Erschreckende Bilder: In Essen haben radikale Islamisten eine pro-palästinensische Grossdemonstration für ihre Zwecke genutzt. Tausende riefen "Allahu Akbar" auf den Strassen und zeigen IS-typische Flaggen und Symbole. Warum es trotzdem keine gute Idee ist, das einfach zu verbieten, erklären zwei Expertinnen.
Es sind Bilder, die für Aufruhr gesorgt haben und nun auch den Staatsschutz auf den Plan gerufen haben: die Bilder von der Grossdemonstration in Essen (NRW) Anfang des Monats. Zu sehen waren Frauen, die in bodenlangen schwarzen Tschadors getrennt von Männern marschierten.
Ausserdem Gesten wie der erhobene Zeigefinger, die sonst von radikalen Islamisten benutzt werden und Symbole wie das Glaubensbekenntnis Shahada auf einem Banner – in derselben Form, wie es auch von IS-Terroristen, Al-Kaida- und Taliban-Kämpfern genutzt wird. Rufe wie "Allahu Akbar", was übersetzt "Gott ist der Grösste" oder "Gott ist grösser" (als alles andere) bedeutet.
"Allahu Akbar" meint nicht immer dasselbe
Offiziell demonstrierten die rund 3.000 Menschen für Gaza, doch es spielten sich fragwürdige Szenen ab: So etwa die Forderung nach der Errichtung eines Kalifats in Deutschland. Zunächst gab die Polizei an, es seien keine Straftaten bekannt geworden und die Demonstration sei friedlich verlaufen. Später hiess es, das Pro-Palästina-Thema sei zugunsten einer religiösen Veranstaltung vorgeschoben gewesen und die strafrechtliche Relevanz einiger Vorgänge werde geprüft.
Müssen wir die Bilder aushalten, oder können Rufe wie "Allahu Akbar" und das Glaubensbekenntnis in weisser Schrift auf schwarzem Grund verboten werden? Islam-Expertin Susanne Schröter ist skeptisch. "'Allahu Akbar' ist eine religiöse Formel und Muslime nutzen sie zu allen möglichen Gelegenheiten", erinnert sie. Man könne damit beispielsweise betonen, dass man auf Gott vertraut.
"Es ist aber auch eine Formel im politischen und gewaltsamen Islamismus. Viele Anschläge sind mit 'Allahu-Akbar'-Rufen begleitet worden, auch jüngst bei den Massakern der Hamas", erinnert sie. Das mache die Situation kompliziert und ein Verbot sei deshalb kaum möglich.
Expertin: Ein Verbot "würde Islamisten in die Hände spielen"
Islamwissenschaftlerin Yasemin El-Menouar hielte das ebenfalls nicht für sinnvoll. "Damit würde man den Islamisten in die Hände spielen", ist sie sich sicher. Sie würden erreichen, was sie wollen – "ihre islamistische Deutung religiöser Symbole durchzusetzen und einen Spalt durch unsere Gesellschaft zu treiben", so die Expertin.
Mit dem Glaubensausspruch "Allahu Akbar" werde das Gebet eingeleitet, sei Teil des Glaubensbekenntnisses und Ausdruck von Demut. "Ein Verbot würde zum einen zu einer Kriminalisierung einer ganzen Glaubensgemeinschaft führen und 'Allahu Abkar' zu einer Kampfformel degradieren", fürchtet sie. Damit würde das passieren, was ohnehin die muslimische Bevölkerung seit Jahrzehnten überschatte: die Gleichsetzung von Islam und Islamismus. "Und damit die Zementierung eines Generalverdachts ihnen gegenüber", sagt El-Menouar.
Nicht mehr nur religiöses Zeichen
Aus ihrer Sicht würde ein Verbot weiter Öl ins Feuer giessen und die islamistische Behauptung stärken, die Rechte der Muslime würden mit Füssen getreten und sie würden als Menschen zweiter Klasse betrachtet, die nie als gleichwertige Bürgerinnen und Bürger anerkannt werden. "Insofern ist es keine gute Idee, religiöse Symbole, die Extremisten zu kapern versuchen, mit Verboten zu belegen", zieht sie als Fazit.
Aus Sicht von Schröter ist die Formel "Allahu Akbar" zwar nicht per se verfassungsfeindlich oder ruft zu Gewalt auf, in speziellen Kontexten werde damit aber ein Machtanspruch vertreten – so auch geschehen auf der Grossdemonstration in Essen. "Religiöse Zeichen sind in ihrer Gesamtinszenierung hier weit über den eigentlichen Inhalt hinausgegangen", analysiert sie.
Islamistische Machtdemonstration
Die Veranstalter in Essen hätten religiöse Symbole sehr geschickt in einen politischen Kontext gestellt und damit eine islamistische Machtdemonstration durchgeführt, die von ihren Anhängern auch genau so verstanden worden sei.
"Man kann natürlich die religiöse Formel 'Allahu Akbar', die im Alltag weder etwas mit Gewalt, noch mit Politik zu tun hat, nicht einfach verbieten", sagt Schröter. Das gelte auch für das Glaubensbekenntnis oder ähnliche Rufe mit ähnlicher Bedeutung wie etwa "Takbīr ".
"Wenn man verhindern will, dass solche Dinge in Zukunft nicht mehr einfach durchgeführt werden können, muss man sich sehr genau überlegen, was tatsächlich justiziabel ist", meint Schröter. Das hiesse zum Beispiel zu überlegen: Wie müssen die Dinge zusammenspielen, damit sie in ihrer Gesamtheit nicht mehr rein religiös sind?
Kalifat auf deutschem Boden
"In Essen ging es in der Gesamtheit nicht mehr nur um das Bekenntnis, Moslem zu sein und zu glauben, dass Gott der Grösste ist. Es ging darum zu zeigen: Wir als Muslime haben mit dem Rest der Gesellschaft nichts zu tun und wir wollen diese Gesellschaft überwinden – zugunsten eines Kalifats mit völlig anderen Gesetzen", analysiert Schröter. Das sei definitiv verfassungsfeindlich.
Man müsste die religiösen Formeln und Symbole daher entweder immer im Gesamtkontext betrachten oder genau definieren, ob das Glaubensbekenntnis auf diesem Banner in genau der Form und Farbe verboten sei – weil es eine Analogie auf terroristische Organisationen ist. "Wenn man das nicht ganz genau definiert, verliert man vor Gericht gegen das Argument der Religionsfreiheit", sagt sie.
Man müsse genau bestimmen, warum etwas in einer bestimmten Form kein unschuldiges religiöses Symbol sei, sondern ein verfassungsfeindliches Zeichen.
"Die Redner bewegen sich allgemein sehr geschickt am Rande des Erlaubten", beobachtet Schröter. Es sei aber verfassungsfeindlich, wenn man davon spreche, Nationalstaaten abzuschaffen und die Regierungen zu stürzen, die keine wirklichen Muslime mehr sind.
Experten sehen Radikalisierungsprozesse
"Insgesamt muss man die Symbole von ihrem religiösen Gehalt loslösen und sie in ihren Kontext stellen", sagt Schröter. Das sei wichtig, denn Veranstaltungen wie die in Essen werde man nicht zum letzten Mal gesehen haben, ist sich die Expertin sicher. Insgesamt schätzt der Verfassungsschutz die islamistische Szene in Deutschland auf 27.480 Personen – also etwa 0,5 Prozent der rund sechs Millionen Muslime in Deutschland.
"Wir beobachten Radikalisierungsprozesse unter jungen Muslimen. Gruppierungen wie 'Generation Islam' sind sehr erfolgreich bei jungen, vor allem gebildeten Muslimen", sagt sie. Die Gruppen würden virtuos das Internet bespielen und eine Identifikationsvorlage anbieten. "Diese ist immer in Form der Gegengesellschaft. Deutschland ist in ihren Augen eine Wertegesellschaft, mit deren Werten sie nichts gemein haben", sagt Schröter.
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Gekaperte Demonstrationen
Tendenziell sei die Szene gewaltaffin. Es werde betont: "Ihr seid hier in Deutschland und bringt keine Opfer, während die Palästinenser Opfer bringen". Schröter sagt dazu: "Zu fordern, auch hier müssten Opfer gebracht werden, ist ein impliziter Gewaltaufruf. "
Klarer ist die Situation aus Sicht von El-Menouar bei Slogans wie "Free Palestine from the River to the Sea". Dieser antisemitische Slogan spreche Israel das Existenzrecht ab. "Hier ist ja bereits ein Verbotsverfahren in vollem Gange", erinnert sie. Sie vermutet, dass viele Menschen, die diesen Slogan vor sich hertragen, gar nicht wissen, was er bedeutet. "Hier würde ich mir mehr Sensibilisierung wünschen", so die Expertin. Leider würden solche Demonstrationen, bei denen es in erster Linie um Frieden und Humanität im Nahen Osten geht, häufig von Extremisten gekapert – wie seinerzeit auch die sogenannten Corona-Demonstrationen von Extremisten gekapert worden seien.
Über die Experten
- Prof. Dr. Susanne Schröter hat Anthropologie und Soziologie studiert und lehrt an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Sie leitet das Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Schröter durch islamkritische Bücher wie "Politischer Islam: Stresstest für Deutschland" oder "Allahs Karawane: Eine Reise durch das islamische Multiversum" bekannt.
- Dr. Yasemin El-Menouar studierte Soziologie und Islamwissenschaften. Sie ist "Senior Expert - Religion, Werte und Gesellschaft" bei der Bertelsmann Stiftung.
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