Die NATO bereitet sich auf eine Welt ohne INF-Abrüstungsvertrag vor. Kann in diesem Zuge ausgeschlossen werden, dass neue Atomwaffen nach Europa kommen? Von der zuständigen deutschen Ministerin Ursula von der Leyen gibt es jetzt eine ehrliche Antwort - wenn auch keine beruhigende.

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Nach Jahren der Sicherheit kehrt das Schreckgespenst des Atomkriegs nach Europa zurück: Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen schliesst eine atomare Nachrüstung in Europa in Reaktion auf das Ende des INF-Abrüstungsvertrags nicht vollständig aus.

"Gerade weil wir am Anfang der Diskussion stehen, ist es eben wichtig, dass wir jetzt nicht anfangen zu hierarchisieren oder einzelne Punkte rausnehmen, sondern wirklich die ganze Palette mit auf dem Tisch liegen lassen", sagte die CDU-Politikerin am Mittwoch zu Beginn eines zweitägigen NATO-Verteidigungsministertreffens in Brüssel.

Es gehe jetzt darum, in der noch verbliebenen Zeit zu diskutieren, um dann einen "besonnenen, einen klugen Vorschlag" auf den Tisch legen zu können. Ähnlich äusserte sich auch ihr britischer Kollege Gavin Williamson. Er sagte: "Wir haben jetzt noch sechs Monate Zeit (...), aber dann müssen alle Optionen auf den Tisch kommen."

USA hatten INF-Vertrag gekündigt

Bei dem Treffen in Brüssel berieten die NATO-Staaten am Mittwoch erstmals über mögliche Konsequenzen aus der Auflösung des INF-Vertrages.

Die USA hatten den Vertrag Anfang des Monats mit Rückendeckung der NATO-Partner gekündigt, weil sie davon ausgehen, dass Russland das Abkommen seit Jahren mit einem Mittelstreckensystem namens 9M729 (NATO-Code: SSC-8) verletzt.

Dieses soll in der Lage sein, Marschflugkörper abzufeuern, die sich mit einem Atomsprengkopf bestücken lassen und mehr als 2.000 Kilometer weit fliegen können. Russland gibt die maximale Reichweite der SSC-8 mit 480 Kilometern an.

Das wäre vertragskonform, da das Abkommen lediglich den Besitz landgestützter atomarer Mittelstreckenwaffen mit Reichweiten zwischen 500 und 5.500 Kilometern untersagt.

Als eine mögliche Reaktion auf wachsende Bedrohungen aus Russland nannte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Mittwoch die Stationierung neuer konventioneller Waffensysteme in Europa.

Man habe derzeit aber nicht die Absicht, neue atomare landgestützte Mittelstreckenraketen zu stationieren, betonte er. Zu see- oder luftgestützten Waffensystemen äusserte er sich allerdings nicht.

Rettung des Vertrags scheint ausgeschlossen

Dass der INF-Vertrag im Verlauf der bis zum 2. August laufenden Kündigungsfrist noch gerettet werden kann, wird in der NATO für nahezu ausgeschlossen gehalten. Grund ist, dass sowohl den USA als auch Russland unterstellt wird, kein grosses Interesse am Erhalt des INF-Vertrages zu haben.

Das liegt vor allem daran, dass der aus der Zeit des Kalten Krieges stammende Deal nur Amerikaner und Russen bindet, nicht aber aufstrebende Militärmächte wie China. China soll mittlerweile über knapp 2.000 ballistische Raketen und Marschflugkörper verfügen, die unter dieses Abkommen fallen würden.

Um nichts unversucht zu lassen, wollen sich vor allem europäische Politiker noch bis zum Ablauf der sechsmonatigen Kündigungsfrist intensiv für einen Erhalt des Abrüstungsabkommen einsetzen.

Es gehe darum, Russland immer wieder dazu aufzufordern, zurück in den Vertrag zu kommen, sagte von der Leyen. Sollte dies nicht gelingen, müsse aber "klug und ausgewogen mit einem Mix an Massnahmen" reagiert werden.

Diese bedeute auch, den Blick auf die "chinesische Dimension" zu weiten. Demnach sollte auch die Regierung in Peking in mögliche Abrüstungsgespräche miteinbezogen werden.

Michail Gorbatschow warnt vor Wettrüsten

Der russische Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow (87) machte am Mittwoch die USA für das Aus für den Vertrag verantwortlich. Diese wollten mit dem Ausstieg aus dem Abkommen ihr Streben nach "absoluter militärischer Überlegenheit" fortsetzen und sich von allen Einschränkungen in Rüstungsfragen lossagen.

Es bestehe nun die Gefahr eines neuen Wettrüstens, schrieb der Ex-Sowjetpräsident in einem Beitrag der Moskauer Zeitung "Wedomosti" (Mittwoch). "Darunter leidet die Sicherheit aller Länder – die der USA eingeschlossen", mahnte er. "Und alle verstehen, dass eine neue Runde eines Raketen-Wettlaufs noch gefährlicher werden kann." (thp/dpa)

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