Russlands Krieg gegen die Ukraine brachte auch das Nachbarland Moldau an den Rand des Zusammenbruchs. Doch die kleine Republik hat sich als standhaft erwiesen, auch dank europäischer Unterstützung. Der Weg in die Europäische Union dürfte trotzdem noch lang sein.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabian Busch sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Was würde Stefan der Grosse heute wohl über sein Land denken? Im 15. Jahrhundert hat er Angriffe aus allen Himmelsrichtungen abgewehrt, sein Fürstentum zu einer ersten Blüte geführt. Als Denkmal wacht er heute über die moldauische Hauptstadt Chisinau, den Blick auf eine oft verstopfte Kreuzung gerichtet, die Hand mit einem Kreuz in die Höhe gestreckt.

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Womöglich wäre er stolz auf sein Land. Nach Stefans Herrschaft wurde Moldau über Jahrhunderte von fremden Mächten beherrscht, erst seit 1991 ist die frühere Sowjetrepublik ein eigenständiger Staat. Vor zweieinhalb Jahren stand es vor dem Kollaps. Doch den hat es vorerst abgewendet.

Baerbocks vierter Besuch in zweieinhalb Jahren

"Unglaublich" sei das, was Moldau in den vergangenen zweieinhalb Jahren vollbracht hat, sagt Annalena Baerbock am Dienstagvormittag in Chisinau auf einer Konferenz der Moldau-Partnerschaftsplattform. Die Grüne Aussenministerin hat diese Plattform vor zweieinhalb Jahren gemeinsam mit ihren Kollegen aus Frankreich und Rumänien eingesetzt, als der Kollaps drohte: Der russische Krieg in der Ukraine hatte 1,5 Millionen Flüchtlinge in das 2,5-Millionen-Einwohner-Land Moldau getrieben, die Inflation sprang auf 34 Prozent, Wirtschaft und Energieversorgung standen vor dem Zusammenbruch.

"Wir haben gezeigt, was wahre europäische Solidarität bedeutet."

Annalena Baerbock, Bundesaussenministerin

Baerbock zeigt sich beeindruckt, wie Regierung und Gesellschaft in Moldau die Krise bisher bewältigt haben: mit Tatkraft, aber auch mit Ruhe. Ihr ist das Land ein besonderes Anliegen. Seit Russland in die benachbarte Ukraine eingefallen ist, hat Baerbock Moldau bereits vier Mal besucht.

Sie erzählt hier auch eine europäische Erfolgsgeschichte: Gemeinsam habe die Europäische Union das Land vor dem Kollaps bewahrt: "Wir haben gezeigt, was wahre europäische Solidarität bedeutet", sagt die Aussenministerin vor der Eröffnung der Konferenz.

Die Gemeinschaft hat ihre Märkte für das arme Land geöffnet, Rumänien hat die Gaslieferungen aus Russland grösstenteils ersetzt. Die Inflation ist immer noch hoch, aber auf 5,1 Prozent gesunken. Die Wirtschaft soll demnächst wieder um drei bis vier Prozent wachsen. Seit Juni verhandelt Moldau in Brüssel über einen EU-Beitritt. Schon der Kandidatenstatus hat dem Land neue wirtschaftliche Perspektiven eröffnet.

Ein Schlachtfeld ohne Panzer und Soldaten

Am Dienstag unterzeichnet Baerbock in Chisinau ein Abkommen über Zusammenarbeit bei der Cybersicherheit: Deutschland wird Moldaus Behörden mit Geld und IT-Hardware, mit Wissen und Informationen unterstützen, um sich zum Beispiel gegen russische Desinformation zu wehren. "In diesem hybriden Krieg sind Fake-News Kampagnen und Lügen eine gezielte Waffe", sagt die Ministerin.

65 Staaten sind auf der Konferenz der Partnerschaftsplattform vertreten. Natürlich passiert das alles nicht nur aus Nächstenliebe und Beschützerinstinkt. Die Staaten der Europäischen Union wollen in Moldau auch den russischen Einfluss in Europa zurückhalten. Das Land könnte das nächste Ziel des russischen Präsidenten Wladimir Putin sein, wenn er die Ukraine doch noch komplett erobert, heisst es oft.

Putin musste aber gar keine Truppen schicken, um die kleine Republik aus dem Gleichgewicht zu bringen. Russland hat Moldau zuerst mit Sanktionen belegt, dann für seine Gaslieferungen immer höhere Preise verlangt. Westliche Politiker werfen Russland zudem vor, Wählerinnen und Wähler mit Geld zu bestechen, um für russlandfreundliche Parteien zu stimmen. Moldau ist schon jetzt Schlachtfeld eines Krieges ohne Panzer und Soldaten.

Moldau bleibt ein fragiles Land

Für Stefan den Grossen gäbe es also auch Gründe, mit Sorge auf sein Land zu blicken. Denn Moldau bleibt ein zerrissenes, fragiles Land – das würden auch vor Ort die meisten Menschen unterschreiben. In Umfragen unterstützt zwar eine Mehrheit von 55 bis 60 Prozent der Menschen dort den Weg in Richtung Europäische Union. Doch dieser Weg wird noch lang sein.

Brüssel stellt inzwischen höhere Anforderungen an neue Mitglieder, als das noch bei Rumänien oder Bulgarien der Fall war. Moldaus Präsidentin Maia Sandu hat die Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität nach weit oben auf ihre Prioritätenliste geschrieben.

Transnistrien: Das grosse Hindernis

Sorge wegen seltenen Kongresses pro-russischer Separatisten. Moldau: Karte.
© AFP/NADINE EHRENBERG

Das vielleicht grösste Hindernis auf dem Weg in die EU lautet aber Transnistrien: Direkt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich der schmale Landstrich vom Rest Moldaus losgesagt, der De-facto-Staat steht unter dem Einfluss Russlands. Die EU hat klargestellt: Solange der Konflikt nicht gelöst ist, kann Moldau nicht Mitglied in der Union werden.

Diese Lösung ist allerdings eine komplizierte Angelegenheit. Die Republik Moldau will und kann bisher nicht auf die abtrünnige Region verzichten: Ein Kraftwerk in Transnistrien deckt 80 Prozent des Stromverbrauchs in Moldau. Transnistrien müsse ein echter Teil der Republik werden – wenn auch mit einem Autonomiestatus, sagt der frühere moldauische Vizepremier Vladislav Kulminski. Das sei die einzige realistische Lösung des Konflikts. Fraglich ist aber, ob Russland und die transnistrischen Machthaber dem jemals zustimmen werden.

Moldaus Rezept lautet: Man will Transnistrien mit sich auf den Weg Richtung EU locken. Die Aussichten auf Teilnahme am grossen gemeinsamen Markt, auf EU-Subventionen sollen für Transnistrien attraktiver sein als die Abhängigkeit von Russland.

Wichtige Wahlen im kommenden Jahr

Moldau war lange ein Land, das "auf dem Zaun sass", sagt der Energieexperte und frühere Regierungsberater Sergiu Tofilat: Die Regierungen konnten oder wollten sich nicht recht entscheiden, ob sie sich an Russland oder an der Europäischen Union orientieren sollten. Die amtierende Präsidentin Maia Sandu hat sich dafür entschieden, vom Zaun zu steigen – auf die Seite der EU. Erst recht seit Russlands Überfall auf die Ukraine.

Doch wie entschlossen das Volk ihr auf dem Weg folgen will, muss sich noch zeigen. Im kommenden Oktober stellt sich Sandu zur Wiederwahl. Zeitgleich sollen die Menschen in Moldau in einem Referendum darüber abstimmen, ob der EU-Beitritt als Ziel in der Verfassung verankert wird.

Der noch heiklere Termin ist die Parlamentswahl im nächsten Jahr. Gerade sieht es so aus, als würde Sandus Partei dann ihre Mehrheit verlieren und müsste sich Koalitionspartner suchen – womöglich auch aus dem russlandfreundlichen Lager.

Stefan der Grosse hat die Macht Moldaus im 15. Jahrhundert übrigens gesichert, indem er Festungen und Klöster bauen liess. Das würde im 21. Jahrhundert nicht mehr reichen. Antworten auf die Fragen von heute kann sich das Land von seinem Nationalhelden nicht mehr erhoffen.

Verwendete Quellen

  • Pressestatements auf der Konferenz der Moldau-Unterstützungsplattform in Chisinau
  • Pressegespräch mit Sergiu Tofilat und Vladislav Kulminski
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