EU-Mitgliedsstaaten dürfen bei der Antragsstellung für die Zusammenführung von Flüchtlingsfamilien etwa aus Kriegs- und Katastrophengebieten nicht ausschliesslich auf einem persönlichen Erscheinen in einer diplomatischen Vertretung bestehen.
Das entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg am Dienstag in einem Rechtsstreit zwischen einer Flüchtlingsfamilie aus Syrien und dem belgischen Staat. Sie müssten den Angehörigen im Ausland mit Blick auf deren besonders schwierige Situation ausnahmsweise auch andere Möglichkeiten eröffnen, etwa eine Antragstellung per Brief oder per E-Mail. (Az. Case C-1/23 PPU/Afrin)
Das EU-Recht verlange in bestimmten Situationen eine gewisse Flexibilisierung der Abläufe, stellte der EuGH klar. Andernfalls führten nationale Regelungen, denen zufolge noch im Herkunftsland lebende Angehörige eines Flüchtlings ihre Anträge stets und ausnahmslos persönlich zu stellen hätten, gegebenenfalls "faktisch" zu einer Aushebelung des durch EU-Normen garantierten Rechts auf Familienzusammenführung. Der Lage von Flüchtlingen, denen die Anreise zu diplomatischen Vertretungen unmöglich sei, müsse Rechnung getragen werden.
Dies gelte insbesondere im Fall der Angehörigen von anerkannten Flüchtlingen, betonte das Gericht. Es stellte zugleich klar, dass die EU-Staaten sehr wohl darauf bestehen dürfen, während des Anerkennungsverfahrens etwa aus Gründen der Identitätsfeststellung und der Betrugsbekämpfung auf persönlichem Erscheinen der Antragsteller zu bestehen. Dies könne aber auch während einer "späteren Stufe" des Prozesses geschehen und sei nicht schon bei Antragstellung nötig.
Darüber hinaus müssten Mitgliedsstaaten die Familienangehörigen dabei auch entsprechend unterstützen, etwa durch eine Beschränkung der Termine für ein persönliches Erscheinen in diplomatischen Vertretungen auf das notwendige Minimum sowie die Ausstellung von Passierscheinen oder anderen konsularischen Dokumenten. Idealerweise "sollten" die Mitgliedstaaten die erforderlichen Hintergrund- und Identitätsprüfungen erst am Ende des Verfahren vornehmen.
Der Streitfall war dem EuGH von einem belgischen Gericht zur Entscheidung vorlegt worden. Es geht um einen anerkannten Flüchtling aus Syrien, dessen Frau und dessen zwei minderjährige Kinder sich noch in dem Bürgerkriegsland aufhalten.
Die Ehefrau stellte laut EuGH über einen Anwalt 2022 per Brief und E-Mail den Antrag auf Familienzusammenführung. Die belgische Einwanderungsbehörde lehnte das unter Verweis auf die nationale Rechtslage ab, derzufolge Antragsteller dies nur persönlich in einer diplomatischen Vertretung tun könnten. Daraufhin klagte die Familie. Sie verwies darauf, dass ihr eine Anreise nicht möglich sei. © AFP
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.