Auf seiner Afrika-Reise Anfang Mai hatte sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für die Aufnahme der Afrikanischen Union, kurz AU, in die einflussreiche G20-Staatengruppe führender Wirtschaftsmächte ausgesprochen. „Das gebietet der Respekt vor dem Kontinent und seinen vielen Staaten und auch seiner wachsenden Bevölkerung", sagte Scholz zu Auftakt seiner dreitägigen Afrika-Reise bei einem Besuch im äthiopischen Addis Abeba gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Dort hat die AU ihren Hauptsitz. Was ist von Scholz‘ Vorstoss zu halten und was würde aus deutscher und europäischer Sicht eine Mitgliedschaft der AU bedeuten? Und wofür steht die AU, wer sind ihre Akteure?
Der G20 gehören derzeit 19 Länder und die Europäische Union an. Die Staatengemeinschaft vereint etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung und mehr als 80 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Zu den Mitgliedern zählen die USA, China, Russland, Indien und Deutschland. Jedes Jahr findet ein Gipfeltreffen statt, das nächste im September in Indien.
Aus Afrika ist bisher nur Südafrika dabei. Der afrikanische Wunsch nach mehr Mitbestimmung ist nicht neu. Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa hatte sich im vergangenen Jahr bereits für einen Platz der Afrikanischen Union in der G20 ausgesprochen. Unterstützung bekam er dabei von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der sich im Rahmen des G20-Gipfeltreffens im Bali für eine künftige Teilnahme der AU aussprach. US-Präsident Joe Biden schloss sich Macrons Vorstoss an und warb für eine Aufnahme der AU in die G20 während eines USA-Afrika-Gipfels im Dezember 2022.
Scholz für Aufnahme der Afrikanischen Union in die G20
Dass sich nun auch Scholz für eine Aufnahme der AU in den mächtigen Club der Industrie- und Schwellenländer ausspricht, verwundert indes nicht. Afrika wird für Europa und auch für Deutschland immer wichtiger. Ob rein wirtschaftliche Interessen wie Rohstoffabkommen oder die jüngsten Gas-Deals einiger europäischer Staaten mit Senegal oder Mosambik oder sicherheitspolitische Zusammenarbeit in der Terrorbekämpfung oder Migrationsabkommen, eine Aufnahme in die G20 scheint für beide Seiten sinnvoll zu sein. Die EU finanziert gemeinsam mit ihren Mitgliedsländern lange Zeit mehr als 50 Prozent der internationalen Entwicklungszusammenarbeit.
Nicht wenige Staaten bestreiten grosse Teile ihres Staatshaushaltes aus Finanzhilfen aus der Entwicklungszusammenarbeit, heisst es in einer Analyse der Bundeszentrale für politische Bildung. Französische und britische Firmen etwa sind unter anderem stark im Rohölsektor in Nord- und Westafrika sowie im Abbau von Gold und Diamanten im südlichen Afrika involviert. Auch auf der politischen Ebene üben beide ehemaligen Kolonialmächte noch immer einen grossen Einfluss auf die anglo- und frankophonen Länder Afrikas aus. Die bestehenden Abhängigkeiten werden schnell deutlich.
Würde die AU tatsächlich in den elitären Klub der Wirtschaftsmächte aufgenommen werden, könnte ein afrikanischer Vertreter für den ganzen Kontinent entsandt werden, um für die Belange Afrikas einzutreten. Viele reden in diesem Zusammenhang auch von einer Frage des Respekts und der Anerkennung, die bislang Afrika nicht besonders zuteil geworden ist. Unstrittig ist, dass die internationale Rolle der AU durch den jüngsten Vorschlag eines führenden Staatschefs auf jeden Fall aufgewertet wird.
Die Afrikanische Union ist der wichtigste Zusammenschluss afrikanischer Staaten. Ihr gehören 55 Staaten an, also alle international allgemein anerkannten afrikanischen Staaten. Damit vertritt die AU die Interessen von knapp 1,4 Milliarden Menschen. Zum Vergleich: In der Europäischen Union leben lediglich rund ein Drittel so viele Menschen (447,7 Millionen). Dabei erwirtschafteten die Länder der AU laut dpa, die sich auf den Internationalen Währungsfonds beruft, im vergangenen Jahr rund drei Billionen US-Dollar (2,7 Billionen Euro), die EU dagegen knapp 16 Billionen Euro. Die AU wurde 2002 als Nachfolgerin der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) gegründet.
Kurioserweise setzte sich ausgerechnet ein früherer Despot federführend für die Neugründung der Organisation zur Afrikanischen Union ein. Der libyschen Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi war vor mehr als 20 Jahren vehement für die Idee einer panafrikanischen Union eingetreten und hatte mit grossem finanziellen Aufwand bei den afrikanischen Staatschefs dafür geworben.
Das Ziel der AU ist es, die politische und wirtschaftliche Entwicklung des Kontinents gemeinsamen mit allen anderen afrikanischen Staaten voranzubringen. In ihrer Agenda 2063 haben die AU-Mitgliedsstaaten vor genau zehn Jahren Ziele vereinbart, wie ein erfolgreiches Afrika, basierend auf inklusivem Wachstum und nachhaltiger Entwicklung, in 50 Jahren aussehen sollte.
Dort steht auch, dass ein „integrierter Kontinent, politisch vereint, basierend auf den Idealen des Panafrikanismus und der Vision der Afrikanischen Renaissance“ entstehen sowie es ein „Afrika der guten Regierungsführung, der Demokratie, der Menschenrechte, der Gerechtigkeit und der Rechtsstaatlichkeit“ geben sollte. Davon ist der Kontinent angesichts multipler Krisen und Kriege gegenwärtig weit entfernt.
Zumal, analog zur UN, die AU Mitgliedsstaaten hat, die verfeindet sind oder gar gegeneinander Krieg führen. Nachhaltige Lösungen zu finden dürfte hier schwierig sein. Die AU ist uneins und sie habe grosse Schwierigkeiten, sich zu einigen. Man nehme nur die Krisenherde vor Ort. Diese selbst zu managen, funktioniere bereits nicht flächendeckend, heisst es unter Experten.
Die AU verfügt auch über eine sogenannte Eingreiftruppe. Sie darf in Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen aktiv werden. Im Februar 2003 einigte sich die AU auf die Eingliederung der Afrikanischen Bereitschaftstruppe (ASF) in die Union, die die ASF fortan steuerte. Ein Friedens- und Sicherheitsrates (PSC) nach Vorbild der Vereinten Nationen mit Interventionsrecht wurde ebenso gegründet.
2008 entsandte die AU erstmalig die ASF zu einem Einsatz – auf den kleinen Inselstaat Komoren im Indischen Ozean. Der AU ist es wichtig, sich gemäss dem Gründungsvertrag nicht in innerstaatliche Angelegenheiten einzumischen und die Legitimität einzelner Staaten zu untergraben.
Aufbau und Funktionen der AU
Die AU ist das Pendant zur EU. Folglich hat die AU eine Kommission, eine Unionsversammlung als oberstes Organ, einen Exekutivrat, einen Gerichtshof, einen ständigen Vertretungsausschuss, sieben spezielle Ausschüsse für Technik, Wirtschafts-, Sozial- und Kulturrat und ein panafrikanische Parlament, das im südafrikanischen Midrand beheimatet ist. Flankierend dazu gibt es drei Finanzinstitutionen: Afrikanische Zentralbank, Afrikanischer Währungsfonds und Afrikanische Investmentbank.
Ähnlich wie das Berlaymont in Brüssel ist der Amtssitz der AU-Kommission ein Prunkbau. Es ist ein gewaltiger Bau aus Glas und Stein. AU-Kommissionsvorsitzender, sozusagen die "afrikanische" Ursula von der Leyen, ist seit 2017 Moussa Faki aus Tschad. Er ist in Afrika aber weder so bekannt noch so mächtig wie sein EU-Pendant. Angeführt wird die panafrikanische Diplomatie, dessen Vorsitz jährlich rotiert, aktuell von Azali Assoumani.
Er ist
Die AU gilt als vielstimmig und entsprechend als entscheidungsschwach. Gerne werden AU-Mitglieder bei Putschen, Konflikten oder der Verletzung von Menschenrechten kurzerhand suspendiert. Sie hat aber auch diplomatische Erfolge vorzuweisen. Etwa im äthiopischen Bürgerkrieg im vergangenen Jahr. Die AU vermittelte ein Friedensabkommen zwischen der Regierung und der Tigray-Volksbefreiungsarmee, wie die taz berichtete. Dies gilt es nun im Bürgerkriegsland Sudan zu wiederholen, so die Hoffnung aus dem Westen.
Interessenkonflikte und Herausforderungen in einer sich verändernden Weltordnung
Wie so oft sind es die stark unterschiedlichen Interessen, die in Konflikten manifest werden und die die chronisch unterfinanzierte AU teilweise lähmen und nicht effizient arbeiten lassen.
Vor dem Hintergrund des zunehmenden Einflusses Chinas und Russlands auf Afrika könnte eine G20-Mitgliederschaft der Afrikanischen Union wichtig werden, um den Kontinent weiter an den Westen, der die G20 noch immer dominiert, zu binden. Der Vorstoss von
Gleichzeitig könnte der EU ihr zögerliches Verhalten vor rund zwei Jahrzehnten in Bezug auf Afrika zum Verhängnis werden. Chinas Aufstieg in Afrika hat auch mit dem Desinteresse Europas und der EU an Afrika zu tun, heisst es von Experten. So würden etwa grosse Infrastrukturprojekte, die früher noch von der EU mitfinanziert worden waren, nun von China oder Russland realisiert. Den Kommissionsitz der AU in Addis Abeba hat übrigens China gebaut.
Allen voran die EU und der Westen haben also ein Interesse daran, die AU in die G20 aufzunehmen und somit langfristig als Gesprächspartner zu behalten. Würde die AU etwa nur in die aufstrebende BRICS-Staatengemeinschaft um Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika oder in die Outreach-Staaten um China, Indien, Südafrika, Brasilien und Mexiko aufgenommen werden, wäre die EU und der Westen aussen vor.
Auch, wenn China, Russland und auch Indien ebenfalls Mitglieder der G20 sind, hätte die EU und der Westen – sollte die AU tatsächlich aufgenommen werden – so zumindest noch leichter Einflussmöglichkeiten auf Afrika und die AU. Dass drei westliche Staatschefs sich für die AU als Mitglied in der G20 stark machen, dürfte bei der AU anerkannt werden, wenngleich China und Russland die AU ebenso versuchen, zu umgarnen.
Ein riesiger Markt mit lukrativen Aufträgen lockt
Die Bundesrepublik Deutschland kooperiert, wie es auf der Webseite des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, kurz BMZ, heisst, seit 2003 mit der AU. Als „bedeutendste Regionalorganisation des Kontinents“ ist sie laut BMZ wichtigster Ansprechpartner Deutschlands in Afrika. Deshalb sei Deutschland auch heute einer der wichtigsten Geber.
Das Sekretariat der afrikanischen Freihandelszone (AfCFTA) etwa wird dabei – bestimmt nicht ganz uneigennützig – von Deutschland als grösstem der bilateralen Geber unterstützt. Seit Beginn der Entwicklungszusammenarbeit hat das BMZ eigenen Angaben zufolge der AU insgesamt gut 580 Millionen Euro zugesagt.
Durch sogenannte regionale Team-Europe-Initiativen arbeiten ferner EU-Mitgliedsstaaten und die EU-Kommission mit ihren afrikanischen Partnern in der Bekämpfung illegaler Finanzströme, lokaler Impfstoffproduktion und vor allem in der Digitalisierung zusammen. Der afrikanische Kontinent ist bei Weiten noch nicht annährend flächendeckend digitalisiert. Bedeutet für die EU und europäische Firmen: Ein riesiger Markt mit lukrativen Aufträgen lockt, den man nicht der Konkurrenz aus China, Russland oder Indien überlassen möchte.
Verwendete Quellen:
- taz.de: "Der rote Teppich fehlt"
- Webseite des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, "Zusammenarbeit mit Regionalorganisationen Afrikanische Union"
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