Vor wenigen Wochen waren Bauernproteste in Brüssel eskaliert. Das EU-Parlament wurde teilweise abgeriegelt. Jetzt kommen die EU-Agrarminister und mit ihnen auch wieder Traktoren in die Hauptstadt.
Reifen brennen, Trecker durchbrechen Barrikaden: Begleitet von Bauernprotest haben die EU-Agrarminister in Brüssel über die Probleme der Landwirtschaft beraten. Alle Mitgliedsländer seien der festen Überzeugung, dass die Situation nicht bleiben könne, wie sie sei, sagte Belgiens Ressortchef, David Clarinval, nach dem Treffen am Montag, das von einem Grossaufgebot der Polizei geschützt wurde und weitgehend hinter verschlossenen Türen stattfand. Belgien hat derzeit die halbjährlich wechselnde EU-Ratspräsidentschaft inne und leitet deswegen unter anderem die Ministertreffen.
Nachdem es Anfang Februar bereits zu gewalttätigen Szenen während Bauernprotesten in Brüssel gekommen war, eskalierte die Lage erneut. Insgesamt 900 Traktoren blockierten Strassen im EU-Viertel, wie die Nachrichtenagentur Belga unter Berufung auf die Polizei berichtete. Protestierende setzten Reifen in Brand, schütteten Gülle auf die Strasse, und Pyrotechnik wurde gegen Polizisten gerichtet. Die Beamten setzten Wasserwerfer ein. Neben lautem Hupen waren immer wieder kleinere Explosionen zu hören.
Die Polizei richtete zahlreiche Strassensperren rund um die EU-Institutionen ein. Einige Bauern schafften es mit ihren Traktoren, Sperren zu durchbrechen, wie Belga berichtete. Demnach wurden Polizisten zudem mit Mist und anderen Wurfgeschossen, darunter Eier, Stöcke und Flaschen, beworfen und mussten sich teilweise zurückzuziehen. Die Polizei reagierte mit dem Einsatz von Tränengas und Wasser, um die Demonstranten zu zerstreuen. Während der Proteste wurden drei Polizisten verletzt, wie Belga am Abend berichtete. Über ihren Zustand sei jedoch nichts bekannt. Die Polizei werde Bildmaterial auswerten, um die Randalierer zu identifizieren.
"Wir verurteilen Gewalt immer"
Clarinval betonte auf Nachfrage: "Egal, ob es sich um Landwirte, Fussball-Hooligans oder die Covid-Proteste handelt, wir verurteilen Gewalt immer." Die Behörden täten alles Nötige, um Sicherheit für Bürgerinnen und Bürger und die EU-Institutionen sicherzustellen. Auch der flämische Bauernverband Boerenbond distanzierte sich von den gewaltsamen Protesten.
EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski verurteilte die Gewalt durch Protestierende nicht. "Wir konzentrieren uns darauf, Lösungen zu finden, die den wichtigsten Anliegen der Landwirte gerecht werden." Er denke, die Spannungen würden abnehmen.
In vielen Ländern der Union sind Landwirte auf den Strassen, um gegen EU-Handelsabkommen, Bürokratie und Umweltauflagen zu protestieren. Die EU-Kommission hatte daraufhin Lockerungen in Aussicht gestellt und ein Gesetzesvorhaben für weniger Einsatz von Pestiziden zurückgezogen. Die Herausforderung, Lebensmittel angesichts des fortschreitenden Klimawandels künftig umweltfreundlicher zu produzieren, dürfte auch im bevorstehenden Europawahlkampf eine grosse Rolle spielen.
Der deutsche Ressortchef
Die Proteste zeigten nicht nur in Deutschland, sondern der gesamten EU, dass sich viel Wut über nicht gehaltene Versprechen angestaut habe, sagte Özdemir. Es brauche einen Umbau der Landwirtschaft und finanziell attraktive Angebote, um etwa mit Biodiversität gutes Geld verdienen zu können. Die Umsetzung von Reformen müsse "möglichst bürokratiearm" sein, denn die bisherige europäische Agrarpolitik sei "ein Bürokratiemonster". Sie führe dazu, dass Klima- und Artenschutz für Landwirte nicht attraktiv sei.
Ein Viertel der Zeit am Schreibtisch
Ein durchschnittlicher Landwirt verbringe ein Viertel seiner Zeit am Schreibtisch, sagte Özdemir. "Das muss dringend runter. Weg mit überbordender Bürokratie, Konzentration aufs Wesentliche. Feldarbeit statt Papierarbeit ist das Motto der Stunde." Dabei könne die Digitalisierung genauso helfen wie weniger überflüssige Berichtspflichten. Wie die "tageszeitung" (taz) berichtete, basiert die Angabe zur Arbeitsbelastung durch Bürokratie auf Interviews lediglich mit zehn landwirtschaftlichen Betrieben.
In dem zugrundeliegenden Bericht des Statistischen Bundesamts wird betont, die Auswahl sei bewusst getroffen worden, um möglichst belastbare Ergebnisse zu bekommen. Wörtlich heisst es: "Massgabe der Auswahl war, dass alle relevanten Themenbereiche im Projekt berücksichtigt werden, um die damit verbundenen bürokratischen Belastungen anschliessend im Detail prüfen zu können."
Am Donnerstag hatte die EU-Kommission Pläne für weitere Entlastungen präsentiert. Demnach sollen bis zu 50 Prozent der Vor-Ort-Kontrollen durch nationale Behörden wegfallen. Zudem sollen bestimmte Standards, die für den guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand von Flächen sorgen sollen, vereinfacht werden. Diese Standards müssen Landwirte einhalten, um von milliardenschweren EU-Agrarsubventionen zu profitieren. Auch weitreichende Ausnahmen für besonders kleine Höfe sind vorgesehen. Welche Massnahmen dieser Vorschläge konkret umgesetzt werden, ist offen.
Einen etwas älteren Vorschlag der Kommission zur Entlastung von Bauern will Özdemir eigenen Angaben zufolge eins zu eins umsetzen. Die Behörde hatte vorgeschlagen, rückwirkend zum 1. Januar die Vorgabe auszusetzen, vier Prozent des Ackerlandes brachliegen zu lassen oder unproduktiv zu nutzen. Dafür sollen Bauern im Gegenzug mehr stickstoffbindende Pflanzen wie Linsen oder Erbsen beziehungsweise Zwischenfrüchte anbauen. Die Mitgliedstaaten können bis Ende Februar erklären, ob sie von der Option Gebrauch machen wollen oder nicht. (dpa/cgo)
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