten dazugekommen.

Es wirkte in Merkels Amtszeit oft so, als mache sie sich nicht viel aus ihrem öffentlichen Bild. Doch man lernt an diesem Abend auch: Sie hat die medialen Meinungen über ihre Arbeit immer genau verfolgt, sich oft auch über diese Meinungen geärgert. War die Abschaffung der Wehrpflicht ein Fehler? Sie findet: Nein. Haben ihre Regierungen die Bundeswehr kaputtgespart? Sie findet: Nein.

Merkel hat immer versucht, den Gesprächsfaden mit Russland aufrechtzuerhalten. Auch das findet sie weiterhin richtig: "Ich bin froh, dass ich mir nicht vorwerfen lassen muss: Ich hab’s zu wenig versucht." Russland wünsche der westlichen Welt kein Wohlergehen, glaubt sie – auch da macht sie sich keine Illusionen. "Trotzdem kann man Russland nicht aus der Welt schaffen."

Merkel als Vermittlerin? Ein Nein mit Einschränkungen

Wäre die frühere Kanzlerin die richtige Person, um zwischen der Ukraine und Putin zu vermitteln? Merkel wiegelt ab, ein klares Nein kommt aber nicht. Erstens sei das nur denkbar, wenn die aktuelle Bundesregierung sie darum bittet. Und zweitens, so Merkel: "Ich habe nicht den Eindruck, dass das im Augenblick etwas nützt."

"Ich bin Bundeskanzlerin a.D., ich bin keine normale Bürgerin", sagt Merkel. Eine politische Aufgabe sieht sie für sich also weiterhin. Ratschläge will sie ihrem Nachfolger Scholz und dessen Regierung trotzdem nicht geben. Es sei denn, sie habe das Gefühl, dass da etwas in die vollkommen falsche Richtung gehe. Dann werde sie sehr viele Menschen anrufen. "Das musste ich aber noch nicht."

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