Die Fluchtroute über die Balkanstaaten ist faktisch geschlossen. Nun wird spekuliert, auf welche Wege die Flüchtlinge ausweichen, um nach Deutschland zu gelangen. Bisher haben die Schlepper noch auf jede Veränderung blitzschnell reagiert.
Mehr als 10.000 Menschen hausen unter erbärmlichen Zuständen im griechischen Grenzort Idomeni. Wegen der geschlossenen Grenze zu Mazedonien ist eine provisorische Zeltstadt entstanden. Rund 30.000 Flüchtlinge sollen sich insgesamt im Land gestaut haben. Fast alle wollen weiter, die meisten nach Deutschland – aber es gibt derzeit keinen Weg. Die Balkanroute ist faktisch geschlossen.
Nun haben Slowenien und Serbien weitere Massnahmen angekündigt: Slowenien hält sich seit Dienstagmitternacht wieder streng an die Schengenregeln und lässt nur noch Menschen mit gültigen Pässen und Visa einreisen, hiess es in Ljubljana.
In umliegenden Staaten steigt nun die Nervosität: Die Abriegelung einer Grenze erhöht in der Regel den Druck auf die der Nachbarländer. Wer wird die neue Durchgangsstation werden? Denn die Erfahrungen der letzten Monate haben gezeigt, dass die Schlepperbanden schnell auf Veränderungen reagieren.
Drei Szenarien für neue Routen
Auch wenn die Balkanroute derzeit faktisch geschlossen ist, bedeutet das nicht das endgültige Aus für diese Passage. Zu viele Schlupflöcher, zu viele kaum genutzte Nebenwege sind vorhanden. Diese Szenarien erscheinen derzeit als wahrscheinlich.
Es wird auf der bisherigen Balkanroute neue Umleitungen geben. Etwa im Nordwesten Griechenlands bei Kastoria, wo der Grenzzaun umgangen werden muss, um über die Berge nach Mazedonien zu gelangen. Dutzende solcher bisher kaum genutzter Schleichwege könnten nun entstehen – auch an anderen Ländergrenzen.
Zudem wäre es möglich, dass sich die Flüchtlingsbewegungen auf eine südlichere Adriaroute von Griechenland über Albanien verschieben. Von dort könnten die Asylsuchenden mit einer Fähre in fünf bis acht Stunden von der albanischen Hafenstadt Vlora ins süditalienische Brindisi übersetzen.
Bereits während des Kosovo-Kriegs Ende der 90er Jahre war dies eine vielgenutzte Passage. Von Italien aus würden die Menschen über den Brenner nach Österreich und dann nach Deutschland weiterfahren. Aber auch der Landweg von Albanien über Montenegro, Bosnien und Herzegowina nach Kroatien ist denkbar.
Ferner halten Hilfsorganisationen die Verschiebung der Balkanroute nach Osten für möglich. Bulgarien, das eine Grenze zu Griechenland und der Türkei besitzt, und Rumänien könnten zu neuen bedeutenden Transitländern werden.
Schon jetzt werden dort vermehrt Aktivitäten festgestellt. Sofia Kitty McKinsey, die Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sagte auf einer Pressekonferenz über die Ostroute: "In der Vergangenheit haben die Schlepper mit alternativen Routen sehr schnell auf jede Änderung der Lage reagiert."
Neue Dramen im Mittelmeer?
Zugleich steht ein noch viel gefährlicherer Fluchtweg vor dem Comeback – die Mittelmeerroute. Allein in Libyen halten sich derzeit nach Schätzungen bis zu 200.000 Menschen auf. Sie warten auf besseres Wetter, um in Booten die lebensgefährliche Fahrt über das Mittelmeer in Richtung Italien zu wagen.
Darunter seien Syrer, Afghanen und Iraker, aber auch Eritreer, Nigerianer und Somalier, berichtete "Zeit Online". Der Stau hängt neben den jahreszeitlichen Bedingungen mit den zerrütteten Verhältnissen in dem Bürgerkriegsland zusammen, die eine Flucht erschweren.
Die Rückverschiebung in Richtung Mittelmeerroute, sollte das Szenario tatsächlich eintreten, wird gravierende Konsequenzen haben: Die Flüchtlingszahlen dürften erneut deutlich ansteigen, Italien könnte wieder Ankunftsland Nummer eins in Europa werden und das Mittelmeer wird für Tausende Menschen zum Massengrab.
"Die meisten Toten entstehen, wenn wir in Europa offen sind und dazu verleiten, dass sich immer mehr auf den Weg machen", erklärte Österreichs Aussenminister Sebastian Kurz (ÖVP) im österreichischen Fernsehen zu diesem Szenario.
Experten rechnen unterdessen mit einem Anstieg der illegalen Einwanderung, da legale Fluchtwege weitgehend abgeschnitten wurden. "Illegale Immigration ist wie ein Fluss", sagte Rados Durovic, Direktor des Zentrums für Asylsuchende in Belgrad, gegenüber "Zeit Online". "Wenn man versucht ihn aufzuhalten, schlägt er eine andere Richtung ein – aber er fliesst weiter."
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