Angela Merkel wird im Dezember nicht mehr für den CDU-Vorsitz kandidieren. Ob sie es schafft, die gesamte Legislaturperiode lang im Amt zu bleiben, hängt jetzt nicht mehr nur von ihr allein ab, sagt der Parteienexperte Oskar Niedermayer. Sollte Friedrich Merz, der gerade seine Kandidatur angekündigt hat, Vorsitzender werden, könnte es für eng für die Kanzlerin werden.

Ein Interview

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Herr Niedermayer, Angela Merkel hat angekündigt, entgegen ihrer bisherigen Überzeugung, Anfang Dezember nicht wieder für den Parteivorsitz der CDU zu kandidieren. Ist das der Anfang vom vorzeitigen Ende ihrer Kanzlerschaft?

Oskar Niedermayer: Dieser Schritt war wohl notwendig. Obwohl der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier bei der Wahl mit einem blauen Auge davongekommen ist, war der innerparteiliche Druck auf Angela Merkel wohl zu gross. Darum hat sie den Weg für ihre Nachfolge freigemacht.

Ob sie es schaffen wird, die Kanzlerschaft tatsächlich bis zum Ende der Legislaturperiode zu behalten, ist noch nicht klar.

Wovon hängt das ab?

Zum Teil davon, wer ihre Nachfolgerin oder ihr Nachfolger als CDU-Vorsitzende wird: Wenn es eine reibungslose Zusammenarbeit mit dem Nachfolger gibt und Merkels Regierungsarbeit nicht laufend in Frage gestellt, torpediert oder kritisiert wird, hat sie es als Kanzlerin natürlich viel leichter.

Und wenn das nicht der Fall sein sollte?

Wenn der neue Vorsitzende querschiessen sollte, wird es für sie schwieriger. Dann stellt sich schnell die Frage, ob sie weiterhin Kanzlerin bleiben kann.

Die Unterstützung dafür hängt natürlich nicht nur von der eigenen Partei ab, sondern auch von der SPD. Denn es besteht durchaus die Möglichkeit, dass die SPD die Koalition verlässt. Insofern liegt es nicht mehr völlig in ihrer Hand.

Bisher haben CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK), Gesundheitsminister Jens Spahn, und der ehemalige Unionsfraktionschef und Anwalt Friedrich Merz angekündigt, beim Parteitag Anfang Dezember für den CDU-Vorsitz zu kandidieren. Ausserdem wird Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, nachgesagt, möglicherweise anzutreten. Mit welchem dieser Kandidaten könnte Merkel die Legislaturperiode als Kanzlerin zu Ende bringen?

Wenn es die vier wären, was ja noch nicht ausgemacht ist, dann wären Spahn und Merz dem konservativen Flügel zuzurechnen und Laschet eindeutig als Merkelianer ausgewiesen.

AKK sollte - auch von Merkel selbst - als Nachfolgerin aufgebaut werden, die integrierend wirkt und die Partei in ihrer Gänze repräsentiert.

Ist das gelungen?

Zum Teil, jetzt wird es aber zumindest schwer für AKK, weil sie im Vergleich mit den zwei konservativen Kandidaten ins Merkel-Lager gerückt wird.

Aber im Moment hat sie dennoch die besten Voraussetzungen: AKK sitzt als Generalsekretärin erstens an einer wichtigen Schaltstelle in der Partei.

Zweitens hat sie durchaus vorsichtig versucht, sich von Merkel zu emanzipieren, indem sie Signale an den konservativen Flügel der Partei gesendet und sich etwa für die Wiedereinführung der Wehrpflicht ausgesprochen hat.

Sie steht zwar wirtschaftspolitisch auf Merkels Seite, hat gesellschaftspolitisch aber durchaus auch konservative Orientierungen.

Trotzdem wird sie als Merkels klare Favoritin gesehen.

Ja. Auch wenn Merkel das öffentlich nicht so sagt, wird sie sich im Hintergrund natürlich nicht völlig neutral verhalten. Aber dadurch, dass Friedrich Merz angekündigt hat, zu kandidieren, ist eine interessante Dynamik in Gang gekommen.

Für ihn haben sich einige CDU-Mitglieder ausgesprochen, die man bisher auf der Seite von Jens Spahn gesehen hat. Etwa der Wirtschaftsrat der CDU, also Vertreter des Mittelstands.

Wie schätzen Sie Merz' Chancen ein?

Es würde vorab Sondierungen über die Frage geben, ob Merz oder Spahn für den konservativen Flügel antreten soll, weil sich sonst die Stimmen auf die beiden Kandidaten aufteilen würden und keiner der beiden eine Chance hätte.

Für Merz spricht, dass er den Neuanfang gut verkörpern könnte. Er steht zwar nicht für einen Generationswechsel, aber für eine inhaltliche Wende, denn er ist ganz klar ein Marktliberaler und konservativ in der Gesellschaftspolitik.

Damit wäre seine Wahl aber auch eine klare Kampfansage an Merkel und ihre Anhänger

Wie stehen die Chancen von Spahn?

Spahn ist auch konservativ, wäre aber ein nicht ganz so harter Bruch mit der Merkel-Linie und daher für die Gesamtpartei vielleicht besser zu verkraften.

Und wie schätzen Sie die Rolle von Armin Laschet ein?

Er hat Merkel bisher sehr gestützt, gerade in ihrer Flüchtlingspolitik. Das wäre also für die Öffentlichkeit kein Neuanfang. Ob das für die CDU so günstig wäre, muss die Partei abwägen.

Insofern glaube ich, dass AKK die besten Chancen hat, wenn sie sich der Partei als jemand präsentieren kann, der nicht die Erfüllungsgehilfin von Merkel ist.

Ist Merkels Entscheidung, auf den Vorsitz zu verzichten, denn wirklich so neu, wie sie präsentiert wird?

Ja, in der CDU gab es das meines Wissens nach noch nicht. Es handelt sich hierbei schon um eine Art Zeitenwende. Und der Verzicht ist der erste Schritt, um sich ganz aus der Politik zu verabschieden. Das sagt Merkel ja auch selbst.

Indem sie diese Wende selbst herbeiführt, versucht sie die Oberhand zu behalten?

Merkel versucht so, die Kritik in der Partei zu kanalisieren und die Chancen zu erhöhen, bis zum Ende der Legislaturperiode Kanzlerin zu bleiben. Das ist eindeutig.

Sie sieht durchaus noch Dinge, die sie anschieben oder zu Ende bringen will, besonders im internationalen und europäischen Bereich.

Die Frage ist aber, ob sie es wirklich schafft, das Heft in der Hand zu behalten. Mit AKK oder Laschet als Nachfolger wäre das möglich, mit Merz eher nicht.

Oskar Niedermayer ist Politikwissenschaftler und Parteienforscher von der Freien Universität Berlin.
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