Der Iran will sich teilweise aus dem Atomabkommen mit den USA und Europa zurückziehen und droht, seine Urananreicherung wieder aufzunehmen. Iran-Experte Adnan Tabatabai erklärt im Interview, wie gross die Verantwortung der EU-Staaten ist, unter welchen Umständen eine militärische Auseinandersetzung droht und welche Parallelen es zum Irak-Krieg gibt.

Ein Interview

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Der Iran hat sich für den Teilrückzug aus dem Atomabkommen mit Europa und den USA entschieden - passend zum Jahrestag des einseitigen Ausstiegs der USA. Fernab der Symbolik: Wieso kommt der Rückzug gerade jetzt?

Adnan Tabatabai: Teheran will das Atomabkommen nicht verlassen, kann aber den eigenen Verpflichtungen nicht nachkommen, weil die Dividende - nämlich die Aufhebung der Sanktionen - ausbleibt. Der Iran möchte nun sowohl innen- als auch aussenpolitisch das Signal senden, dass man mit der einseitigen Implementierung des Abkommens nicht weitermacht und bereit ist, sich gegen den Ausstieg der USA zu wehren.

Bis zuletzt wollten die Europäer das Atomabkommen retten, darunter hat auch das Verhältnis zu den USA gelitten. Hat der Iran die EU mit seiner überraschenden Entscheidung blamiert?

So weit würde ich nicht gehen, denn vorrangig geht es dem Iran nicht darum, die Europäer zu demütigen. Vielmehr will der Iran in einer "Roadmap" aufzeigen, welche Schritte man für den Ausstieg unternimmt, falls die Europäer sich nicht entschiedener für die Erhaltung des Abkommens einsetzen.

Am Ende einer solchen "Roadmap" stünde der totale Rückzug aus dem Abkommen. Frankreich hat für diesen Fall bereits angekündigt, die Sanktionen zu verschärfen, weitere europäische Staaten würden vermutlich folgen. In welche Richtung will sich der Iran dann ausrichten?

Seit etwa einem halben Jahr vernimmt man im Iran eine tiefergehende Orientierung in Richtung Osten. Der Iran will sich sein wirtschaftliches Überleben sichern, indem er auf Partnerschaften mit Russland, Indien und China setzt.

Die Sanktionen aus Europa sind eine im Vergleich wirkungslose Drohung, da die US-Sanktionen ja schon jetzt dazu führen, dass sich europäische Unternehmen nicht mehr auf Geschäfte mit dem Iran einlassen.

Die USA wollen den Iran mit immer schärferer Rhetorik und immer härteren Sanktionen dazu bewegen, sich aus Jemen und Syrien zurückzuziehen und der Entwicklung von ballistischen Raketensystemen abzuschwören. Wie gross ist die Kriegsgefahr?

Wenn man bedenkt, dass der militärische Apparat in den USA eine Militärkonfrontation scheut, halte ich die Kriegsgefahr momentan für gering. Auch US-Präsident Donald Trump ist im Gegensatz zu seinem Sicherheitsberater John Bolton nicht an einem Krieg interessiert.

Die Rhetorik der USA, die Listung der Revolutionsgarden als Terrororganisation und die Gegenmassnahmen des Iran, CENTCOM [das Zentralkommando der Vereinigten Staaten, u.a. zuständig für den Nahen Osten; Anm.d.Red.] und US-Militärs in der Region als Terroristen einzustufen, provozieren jedoch unbeabsichtigte, kleine Auseinandersetzungen, besonders in Syrien und im Irak, wo iranische und amerikanische Truppen in geringer Entfernung operieren.

Bei fehlendem diplomatischen Austausch droht dann die Gefahr, dass kleine Auseinandersetzungen militärisch eskalieren.

Auf wessen Unterstützung könnte der Iran zählen, sollte es zu einem bewaffneten Konflikt mit den USA kommen?

Der Iran hat in seiner Geschichte nie eine Schutzmacht gehabt. Im Iran geht niemand davon aus, dass sich beispielsweise Russland im Falle eines Konflikts militärisch auf die iranische Seite schlagen würde. Die Art und Weise, wie die Amerikaner den Schutz für Saudi-Arabien, Israel oder die Emirate garantieren, gibt es für den Iran nicht.

Auf amerikanischer Seite sickerten zuletzt Informationen über angebliche Geheimdiensterkenntnisse durch, nach denen der Iran oder Verbündete des Iran Angriffe auf amerikanische Einrichtungen in der Region planen. Dort sind insgesamt 5.000 US-Soldaten stationiert. Liefern die USA damit einen Vorwand, um eine mögliche Eskalation im Nahen Osten zu legitimieren?

Wir sehen viele Ähnlichkeiten zum Vorlauf der amerikanischen Irak-Invasion. Die politische Klientel in den USA ist in weiten Teilen dieselbe wie 2003 - auch Trumps Sicherheitsberater Bolton hat die Irak-Invasion damals befürwortet. Deshalb müssen wir jede Meldung über Geheimdienstinformationen der USA mit grosser Vorsicht beurteilen.

Klar ist aber, dass der Iran seine regionale Machtstellung mit Drohkulissen gegenüber amerikanischen Truppen, Militärbasen und Verbündeten immer wieder demonstrieren will. Deshalb ist das Bedrohungsempfinden, das die Amerikaner verspüren, nachvollziehbar.

Die USA haben ihre Präsenz im Nahen Osten mit der Verlegung des Flugzeugträgers Abraham Lincoln an den Persischen Golf verstärkt, Aussenminister Mike Pompeo sagte überraschend Gespräche mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Aussenminister Heiko Maas ab, um kurz darauf im Irak aufzutauchen. Wie nervös sind die USA?

Was Sinn und Zweck dieser Reise nach Bagdad war, darüber lässt sich nur spekulieren. Mit Sicherheit wollte man mit den Irakern über deren Erkenntnisse über die iranische Präsenz im Irak sprechen.

Möglicherweise wollten die USA auch über die irakische Regierung ein Signal in Richtung Teheran senden. Vielleicht wollte auch Teheran ein Signal über die Iraker in Richtung der USA senden. Da gibt es viele Möglichkeiten. Ich denke aber, dass die Gefahr durch iranische Truppen und ihre Verbündeten im Irak bei den Amerikanern durchaus Nervosität auslösen könnte.

Seitens Europas gibt es ausser politischen Statements für den Erhalt des Abkommens mit dem Iran bislang wenig politische Initiativen. Nimmt Europa seine Interessen im Konflikt zwischen dem Westen und Iran ausreichend wahr?

Das vordergründige Interesse Europas an dem Nuklearabkommen ist weniger der Iran, sondern die Nichtverbreitung von Nuklearwaffen in einer explosiven Region, die aufgrund der geografischen Nähe eng verknüpft ist mit dem Sicherheitsempfinden Europas. Insofern wollte die EU an dem Abkommen festhalten, um daraus eine sicherheitspolitische Dividende zu ziehen.

Daneben hatten die Europäer auch eine - wenn auch zweitrangige - Hoffnung, von besseren Beziehungen zum Iran wirtschaftlich zu profitieren. Europa hat sich dafür eingesetzt, das Abkommen zu erhalten, hat politisch aber zu wenig dafür getan.

Der Iran droht, die für den Welthandel wichtige Strasse von Hormus zu blockieren. Wäre das für Teheran wirtschaftlicher Selbstmord?

Der Iran riskiert mit dieser grossen Eskalationsstufe eigene wirtschaftliche Einschränkungen. Teheran will zeigen, dass es dennoch zu solchen drastischen Massnahmen bereit ist, die ja weitreichende Implikationen für den Welthandel hätten.

Die iranische Logik dahinter ist zu signalisieren, dass die Totalblockade des iranischen Ölhandels nicht einfach akzeptiert wird, sondern auch für andere Staaten in der Region und den Welthandel einen Preis hat.

Im Westen wird häufig das Bild gezeichnet, dass der Iran aufgrund der massiven Sanktionen wirtschaftlich am Boden liegt. Wie realistisch ist diese Wahrnehmung?

Ich halte sie für überzogen. Der Iran wird kurz- und mittelfristig auf den Handel mit den Ostmächten setzen, um wirtschaftlich zu überleben - und das wird ihm auch gelingen. Wirtschaftliches Wachstum und die Entwicklung der eigenen Industrie sind damit aber kurz- und mittelfristig kaum absehbar.

Der Iran-Experte und Analyst Adnan Tabatabai studierte Middle East Politics an der School of Oriental and African Studies in London und ist Mitgründer und Geschäftsführer des Thinktanks CARPO - Center of Applied Research in Partnership with the Orient mit Sitz in Bonn. Er berät Bundesministerien, EU-Institutionen sowie politische Stiftungen und Forschungseinrichtungen zu Fragen rund um den Iran. 2016 erschien sein Buch "Morgen im Iran".
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