• Multiresistente Keime gefährden den Behandlungserfolg gegen Krankheiten, die eigentlich beherrschbar wären.
  • Das Europaparlament hat eine Chance verpasst, dieses Risiko zu mindern.
  • Schuld trägt auch eine Kampagne von Tierärzten.

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Sie gelten als der letzte Schutzwall gegen resistente Keime und Bakterien: Reserveantibiotika. In der Humanmedizin finden sie Verwendung, wenn alle anderen Antibiotika versagen. Die Wirkstoffe werden aber auch massenhaft in der Tierhaltung eingesetzt - und das wird zum Problem. Denn dadurch können sich hier gefährliche Resistenzen entwickeln.

"Patienten mit einer Lungenentzündung, Harnwegsinfektion oder postoperativen Wundinfektion gibt man unter Umständen ein Reserveantibiotikum", erklärt Tim Eckmanns vom Robert-Koch-Institut im Gespräch mit unserer Redaktion. "Wenn der Erreger dagegen ebenfalls resistent wird, ist das Mittel nicht mehr wirksam. Das kann häufiger zum Tod führen." Gefährdet seien dann besonders ältere Menschen, Neugeborene und Frühchen, deren Immunsystem noch nicht ausgereift ist, sowie Tumorpatienten.

Massenhafter Antibiotika-Einsatz im Stall

Je häufiger ein Antibiotikum eingesetzt wird, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass durch Mutation und durch die Weitergabe natürlicher Resistenzen die Wirksamkeit eines Reserveantibiotikums sinkt. Die Gefahr geht von einer üblichen Praxis in der Landwirtschaft aus: "Wenn in einer Schulklasse ein Schüler erkrankt, behandelt man den Schüler, nicht die ganze Klasse. In der Tierhaltung ist das anders. Dort verabreicht man das Medikament dem ganzen Stall, wenn ein Tier erkrankt ist", erläutert Eckmanns. Das geht in der Massentierhaltung schnell ins Volumen, denn irgendein Tier ist praktisch immer krank.

Im Jahr 2019 wurden in Deutschland etwa rund 670 Tonnen Antibiotika in der Tiermedizin abgegeben. Fast 90 Prozent davon dienten der Gruppenbehandlung von Tieren, nur zwölf Prozent der individuellen Behandlung. Das Fazit des Experten vom Robert-Koch-Institut jedenfalls ist eindeutig: "Aus humanmedizinischer Sicht sollten möglichst wenig Reserveantibiotika im Tierbereich eingesetzt werden."

Diese Haltung teilt Tim Eckmanns mit dem Grünen-Politiker Martin Häusling. Er wollte im EU-Parlament bewirken, dass Reserveantibiotika in der neuen EU-Tierarzneimittelverordnung, die im Januar 2022 in Kraft tritt, nicht mehr für den flächendeckenden Gebrauch in der Tierhaltung vorgesehen sein sollen.

Doch das Parlament sah sich unter anderem mit einer Aktion des Bundesverbands praktizierender Tierärzte konfrontiert: In der "Waldi muss sterben"-Kampagne wurde behauptet, dass der Antrag das Leben von Hunden, Katzen und anderen Haustieren bedrohe, da man dann keinem Tier mehr Reserveantibiotika geben dürfe. Über die Aktion sagt EU-Politiker Martin Häusling aber: "Letztlich wurde mit Fake News gearbeitet, weil nie geplant war, Reserveantibiotika für alle Tiere zu verbieten."

Die Kampagne und eine Petition mit mehreren hunderttausend Unterschriften zeigten dennoch Wirkung, der Antrag scheiterte in Brüssel. "Rechte, liberale und konservative Kräfte haben dagegen gestimmt", fasst Häusling zusammen. "Die Grünen, Sozialdemokraten und die Linken waren überwiegend dafür."

Häusling treibt um, dass keine Senkung der Zahlen in Sicht ist. "Im Gegenteil, der Verbrauch ist sogar angestiegen. Und rund die Hälfte der Lieferungen von Reserveantibiotika gehen in den Raum Vechta." Ausgerechnet die Region, die bundesweit für ihre intensive Landwirtschaft und Giga-Viehzuchtbetriebe bekannt ist.

Emotional aufgeladene Debatte

Auch Konstantinos Tsilimekis, Teamleiter Welternährung, Landnutzung und Handel bei der Nichtregierungsorganisation Germanwatch, empfindet die Kampagne der Tierärzte als überzogen und zu emotional. "Die EU hätte die Mittel so ausschliessen können, dass sie nur noch in der Einzeltierhaltung, nicht aber in der Massentierhaltung eingesetzt hätten werden können", erklärt er und urteilt: "Man hat eine Chance nicht genutzt."

Dabei sei es auch für die Tiere wichtig, dass keine Resistenzen gegen Reserveantibiotika entstehen, sagt der Germanwatch-Experte. "Die Tierärzte haben sich selbst ins Knie geschossen", ergänzt Häusling.

Wie geht es weiter?

Eine Sprecherin des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft betont: "Es ist unser Ziel, dass Antibiotika in möglichst geringem Umfang bei Tieren angewendet werden." Dennoch hätten kranke Tiere ein Recht auf eine angemessene Behandlung bei bakteriellen Infektionen. Dies sei geboten im Sinne des Tierschutzes.

Das EU-Parlament hat im nächsten Schritt die Aufgabe, bis Ende des Jahres eine Liste mit Kriterien und Wirkstoffen zu erstellen, die der Humanmedizin vorbehalten bleiben müssen. Tierarzneimittel, die diese enthalten, würden nicht mehr neu zugelassen werden. Auch wäre der Import von Tieren, die mit solchen Stoffen behandelt worden sind, verboten.

Tsilimekis von Germanwatch gibt den Kampf noch nicht auf: "Wir warten ab, welche Wirkstoffe auf der Liste landen." Fest steht aber auch: "Ausnahmen für die Kleintier- und Einzeltierbehandlung sind dann nicht mehr möglich", sagt Martin Häusling. Genau das hätte sein Einspruch verhindern sollen.

Über die Experten: Dr. med. Tim Eckmanns ist Leiter der Fachgebiete Nosokomiale Infektionen, Surveillance von Antibiotikaresistenz und -verbrauch in der Abteilung für Infektionsepidemiologie am Robert-Koch-Institut in Berlin und Facharzt für Krankenhaushygiene.
Martin Häusling ist Agrartechniker, Politiker und für die Partei Bündnis 90/Die Grünen seit 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments.
Konstantinos Tsilimekis ist Teamleiter Welternährung, Landnutzung und Handel bei der Nichtregierungsorganisation Germanwatch e.V.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Dr. med. Tim Eckmanns
  • Gespräch mit Martin Häusling
  • Gespräch mit Konstantinos Tsilimekis
  • Germanwatch: EU-Parlament verpasst Chance auf bessere Antibiotika-Regeln
  • Germanwatch: Antibiotika in der Tierhaltung
  • Bundesärztekammer: Lebensrettende Reserveantibiotika ausschliesslich Menschen vorbehalten
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