Höher, weiter, schneller: Chinas Wirtschaftswachstum kennt keine Grenzen. Den USA gefällt das nicht, Donald Trump provoziert deshalb einen Handelskrieg, von dem auch Deutschland betroffen wäre. Gerade deshalb hat Angela Merkel bei ihrem China-Besuch die "strategische Partnerschaft" erneut beschworen. Eine Strategie, die Trumps Alleingänge stoppen soll, meint Wirtschafts-Experte Stefan Baron im Interview.

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Der Einfluss Chinas weltweit wächst. Das weiss auch Kanzlerin Angela Merkel, für die der Umgang mit Peking eine der grossen Herausforderungen ihrer aktuellen Amtszeit darstellen dürfte. Denn China ist Deutschlands wichtigster Handelspartner: Beide Länder kamen 2017 auf ein Handelsvolumen von rund 187 Milliarden Euro.

Bei ihrem jüngsten China-Besuch dürfte es allerdings um weit mehr als rein wirtschaftliche Interessen gegangen sein.

Angela Merkel erklärte China zum "strategischen Partner". Dahinter steckt Kalkül, wie Stefan Baron, China-Experte und Autor des Buches "China – Psychogramm einer Weltmacht" im Interview erklärt.

Herr Baron, Angela Merkel setzt auf eine "strategische Partnerschaft" mit China. Zielt das auf die USA ab?

Stefan Baron: In gewissem Masse schon. Deutschland und China wollen da, wo sie gemeinsame Interessen haben, zusammenarbeiten. Etwa in Sachen freier Welthandel oder beim Bewahren des Atomabkommens mit dem Iran. Bei diesen Themen sehen sich beide Länder durch die USA herausgefordert.

Was steckt hinter der Politik der USA?

Diese Politik lässt sich nach meiner Überzeugung nur als Teil einer grossen geopolitischen Auseinandersetzung mit China verstehen. Die USA sehen durch Chinas wirtschaftlichen Aufstieg ihre Position als Welt-Hegemon bedroht.

Deswegen tun sie alles, um zu verhindern, dass China noch stärker wird und sie eines Tages überholen kann. Wir sind Zeuge eines Weltmachtringens, das dieses Jahrhundert prägen wird und einen Handelskrieg, einen neuen Kalten Krieg – ja sogar einen heissen Krieg zur Folge haben kann.

Wie gross ist die Gefahr, dass die deutsch-chinesische Strategie nach hinten losgeht? Könnte das nicht erst recht einen Handelskrieg und Schlimmeres provozieren?

Eher im Gegenteil. Die Politik der US-Regierung ist reine Machtpolitik. Und gegen sie hilft nur Gegenmacht. Appeasement hat noch nie einen Krieg verhindert, sondern ihn nur wahrscheinlicher gemacht.

Es ist völlig in Ordnung, dass die USA ihre Hegemonie verteidigen wollen, die Frage ist allerdings mit welchen Mitteln. Dies kann nicht auf dem Rücken und zulasten anderer Völker geschehen.

Wieso betrifft diese Auseinandersetzung zwischen den USA und China Deutschland so stark?

Deutschlands Wohlstand ist sehr stark abhängig vom Export und damit von einer prosperierenden und friedlichen Welt, die sich an multilateral vereinbarte gemeinsame Regeln hält. Dies alles wird von den USA derzeit infrage gestellt.

Aber auch China ist kein unproblematischer Partner. Dem Land wird vorgeworfen, Know-How-Shopping zu betreiben. Rund 200 deutsche Firmen sind bereits in chinesischer Hand. Droht Deutschland der Ausverkauf?

Von Ausverkauf kann keine Rede sein. Chinas Investitionen in Deutschland machen nicht einmal ein Prozent der gesamten ausländischen Investitionen aus.

Richtig ist, dass chinesische Unternehmen in Deutschland nach Unternehmen mit Zukunftstechnologien Ausschau halten. Aber das kann man ihnen nicht vorwerfen. Wenn China zu den wohlhabenden Ländern aufschliessen will, muss es seine Wirtschaft von der Produktion billiger Massenware hin zu technologisch hochwertigen Produkten transformieren.

Ausserdem gehören zu einem Geschäft immer zwei. Deutschland muss seine Zukunftstechnologien schon selbst schützen – ob gegenüber den Chinesen oder anderen. Der Roboterhersteller Kuka war hier ein Sündenfall, der sich hoffentlich nicht wiederholt.

Würden Sie das deutsch-chinesische Verhältnis "Rivale und Geschäftspartner" als Dilemma bezeichnen oder überwiegen die Chancen die Risiken?

Die Chancen überwiegen bei Weitem die Risiken. Das zeigen schon die rund 8.000 deutschen Unternehmen, die in China tätig sind. Deutschland verdankt China einen wesentlichen Teil seines Wohlstands.

Dennoch spielt China offenbar nicht fair. Deutsche Unternehmen haben dort nicht denselben Marktzugang wie chinesische in Deutschland. Die Kanzlerin musste in Peking deshalb jetzt Reziprozität, also gleiches Recht für alle fordern.

Reziprozität kann es nur geben, wenn beide Seiten zur selben Gewichtsklasse gehören. Dies ist im Verhältnis China-Deutschland aber nicht der Fall. China ist zwar die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt, rangiert beim Pro-Kopf-Einkommen, also dem Massstab für den Wohlstand eines Landes, erst auf Rang 80 in der Welt.

Es hat in seiner wirtschaftlichen Entwicklung also noch viel aufzuholen und dafür braucht es international wettbewerbsfähige und zukunftsfähige Unternehmen, die in vielen Bereichen noch fehlen.

Hinzu kommt, dass China einen Markt von 1,4 Milliarden Menschen anzubieten hat, Deutschland dagegen nur gut 80 Millionen und Europa rund 500 Millionen. Reziprozität bedeutet für China heute also einen erheblichen Nachteil.

Dass Deutschland sich noch enger an China binden will, wird den USA sicher nicht gefallen.

Aber das darf uns doch nicht davon abhalten, unsere eigenen Interessen konsequent zu verfolgen. Die US-Regierung hat sich dies selbst und ihrer neo-imperialistischen und neo-merkantilistischen Politik zuzuschreiben.

Trump scheint allerdings nicht selbstreflektiert genug zu sein, um zu erkennen, dass seine Strategie genau dazu führt, dass Länder wie China und Deutschland noch enger zusammenarbeiten.

Ich glaube eher, er geht davon aus, dass es zu einer solchen Zusammenarbeit am Ende nicht kommen wird und Deutschland und Europa davor zurückschrecken, sich mit China – und Russland – entschlossen gegen ihren traditionellen Bündnispartner USA zu stellen.

Und er setzt wohl auch darauf, dass er mit dem Dollar als Leitwährung der Welt eine Waffe in der Hand hat, mit der er über exterritoriale Sanktionen Widerstand schnell brechen kann, indem er unliebsame Opponenten finanziell einfach austrocknet.

Fahren die USA mit dieser Taktik nicht irgendwann gegen die Wand?

Sicher. Je rücksichtsloser die USA dieses Dollarprivileg für ihre eigenen Zwecke nutzen, desto stärker wird der Drang, sich aus der Knechtschaft zu befreien.

China arbeitet im Verein mit Russland und anderen Ländern bereits systematisch in diese Richtung, etwa indem sie immer weniger Handel – gerade auch mit Öl – nicht mehr wie gehabt in Dollar abwickeln.

Realisieren das die USA?

Natürlich. Nicht zuletzt deswegen bekämpfen sie China mit allen Mitteln. Die Leitwährung Dollar macht letztlich den Kern ihrer Macht aus. Denn nur deswegen können Sie so über ihre Verhältnisse leben, im Jahr 700 Milliarden für Rüstung ausgeben und ständig neue Kriege finanzieren.

In dieser Auseinandersetzung hat sicher auch Russland ein Wort mitzureden.

Das ist so. Und zwar an der Seite Chinas. Im Verhältnis zu Russland haben die USA etwas Seltsames getan. Nixon und Kissinger reisten seinerzeit nach Peking, um China im Kalten Krieg mit der Sowjetunion von Russland wegzubringen.

Im geopolitischen Wettkampf mit China von heute treiben die USA dagegen Moskau geradezu China in die Arme.

Wird Europa irgendwann ein Freihandelsabkommen mit China schliessen?

Ein solches Abkommen wäre wohl die denkbar stärkste Antwort auf die Politik der USA. Aber dazu sind hohe Hürden zu überwinden. Brüssel hat ein solches Abkommen ja nicht einmal mit Washington hinbekommen. Und die EU ringt mit China nun schon seit Jahren ohne Ergebnis um ein gemeinsames Investitionsabkommen. Ein Freihandelsabkommen der beiden werden wir also so schnell nicht sehen. Allerdings gäbe es eine probate Alternative, die in Washington wohl vergleichbar grossen Eindruck machen würde: Ein kritisch-konstruktives Engagement der EU bei der Initiative "Neue Seidenstrasse", mit der China letztlich eine eurasische Achse schmieden will, die den neuen Schwerpunkt der Weltwirtschaft und Weltpolitik bildet. Aber auch in diesem Punkt zeigt sich Europa bisher unentschlossen. Die "strategische Zusammenarbeit" zwischen Deutschland und China, die Sie eingangs angesprochen haben, hat insgesamt noch viel Luft nach oben.

Zur Person: Stefan Baron war 16 Jahre Chefredakteur der WirtschaftsWoche. Der Journalist, Autor und studierte Volkswirt war zuvor am Kieler Institut für Weltwirtschaft und beim Spiegel. 2007 bis 2012 war er Kommunikationschef der Deutschen Bank. In seinem neuen Buch "China - Psychogramm einer Weltmacht" beleuchtet er Land und Leute aus einer neuen Perspektive.
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