Am 4. März entscheidet das Schweizer Volk über eine Volksinitiative, welche die Radio- und Fernsehgebühren abschaffen will. Die Initianten sind der Auffassung, dass der Medienmarkt ohne Gebühren freier und wettbewerbsfähiger wäre – mit Vorteilen für das Publikum.

Eine Analyse
von Armando Mombelli
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Armando Mombelli sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Regierung und Parlament lehnen die Initiative ab. Ihrer Meinung nach bedroht sie Qualität und Pluralität der Medien. Insbesondere in einem Land der direkten Demokratie stelle die Vorlage eine Gefahr für die freie Meinungsbildung dar.

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Einige Mitglieder der Jungfreisinnigen (FDP) und der Jungen SVP haben die so genannte No-Billag-Initiative lanciert. Die Kernforderung dieser Initiative besteht in der Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren. Diese werden im Auftrag des Bundes durch die Billag AG eingezogen.

Die Schweiz gegen "Zwangsgebühren"

Bei der Abstimmung geht es nicht um die Zukunft dieser Swisscom-Tochtergesellschaft, deren Mandat Ende 2018 abläuft. Zur Debatte steht die politische, soziale und kulturelle Rolle des öffentlich-rechtlichen Radios und Fernsehens, dessen Angebot zum überwiegenden Teil aus den Empfangsgebühren bestritten wird.

Nach Ansicht der Initianten sollte das Radio- und Fernsehangebot nur durch freie Marktkräfte reguliert werden. Den Konsumenten müsse es erlaubt sein, nur für Programme zu bezahlen, die sie effektiv nutzten.

Die "Zwangsgebühren" für Radio und Fernsehen müssten daher abgeschafft werden.

Für Regierung und Parlament sind die Gebühren hingegen unerlässlich, um dem ganzen Land ein qualitativ hochstehendes Radio- und Fernsehprogramm zu garantieren, das die Meinungsvielfalt spiegelt.

Die Gebühren seien als Beitrag zum Zusammenhalt des mehrsprachigen und multikulturellen Landes unverzichtbar.

Was verlangt die Initiative?

Die No-Billag-Initiative verlangt eine Änderung des Artikels 93 der Bundesverfassung (Radio und Fernsehen). Im Falle einer Annahme wäre es dem Bund untersagt, ab dem 1. Januar 2019 Gebühren zu erheben, sowohl direkt als auch über beauftragte Dritte.

Die Initiative verbietet zudem die Subvention von Radio- und Fernsehstationen durch den Bund. Ausserdem darf der Bund in Friedenszeiten keine eigenen Radio- und Fernsehstationen betreiben.

Auch in Zukunft bliebe jedoch die Gesetzgebung über Radio und Fernsehen sowie über andere Formen der öffentlichen fernmeldetechnischen Verbreitung von Darbietungen und Informationen eine Angelegenheit des Bundes.

Der Bund würde demnach regelmässig Konzessionen für Radio und Fernsehen versteigern. Die Finanzierung von Sendern hingegen kann laut Initiative einzig auf einer kommerziellen Basis im Rahmen der Marktwirtschaft erfolgen.

Zudem verlangt die Initiative, den Abschnitt 2 aus dem Artikel 93 zu streichen. Dieser beinhaltet heute die Aufgaben und Prinzipien des öffentlich-rechtlichen Radios und Fernsehens. Demnach

  • tragen Radio- und Fernsehen zur Bildung und kulturellen Entfaltung, zur freien Meinungsbildung und zur Unterhaltung bei;
  • berücksichtigen sie die Besonderheiten des Landes und die Bedürfnisse der Kantone;
  • stellen sie die Ereignisse sachgerecht dar und bringen die Vielfalt der Ansichten angemessen zum Ausdruck.

Welche Sender profitieren von den Empfangsgebühren?

Die Empfangsgebühren gehen an Radio- und Fernsehstationen, die den Verfassungsauftrag eines Service Public erfüllen. Eine entsprechende Konzession erhält seit den 1930er-Jahren die Schweizer Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG), zu der auch swissinfo.ch gehört.

Die SRG ist ein Verein mit Sitz in Bern und zugleich ein Non-Profit-Unternehmen. Die SRG betreibt 7 Fernsehkanäle und 17 Radiokanäle, welche die vier Sprach- und Kulturregionen der Schweiz abdecken.

Auf Grund ihres Mandats ist die SRG dazu verpflichtet, den Austausch und den Zusammenhalt zwischen den unterschiedlichen Landesteilen, Sprachen, Kulturen, Religionen und sozialen Gruppen zu fördern.

Seit den 1990er-Jahren erhalten auch private Sender, die einen öffentlichen Auftrag erfüllen, einen Teil der Gebührengelder. Zurzeit betrifft dies 13 regionale TV-Sender sowie 21 Lokalradios.

Gemäss Konzession müssen diese Sender regionale Informationssendungen zu den Hauptsendezeiten ausstrahlen. Sowohl die privaten Sender als auch die SRG-Kanäle müssen zudem wichtige Polizeimeldungen übermitteln, genauso wie offizielle Verlautbarungen in Krisenfällen.

Wie werden die Empfangsgebühren verteilt?

Im Jahr 2016 wurden rund 1,37 Milliarden Franken an Gebühren eingenommen. Der Löwenanteil (1,24 Milliarden) ging an die Finanzierung der SRG-Radio- und Fernsehprogramme (wie SRF, RTS, RSI), 67 Millionen Franken (5%) an die privaten Sender.

Im Oktober 2017 entschied der Bundesrat, dass der Anteil der Privaten ab 2019 auf 81 Millionen Franken erhöht wird (6%), während der Anteil für die SRG auf 1,20 Milliarden gekürzt wird.

Innerhalb der SRG werden die Gebühren auf solidarische Weise unter den Sprachregionen aufgeteilt, damit die Bevölkerung über ein qualitativ gleichwertiges Angebot in den unterschiedlichen Landesteilen und Sprachen verfügt.

Ein Drittel der Gebühren, die in der deutschen Schweiz eingenommen werden, kommt den anderen Sprachregionen zu Gute.

Zu welchem Anteil finanzieren die Empfangsgebühren die konzessionierten Radio- und Fernsehsender?

Der Werbemarkt ist in der Schweiz im Vergleich zu den Nachbarländern klein, zumal er auf vier Sprachregionen verteilt ist. Die Empfangsgebühren stellen daher die Haupteinnahmequelle für die konzessionierten Radio- und Fernsehstationen dar, welche einen Auftrag im Sinne des Service Public erfüllen.

Bei der SRG machen die Empfangsgebühren 75% der Einnahmen aus, bei den regionalen Fernsehsendern 53%, bei den nicht gewinnorientierten Lokalradiostationen 67%, 35% bei Lokalradiosendern in Berg- oder Randgebieten.

Die Aufhebung der Empfangsgebühren würde folglich das Programmangebot empfindlich einschränken und das Überleben dieser Sender bedrohen.

Welche Empfangsgebühren bezahlen Privathaushalte und gewerbliche Betriebe?

Zurzeit müssen Privathaushalte genau 451.20 Franken pro Jahr für die Radio- und Fernsehgebühren bezahlen. Dieser Betrag wird ab 2019 auf 365 Franken reduziert, wenn die vom Volk im Jahr 2015 gut geheissene Revision des Radio- und Fernsehgesetzes (RTVG) mit dem neuen Abgabesystem in Kraft tritt.

Für Unternehmen wird ein progressives Abgabesystem eingeführt, das vom Umsatz des jeweiligen Betriebs abhängt. Alle Gewerbebetriebe, die mit ihrem Umsatz unter einer halben Million Franken liegen, müssen keine Abgabe bezahlen.

Danach reicht die Schere von 365 Franken für Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als einer halben Million Franken bis zu 35‘590 Franken für Unternehmen mit mehr als einer Milliarde Franken Umsatz.

Welche Einschaltquoten erreicht das Radio und Fernsehen in der Schweiz?

Alle Sender in der Schweiz, sowohl die Service-Public-Anbieter als auch rein kommerzielle Anbieter, sind einer starken Konkurrenz aus dem Ausland ausgesetzt.

Für die drei grossen Schweizer Sprachregionen geht es um die Konkurrenz mit den direkten Nachbarländern, in denen jeweils die gleiche Sprache gesprochen wird (Deutschland, Frankreich, Italien).

Die ausländische Konkurrenz ist vor allem im TV-Markt stark, weil dieser für Werbezwecke besonders lukrativ ist. Bereits heute werden 42% des Gesamtwerbekuchens von ausländischen Sendern einkassiert.

Bei den Radios haben die SRG-Sender sowie private Stationen in der Schweiz nach wie vor eine klare Vormachtstellung gegenüber ausländischen Sendern.

Wie argumentieren die Befürworter der No-Billag-Initiative?

Für die Befürworter der No-Billag-Initiative stellen die Empfangsgebühren nichts anderes als "Zwangsgebühren" dar, welche die Entscheidungsfreiheit jedes Einzelnen einschränken.

Jeder sollte jedoch selbst entscheiden können, wie er sein Geld ausgeben möchte, egal ob für Medien, ein Buch oder andere Zwecke.

Gerade für einkommensschwache Familien stelle die Empfangsgebühr eine zu hohe Belastung dar. Auch für Unternehmen seien die Empfangsgebühren nicht zu rechtfertigen und zu hoch.

Bei einem Ja zur No-Billag-Initiative würde laut Initianten für die Schweizer Volkswirtschaft eine Kaufkraft von 1,3 Mrd. Franken pro Jahr freigesetzt, denn alle Haushalte hätten neu über 450 Franken pro Jahr zusätzlich für den Konsum zur Verfügung.

Ziel ist eine freiere SRG

Ohne Empfangsgebühren könnte eine freiere und unabhängigere SRG geschaffen werden. Die heutige Organisationsform führe dazu, dass die Radio- und Fernsehgesellschaft zu sehr vom Staat abhängig sei.

Denn der Bund erteile die Konzession, fixiere die Höhe der Empfangsgebühren und ernenne einen Teil der Mitglieder im SRG-Verwaltungsrat. Ohne Gebühren liessen sich die elektronischen Medien als vierte Gewalt im Staat stärken.

Laut den Befürwortern der Initiative wäre durch den Wegfall einer Empfangsgebühr der Medienmarkt stärker wettbewerbsorientiert, freier und gerechter. Und dies zum Vorteil der Konsumenten.

Die Konkurrenzsituation werde zu einer Qualitätssteigerung, Angebotserweiterung und Preissenkung beitragen. Die momentan marktbeherrschende Stellung der SRG verzerre den Markt und gehe zu Lasten der privaten Anbieter, die nur die Brosamen der Gebühreneinnahmen erhielten.

Die Befürworter der Initiative betonen, sie wollten die SRG nicht abschaffen, sondern einzig den Gebührenzwang. Dieser stellt ihrer Meinung nach ein Relikt aus vergangenen Zeiten dar.

Der Bund trage den technologischen Entwicklungen nicht genügend Rechnung. Das digitale Zeitalter erlaube es heute Konsumenten, zeitversetzt Sendungen zu sehen, sich Sender nach eigenem Geschmack und Wunsch auszusuchen oder per Internet zu abonnieren, wie beispielsweise Netflix.

Warum lehnt der Bundesrat die Initiative ab?

Nach Ansicht der Schweizer Regierung schadet die Initiative der Medienvielfalt und der Meinungsbildung. Viele Programme in der kleinräumigen Schweiz mit ihren vier Landessprachen könnten allein mit Werbung und Sponsoring nicht finanziert werden.

Eine Abschaffung der Gebühren ginge vorab zu Lasten der Sprachminderheiten und Randregionen, die keinen ausreichend grossen Werbemarkt hätten, um überhaupt noch Sender zu finanzieren.

Die konzessionierten Service-Public-Sender haben heute einen klar definierten Auftrag, der die Förderung einer freien Meinungsbildung, einer kulturelle Entwicklung in allen Sprachregionen unabhängig von ökonomischen und politischen Interessen beinhaltet.

All dies würde mit der Abschaffung der Gebühren auf Spiel gesetzt und zu einer Ausdünnung des Angebots führen, so die Regierung.

Im Gegenzug würde der Einfluss von privaten Geldgebern und ausländischen Konzernen erhöht, die rein kommerzielle Ziele verfolgten und das Angebot einzig am Geschmack der Mehrheit ausrichteten. Die Medienvielfalt sei somit bedroht.

Medienvielfalt von fundamentaler Bedeutung

Doch gerade diese Vielfalt sei für die Schweiz mit ihrer direkten Demokratie von fundamentaler Bedeutung.

Für die Schweizer Regierung hätte eine Annahme der Initiative zudem sehr negative Folgen für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt.

Tausende von Arbeitsplätzen dürften bei den Service-Public-Sendern und Zulieferbetrieben der audiovisuellen Branche verloren gehen.

Werbegelder dürften vermehrt ins Ausland abfliessen. Zudem müssten viele Privathaushalte für eine adäquate mediale Versorgung wohl tiefer in die Tasche greifen als heute.

Angebote von Pay-TV-Sendern seien, gerade im Sport, sehr teuer und nicht einmal in allen Landesregionen verfügbar.

Die SRG fördert heute Kultur- und Sportveranstaltungen. Ohne Empfangsgebühren kann auch diese Aufgabe nicht mehr erfüllt werden. So ist die SRG beispielsweise ein wichtiger Partner für die Filmindustrie, für musikalische Produktionen und Sportereignisse.

Diese Anlässe liessen sich kaum ausschliesslich durch Werbung und Sponsoren finanzieren. Ebenfalls auf dem Spiel stehen Sonderdienstleistungen der SRG, etwa für Seh- und Hörbehinderte, mit entsprechender Untertitelung oder Gebärdensprache.

Welche Haltung vertritt das Schweizer Parlament?

Die Mehrheit des Schweizer Parlaments unterstützt die Haltung des Bundesrats (Regierung). Demnach schwächt eine Annahme der Initiative die Medienlandschaft Schweiz und stellt eine Gefahr für den Zusammenhalt des Landes und die direkte Demokratie dar.

Der Nationalrat lehnte die Initiative mit 129 zu 33 Stimmen bei 32 Enthaltungen ab.

Noch deutlicher fiel das Verdikt im Ständerat aus. 41 Ständeräte sagten Nein zur Initiative, bei 2 Ja-Stimmen und einer Enthaltung.

Die Vorlage wurde fast ausschliesslich von Vertretern der Schweizerischen Volkspartei (SVP) gutgeheissen. Beide Kammern des Schweizer Parlaments lehnten zudem einen SVP-Vorstoss ab, welcher eine Halbierung der Empfangsgebühren forderte.

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