Cyberkriminalität, Terrorabwehr, organisierte Kriminalität. Das sind die grössten Themen, mit denen sich die Polizei auseinandersetzen muss. Während die Kriminellen immer besser ausgerüstet und hoch spezialisiert sind, ist die Polizei auf dem Stand des vergangenen Jahrhunderts stehen geblieben. Ulf Küch vom Bund Deutscher Kriminalbeamter schlägt Alarm.
Die deutsche Polizei ist auf die Herausforderungen der Polizeiarbeit im 21. Jahrhunderts nicht gut vorbereitet, sagt einer, der es wissen muss: Ulf Küch, Chef der Kriminalpolizei in Braunschweig und Sprecher des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK).
Was bei der Polizei im Argen liegt, zeigt er im Interview mit diesem Portal auf.
Herr Küch, ist die Polizei für die Aufgaben in der heutigen Zeit gerüstet?
Ulf Küch: Diese Frage muss man klar mit Nein beantworten. Die Polizei ist weder für die Anforderungen, die sich aus der Digitalisierung ergeben, noch von der Organisation her, gut aufgestellt,
Woran hapert es bei der Polizei?
Es fängt schon damit an, dass wir 16 verschiedene Länderpolizeien haben, eine Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und 16 verschieden Verfassungsschutzämter. Die murksen alle ohne klare gemeinsame Linie vor sich hin.
Was uns in Deutschland ausserdem fehlt, ist ein einheitliches Gefahrenabwehrrecht, mit dem alle Polizeien zum Beispiel bei der Terrorismusbekämpfung arbeiten können. Das wird angestrebt, es ist aber noch unklar, ob und wann es kommt.
Könnten Sie das genauer erklären?
Derzeit sieht es so aus, dass jede Polizei für sich arbeitet. Wenn zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen ein Behördenleiter eine Observation einer Person anordnet, die im Verdacht steht, schlimme Straftaten vorzubereiten, dann gilt diese Anordnung nur in Nordrhein-Westfalen.
Wechselt die Person das Bundesland, hört die Observation auf. Wohin das führt, sieht man im Fall Amri, dem Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt. Wir brauchen für solche Fälle eine einheitliche Regelung.
Wäre es eine Lösung, wenn zum Beispiel das BKA als zentrale Stelle diese Fälle übernehmen würde?
Das würde das BKA schon personell nicht alleine bewältigen können. Wir haben aber das GTAZ, das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum in Berlin. Das ist eine Kooperations- und Kommunikationsplattform von 40 Behörden der Inneren Sicherheit.
Es wäre ausreichend, wenn man dort verbindlich festlegen würde, welches Bundesland für einen erkannten Gefährder zuständig ist. Diese Person würde dann ausschliesslich von dort betreut und nicht immer an die nächste Polizei übergeben, wenn sie ein Bundesland wechselt. Das macht keinen Sinn im 21. Jahrhundert.
Wie sieht es bei der Ausstattung mit moderner Technik aus?
Im Bereich Technik ist das Hauptproblem, dass jede Landespolizei mit einem eigenen Vorgangsbearbeitungssystem arbeitet, das in der Regel nicht mit den anderen kompatibel ist.
So können die Hamburger nicht feststellen, was wir in Braunschweig machen und wir wissen nicht, was in Bayern passiert. Das ist ein durchgängiges Problem, weil jedes Bundesland versucht hat, sich ein eigenes optimales System zu schaffen, das alles kann.
Diese Systeme sind aus dem vorigen Jahrhundert und müssten modernisiert werden. Der Bund hat angedeutet, dass er das sogar bezahlen würde, aber da die Polizei Ländersache ist, müssten alle Landesinnenminister zustimmen. Ich bin gespannt, ob das klappt.
Offenbar ist der Föderalismus das Hauptproblem.
Ein übertriebener Föderalismus. Die föderale Struktur ist ein Relikt aus den Anfangsjahren der Bundesrepublik, da muss man überlegen, ob das noch zeitgemäss ist.
Für die gesamte Polizeiarbeit wäre es besser, wenn endlich alle Polizeien auf einen gemeinsamen technischen und organisatorischen Stand gebracht würden. Dann würde alles besser funktionieren.
Gut wäre es, wenn wir zu klaren Zuständigkeiten kämen, wie ich das beim GTAZ am Beispiel Terrorismusbekämpfung bereits erwähnt habe. Das gilt aber auch für Kriminalitätsbekämpfung.
Derzeit gehen die Bundesländer dabei sehr unterschiedlich vor. Wir vom Bund Deutscher Kriminalbeamter fordern seit langem, das für bestimmt Kriminalitätsphänomene feste Zuständigkeiten bei der Justiz und bei der Polizei geschaffen werden.
Es macht keinen Sinn, hinter osteuropäischen Einbrecherbanden von Bundesland zu Bundesland hinterherzulaufen. Das muss zentral gemacht werden, dann hat man am ehesten eine Chance, diesem Treiben Herr zu werden.
Ist das nicht auch ein europaweites Problem, dass Kriminelle über Ländergrenzen hinweg agieren?
Auf jeden Fall. Deutschland ist zum Beispiel der Rückzugsraum für die italienische Mafia, weil sie hier am wenigsten behelligt wird und in Ruhe ihr Geld waschen kann.
Deshalb gibt es bei uns auch nur wenige offene Straftaten aus diesem Milieu. Diese Banden und Organisationen wollen ja nicht auffallen. Aber ich versichere Ihnen, die sind da!
Gibt es eine EU-weite Zusammenarbeit für solche Fälle?
Da passiert so gut wie nichts, zumindest nichts Verbindliches. Eine alte Forderung des Bundes der Kriminalbeamten ist, eine europäische Staatsanwaltschaft zu schaffen.
Die könnte die Strafverfolgung auf EU-Ebene bündeln. Aber das ist sehr schwierig, weil die Staaten ihre justizielle Hoheit abgeben müssten. Und das wollen sie nicht.
Und Europol?
Das ist nur ein Papiertiger, der Daten sammelt. Das Problem ist schon, dass nur ganz wenig EU-Mitglieder dort aktiv mitmachen, ich glaube es sind lediglich vier. Und nicht einmal Frankreich ist dabei.
Von der EU müsste ein Signal gesetzt werden, damit die EU-Mitglieder einen Teil ihrer Souveränität abgeben. Denn die Kriminellen reisen ins nächste Land und begehen neue Straftaten, während wir uns noch mit der zuständigen Staatsanwaltschaft und dem BKA über das Vorgehen verständigen. Da kämpfen wir gegen Windmühlen.
Was ist mit Cyberkriminalität?
Ein grosses Thema. Im Netz wird sich künftig die Masse der Kriminalität abspielen. Schon heute haben wir Betrug, Drogen- und Waffenhandel, selbst Mordaufträge werden inzwischen über das Darknet, verborgene Teile des Internets, vergeben.
Um das unter Kontrolle zu bringen, brauchen wir gut ausgebildete Fachleute. Doch solche Internetexperten gehen lieber in die Wirtschaft, wo sie viel mehr verdienen.
Die Ausbildung müsste also verbessert werden?
Wir haben eine Einheitsausbildung, das ist aber völliger Unsinn. Wir brauchen Spezialisten für spezielle Aufgaben. Das haben die Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Berlin erkannt. Dort soll eine moderne, zukunftsorientierte Ausbildung geschaffen werden.
Es fehlt aber auch noch am Nachwuchs. Auf uns kommt eine riesige Pensionierungswelle zu. Wir werden Probleme haben, diese Stellen neu zu besetzen - erst recht, wenn, wie von der Politik angekündigt, neue Stellen geschaffen werden.
Wir haben Probleme geeignete Bewerber zu finden. In Niedersachsen wurden die Anforderungen, um sich bei der Polizei bewerben zu können, gesenkt. Wenn jemand Abitur hat, geht er nicht zur Polizei. Der sucht sich lieber einen Job auf dem freien Markt, um ordentlich verdienen zu können.
Bei der Polizei ist die Bezahlung viel zu niedrig und die Polizeilaufbahn bietet keine attraktiven Perspektiven. In München kann sich ein durchschnittlicher Polizist nicht mal eine Wohnung leisten. Damit lockt man keine jungen Leute an.
Was passiert, wenn sich daran nichts ändert?
In den nächsten Jahren wird sich dann die Polizei aus den ländlichen Gebieten zurückziehen müssen, weil wir unsere Aufgaben sonst nicht mehr bewältigen können.
Eine Möglichkeit ist noch eine Umstrukturierung, dass wir Aufgaben abgeben, wie Gefangenentransport oder Abschiebungen, das sind keine polizeilichen Aufgaben.
Was müsste noch geschehen, um die Lage zu verbessern?
Ganz wesentlich ist, dass die Länder bereit sind, Macht und Einfluss abzugeben, damit effektive Strukturen geschaffen werden können. Das ist eine politische Frage.
Dann können Struktur und Organisation der Polizei und auch des Verfassungsschutzes angepasst werden. Das Ziel sollte sein, so viele Straftaten und Gefahrensituationen zu verhindern, wie möglich. Daran sollte sich die Politik orientieren. Sonst wird sich auch in zehn Jahren nichts bewegen. Polizeilich haben wir noch immer Kleinstaaterei wie vor 100 Jahren. Aber mit dem Klein-Klein kommen wir heute nicht mehr weiter.
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