Geht Bundeskanzlerin Angela Merkel als Ex-CDU-Chefin die Souveränität ab? Wer die erste Befragung der Bundesregierung nach Merkels Rückzug vom Parteivorsitz erlebt hat, kommt zu einem eindeutigen Schluss.

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Mit Spannung war der erste Auftritt der Bundeskanzlerin als Ex-CDU-Parteivorsitzende im Bundestag erwartet worden. Angela Merkel stellte sich am Mittwoch den Fragen der Abgeordneten.

Wer eine schwächelnde Kanzlerin erwartet hatte, sah sich getäuscht. Merkel präsentierte sich bei der Befragung der Bundesregierung gleichzeitig streitlustig und schlagfertig. Kritik an ihrer Arbeit beziehungsweise der des Kabinetts liess sie abprallen. Einige ihrer Antworten sorgten aber für Erstaunen.

Merkel wirft AfD Verbreitung von "Falschinformationen" vor

Gleich mehrfach wehrte sich Merkel gegen Kritik aus der AfD. Nach einer Frage des Abgeordneten Martin Hebner zum UN-Migrationspakt warf die Kanzlerin der Partei die Verbreitung von "Falschinformationen" über das internationale Abkommen vor.

Nach einem Wortwechsel zu der Zahl der EU-Staaten, die den Pakt unterstützen, betonte Merkel zudem: "Als Physikerin geht es mir bei den Zahlen um die Wahrheit."

Bei einer AfD-Frage zum Brexit kritisierte die Kanzlerin eine "Mischung von Fakten und Wertungen" durch den Fragesteller.

Als der AfD-Parlamentsgeschäftsführer Bernd Baumann der Bundesregierung sinkende Abschiebezahlen vorwarf, wies Merkel dies zurück.

Als Baumann dies dann noch einmal bekräftigte, ohne noch einmal eine Frage zu formulieren, antwortete Merkel knapp: "Ich teile Ihre Einschätzung nicht. Ich habe auch kein Fragezeichen jetzt gesehen bei Ihnen."

Merkel arbeitet hart für geordneten Brexit

Auch nach der Werbetour der britischen Regierungschefin Theresa May in mehreren europäischen Ländern geht die Kanzlerin nicht davon aus, dass der EU-Gipfel Änderungen am Brexit-Abkommen beschliessen wird.

"Wir haben nicht die Absicht, das Austrittsabkommen wieder zu verändern. Das ist die allgemeine Position der 27 Mitgliedsstaaten", sagte Merkel. "Insoweit ist jetzt nicht zu erwarten, dass wir hier mit irgendwelchen Veränderungen aus den Debatten hervorgehen", betonte die Kanzlerin.

Auf die Frage des FDP-Abgeordneten Alexander Graf Lambsdorff, was die Bundesregierung gegen die Verunsicherung der Bürger im Zusammenhang mit der Diskussion über einen ungeordneten Brexit tun könne, antwortete Merkel, sie könne den Menschen nur sagen: "Wir arbeiten hart dafür, dass es zu einem geordneten Brexit kommt."

Merkel: Deutschland muss mehr Imame selbst ausbilden

Für Überraschung sorgten Merkels Ausführungen zum Thema Imame. Deutschland müsse mehr islamische Prediger selbst ausbilden und unabhängiger werden.

Die Entscheidung, den Moscheeverband Ditib trotz zum Teil verfassungsfeindlicher Handlungen nicht vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen, werde von den Sicherheitsbehörden selbst gefällt. Es sei keine politische Entscheidung.

Sie vertraue hier aber den Behörden. Man müsse im Fall des Verbandes Ditip mit der Türkei immer wieder reden.

Den umstrittenen deutsch-französischen Vorstoss zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer verteidigte Merkel gegenüber einer kritischen Frage aus der Fraktion der Linken.

Um überhaupt etwas zu erreichen, müsse man sich am französischen Modell einer Aktiensteuer orientieren. "Mehr ist im Augenblick nicht mehrheitsfähig", sagte Merkel.

Als Vorbild dient eine bereits in Frankreich erprobte Variante, bei der sämtliche Transaktionen von im Inland gehandelten Aktien besteuert werden. Das gilt für Unternehmen, deren Marktkapitalisierung bei mehr als einer Milliarde Euro liegt. Kritikern geht dies nicht weit genug.

Kritik des Grünen-Abgeordneten Oliver Krischer an dem CDU-Parteitagsbeschluss, die Gemeinnützigkeit der Deutschen Umwelthilfe (DUH) zu prüfen, wies Merkel zurück.

Dem Fragesteller hielt sie zudem vor, es wäre "sofort von schwerem, schlimmem Lobbyismus" die Rede, wenn eine Organisation, die der Union etwas näherstehen würde, "so viel Geld von Automobilkonzernen kriegen würde wie die Deutsche Umwelthilfe".

Merkel über Haltung der Linken: "Skandalös"

In Bezug auf Frankreich richtete Merkel zudem eine Forderung an die Linke. Sie rief die Oppositionspartei dazu auf, sich von den Ausschreitungen bei den "Gelbwesten"-Protesten in Frankreich zu distanzieren.

Deren uneingeschränkte Unterstützung sei "skandalös", weil die Linken "kein Wort zu der Gewalt sagen, die dort auf den Strassen angewandt wird", sagte Merkel am Mittwoch bei der Regierungsbefragung im Bundestag.

Die Haltung der Linken zu der französischen Protestbewegung ist allerdings nicht eindeutig. Fraktionschefin Sahra Wagenknecht hatte die "Gelbwesten" Ende November ein Vorbild für Deutschland genannt.

Der Parteivorsitzende Bernd Riexinger bezeichnete die dortige "Verbrüderung" von linker und rechter Gesinnung hingegen als besorgniserregend.

"Gesetzeslücke" bei Rüstungsexporten will Merkel prüfen

Was die neuen Rüstungsexportrichtlinien angeht, werde die Bundesregierung später als geplant ein Konzept vorlegen.

Merkel sagte, die Regierung wolle damit spätestens im ersten Halbjahr 2019 fertig sein. Die Verhandlungen der zuständigen Fachminister dazu liefen. Union und SPD hatten im Koalitionsvertrag eigentlich vereinbart, noch im Jahr 2018 die Rüstungsexportrichtlinien aus dem Jahr 2000 zu schärfen.

Merkel verwies auf den vollständigen Rüstungsexportstopp nach Saudi-Arabien. Die Bundesregierung hatte als Konsequenz aus der Tötung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi die Rüstungslieferungen an Saudi-Arabien komplett gestoppt.

Für Wirbel hatte gesorgt, dass der Rüstungskonzern Rheinmetall Saudi-Arabien jüngsten Medienberichten zufolge aber offensichtlich weiter mit Munition beliefert - und zwar über Tochterfirmen in Italien und Südafrika.

Von der Linke-Abgeordneten Heike Hänsel angesprochen auf eine "Gesetzeslücke" in der Aussenwirtschaftsordnung, sagte Merkel, sie werde sich mit dieser "Gesetzeslücke" noch einmal intensiv beschäftigen.

Handelsstreit mit USA: Merkel will Eskalation vermeiden

Im Handelsstreit zwischen der EU und den USA setzt die Kanzlerin auf eine Lösung am Verhandlungstisch. Die Bundesregierung hoffe, dass es keine weitere Eskalation gebe, sagte sie mit Blick auf mögliche höhere Importzölle der USA für Pkw aus der EU.

Merkel erklärte, die Bundesregierung habe vorab von einem Treffen von Spitzenmanagern deutscher Autokonzerne vor einer Woche mit US-Präsident Donald Trump im Weissen Haus gewusst.

Sie habe die Hersteller darauf hingewiesen, dass es bei den bilateralen Gesprächen nur um Investitionen in Nordamerika gehen könne. Handelsfragen würden von der EU-Kommission geregelt. Die Verhandlungen mit den USA würden "vernünftig" fortgeführt.

Die deutschen Hersteller Volkswagen, Daimler und BMW wollen mit grossen Investitionen in den USA höhere Autozölle für US-Importe aus Europa verhindern, wie sie nach den Gesprächen in Washington deutlich gemacht hatten. (hub/dpa/afp)  © dpa

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