Das Ende des freien Internets ist nah, argumentieren Gegner der EU-Urheberrechtsreform. Die Horrorszenarien seien völlig übertrieben, entgegnen Verlage, Musik- und Filmbranche. Upload-Filter seien nicht mit einer Zensur gleichzusetzen. Worum geht es bei der Diskussion eigentlich? Wer ist betroffen? Und wann gibt es endgültige Entscheidungen? Ein Überblick.
Warum gibt es überhaupt eine Reform des EU-Urheberrechts?
Das europäische Urheberrecht ist noch nicht auf die Herausforderungen der Digitalisierung zugeschnitten. Die letzte grössere Veränderung auf EU-Ebene erfolgte 2001, Unternehmen wie Google, Facebook, YouTube oder Spotify gab es zur Jahrtausendwende erst kurz oder noch gar nicht.
Deshalb stiess der damalige Digitalkommissar Günther Oettinger 2016 eine EU-weite Reform des Urheberrechts, auch Copyright-Reform genannt, an. Urheber und Rechteinhaber sollten für ihre Arbeit fairer bezahlt werden. Die zwei zentralen Punkte der Reform sind das Leistungsschutzrecht für Presseverlage (Artikel 11) und die Haftung für Plattformbetreiber bei Urheberrechtsverletzungen (Artikel 13).
Warum gibt es ein Problem mit Artikel 11?
Portale wie Google sollen künftig nicht mehr ohne Weiteres Überschriften oder kurze Ausschnitte von Pressetexten, sogenannte Snippets, in ihren Ergebnissen anzeigen dürfen. Sie sollen vielmehr die Verlage um Erlaubnis bitten und gegebenenfalls dafür zahlen - eine "Linksteuer" quasi.
Die Gegner dieser Regelung sehen Nachteile für Verlage. Diese seien darauf angewiesen, von Suchmaschinen gelistet zu werden und hätten daher eine schwache Verhandlungsposition gegenüber Google und Co.
Die Verlegerverbände BDZV und VDZ dagegen führen ins Feld, "für die Sicherung des freien, unabhängigen Journalismus in der digitalen Welt" sei das Leistungsschutzrecht nötig - angesichts der Marktmacht von Internetriesen brauche es verlässliche Regeln. Nur mit einer EU-weiten Regelung könne man genug Druck auf den milliardenschweren US-Konzern aufbauen, so die Überlegung.
Bereits 2013 trat das Leistungsschutzrecht in Deutschland in Kraft. Dennoch erteilten viele Verlage Google die Erlaubnis, die Inhalte unentgeltlich zu verwenden - aus Angst, bei der Suchmaschine nicht mehr gelistet zu werden und damit einen beträchtlichen Teil der Leserschaft zu verlieren. In Spanien hingegen zeigte Google seine ganze Macht: Weil der Konzern nicht an die dortigen Verlage zahlen wollte, stellte er die spanische Version von "Google News" einfach komplett ab.
In diesem Zusammenhang besteht auch die Gefahr, dass Google nur bei bestimmten Webseiten einen Lizenzkauf erwägt - vermutlich bei eher reichweitenstarken Medien für die breite Masse. Die europäische Medienvielfalt würde beschnitten, von einem US-amerikanischen Konzern und nach ausschliesslich wirtschaftlichen Erwägungen.
Warum ist Artikel 13 umstritten?
Artikel 13 soll Plattformen wie YouTube beim Urheberrecht stärker in die Pflicht nehmen. Bislang müssen sie geschützte Werke von ihrer Seite löschen, sobald sie eine Beschwerde erhalten. Die neuen Regeln sehen vor, dass die Betreiber schon beim Hochladen sicherstellen müssen, dass urheberrechtlich geschützte Werke nicht unerlaubt auf ihrer Seite landen.
Dies können sie nach Ansicht von Kritikern nur durch Filter erreichen, die jedes Werk mit einer Datenbank abgleichen - die sogenannten Upload-Filter.
Gegner von Artikel 13 befürchten Zensur. Die EU will Memes und Parodien zwar explizit von der Regelung ausnehmen, doch der Chaos Computer Club (CCC) etwa sieht das "freie bunte Internet" in Gefahr. Die Filter seien fehleranfällig, sie könnten nicht zwischen erlaubter Satire, Parodie oder Zitat und tatsächlichen Urheberrechtsverstössen unterscheiden, warnen Kritiker. Letztlich sei die Meinungsfreiheit bedroht.
Der Widerstand ist enorm. YouTuber LeFloid fordert von seinen mehr als drei Millionen Followern: "Stoppt Artikel 13!" Europaabgeordnete erhalten so viele Protest-E-Mails wie nie. Knapp fünf Millionen Gegner haben eine Online-Petition unterzeichnet. Der Widerstand findet auch auf der Strasse statt. Es gab bereits mehrere Demonstrationen in verschiedenen Städten, am 23. März kommt es zu europaweiten Kundgebungen und Protesten.
Auch aus datenschutzrechtlicher Sicht gibt es Bedenken. Nach Einschätzung des Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber besteht gerade beim Einsatz von sogenannten Upload-Filtern die Gefahr, dass grosse Anbieter solcher Software verstärkt Daten über Nutzer vieler Plattformen und Dienste im Internet bekommen. Kleinere Plattform- und Diensteanbieter werden nach Kelbers Einschätzung nicht den Programmieraufwand leisten können, eigene Upload-Filter zu entwickeln. Stattdessen müssten sie auf Angebote grosser IT-Unternehmen zurückgreifen. Dadurch entstünde ein Oligopol weniger Anbieter von Filtertechniken.
Inwiefern sind auch "normale" Internetnutzer betroffen?
Theoretisch gar nicht. Die Regeln betreffen nur kommerzielle Nutzer. Ausgenommen werden sollen ausserdem Firmen, die seit weniger als drei Jahren bestehen, deren Jahresumsatz weniger als zehn Millionen Euro beträgt und deren Nutzerzahl unter fünf Millionen pro Monat liegt.
Allerdings ist unklar, ob beispielsweise bei Facebook, Twitter oder Instagram geteilte Links nicht auch unter Artikel 11 fallen, schliesslich handelt es sich um grosse kommerzielle Plattformen.
Durch die in Artikel 13 mitgedachten Upload-Filter könnte für normale User das Problem entstehen, dass sie ihre privaten Inhalte nicht mehr hochladen können. Ein Hochzeitsvideo etwa könnte geblockt werden, weil eventuell Musik eines Künstlers zu hören ist, was der Filter als Verletzung des Urheberrechts interpretieren könnte. Solche angeblichen Verstösse können zwar rückgängig gemacht werden, der Prozess wäre aber langwierig und mühsam.
Wer entscheidet wann über die EU-Urheberrechtsreform?
Der Vorschlag zur Reform kam 2016 aus der EU-Kommission. Daraufhin handelten Unterhändler des Europäischen Rates und des Europäischen Parlaments einen Kompromissentwurf aus. Am 20. Februar stimmten im Rat 21 von 28 Regierungen für den Entwurf – eine qualifizierte Mehrheit. Am 26. Februar votierte auch der Rechtsausschuss des Parlaments mehrheitlich dafür. Zur endgültigen Verabschiedung fehlt nun noch die Zustimmung der 751 EU-Parlamentarier. Voraussichtlich am 26. März stimmt das Europäische Parlament über den Gesetzesentwurf ab.
Wie steht die Bundesregierung zur Reform?
Deutschland zählt zu den 21 Mitgliedsstaaten, die den Kompromissentwurf annahmen. Dabei lehnt auch der Koalitionsvertrag den verpflichtenden Einsatz von Upload-Filtern als "unverhältnismässig" ab. Die federführende Justizministerin Katarina Barley (SPD) hatte sich öffentlich gegen Artikel 13 gewandt, dann dem Gesamtentwurf innerhalb der Bundesregierung aber doch zugestimmt.
Andernfalls hätte sich Deutschland im Kreis der EU-Staaten enthalten müssen - damit wäre die nötige Mehrheit nicht zustande gekommen. "Wir sehen in diesem Ergebnis einen fairen Ausgleich zwischen ganz vielfältigen Interessen", verteidigte Regierungssprecher Steffen Seibert die Haltung der Bundesregierung.
Kann die Reform auch noch scheitern?
Theoretisch ja. EU-Parlament und Europäischer Rat müssen den Kompromissentwurf noch formal bestätigen. Normalerweise werden solche über lange Zeit ausgehandelten Regelungen abgenickt, in diesem Fall könnte aber – beeinflusst durch den grossen öffentlichen Druck – auch ein Veto einer der beiden Institutionen erfolgen. Falls der Entwurf bestätigt wird, sind die EU-Länder am Zug: Sie müssen dann innerhalb von zwei Jahren aus EU-Recht nationale Gesetze schmieden.
Denkbar wäre auch, dass das Parlament Änderungen einbringt, vor allem in Bezug auf die umstrittenen Artikel 11 und 13. Dann liegt das Heft des Handelns beim Rat: Entweder er setzt das Gesetz inklusive der Änderungen in Kraft; oder er verabschiedet die Reform ohne die diskutierten Artikel 11 und 13; oder er startet einen ganz neuen Anlauf nach der Europawahl Ende Mai.
Verwendete Quellen:
- https://irights.info: "Worum es beim Streit um Uploadfilter und Leistungsschutzrecht geht"
- www.handelsblatt.com: "Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Reform des EU-Urheberrechts"
- Material der dpa
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