Der Asylstreit in der Union war von Beschimpfungen und persönlichen Attacken geprägt. Ist der raue Umgang Zeichen einer Verrohung in der Politik? Was steckt hinter den Beleidigungen und welche Folgen können sie haben?

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Horst Seehofer (CSU) will nicht von einer Kanzlerin entlassen werden, die "nur wegen ihm" Kanzlerin sei. Für den baden-württembergischen Agrarminister Peter Hauk (CDU) hat der CSU-Vorsitzende "einen Sparren weg".

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder lädt Angela Merkel für den Wahlkampf in seinem Bundesland aus. Und sein CSU-Kollege Alexander Dobrindt zündet immer wieder ein Provokationsfeuerwerk, spricht von einer deutschen "Anti-Abschiebe-Industrie" und einem "Zwergenaufstand" bei der SPD. Sind Beleidigungen salonfähig geworden?

Für Thomas Kliche, Politikpsychologe an der Hochschule Magdeburg-Stendal, sind Beleidigungen in der Politik nichts Neues. In den 1950er bis 1980er Jahren habe mitunter ein sehr rüder Umgangston im Bundestag geherrscht. Legendär waren etwa die Ausbrüche von Herbert Wehner (SPD) oder Franz-Josef Strauss (CSU).

Verbalattacken zum Austesten von Grenzen

"Franz-Josef Strauss hat Gegner als 'Ratten' und 'Schmeissfliegen' bezeichnet. Bei ihm im Bierzelt war das genau der Unterhaltungswert, den die halb betrunkenen Anhänger hören wollten", sagt Kliche im Gespräch mit unserer Redaktion.

"Wir haben seitdem dreissig Jahre Besserung politischer Sitten hinter uns. Jetzt schlägt das Pendel in die andere Richtung um."

Für den Politikpsychologen sind solche Verbalattacken von Politikern aber keine typischen Alltagsbeleidigungen, die meist spontan aus Wut geäussert werden. Stattdessen testeten die Politiker gezielt Grenzen aus.

Die Beleidigungen tauchten meist in zwei Situationen auf, sagt der Experte: Im Bierzelt sollen sie dem Gegner die Würde nehmen. Im öffentlichen Streit, zum Beispiel in Talkshows, sollen sie vor allem die eigene Unabhängigkeit und Stärke demonstrieren.

"Beleidigungen in der Politik sind hochgradig kalkuliert und wahrscheinlich auch oft vorher auf rechtliche Folgen geprüft", weiss Kliche.

Rechtspopulisten nutzen Hassreden als Waffe

Ein Grund für die Rückkehr der politischen Hassreden sei das Erstarken von rechtspopulistischen Bewegungen wie Pegida oder AfD. Deren Akteure setzen Demütigungen bewusst ein. "Der Rechtspopulismus hat den Genuss von bösartigen Gefühlen zum Prinzip gemacht", führt Kliche aus.

Laut dem Politikpsychologen geniessen es Anhänger von Rechtspopulisten, Gegnern wie Angela Merkel bei öffentlichen Auftritten Obszönitäten entgegenzubrüllen. AfD-Politiker wie Alexander Gauland oder Beatrix von Storch setzten ihre Attacken auf höherschwelliger Ebene an, etwa wenn sie Deutsche mit Migrationshintergrund ausgrenzten.

"Die Gefühle anderer zu verletzen, tritt hier als Akt der Selbstbefreiung auf", erklärt Kliche. "Es heisst: 'Das wird man doch noch sagen dürfen'."

Gleichzeitig würden Werte wie Rücksichtnahme oder Verantwortlichkeit für Menschen abgewertet. Bezeichnend dafür seien der verächtliche Gebrauch von Begriffen wie "Gutmenschen" und "political correctness".

Die Grundidee des Populismus beruhe darauf, die eigene Gruppe aufzuwerten und andere Gruppen wie "die Politiker" oder "die Fremden" herabzusetzen. In der Psychologie wird das als gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bezeichnet.

"Die kalkulierte politische Beleidigung hat vor allem die eigenen Anhänger als Zielgruppe. Was dort gut ankommt, zählt", betont Kliche. Der Experte hält wenig davon, solche Provokationen zu skandalisieren. "Dadurch wiederholt und propagiert man sie nur."

Bei Donald Trump haben Beleidigungen System

In den USA macht Präsident Donald Trump immer wieder durch besonders grobe Beleidigungen Schlagzeilen: Er teilt gegen andere Politiker ("unehrliche Hillary"), den ehemaligen FBI-Chef James Comey ("schwacher, unehrlicher Drecksack") oder ganze Länder ("Drecksloch-Länder") aus.

Bei Trump hat das Beleidigen System: "Er hat Beleidigungen zur gezielten Image- und Gefühlspolitik ausgebaut. Er hat seine Gegner gezielt stigmatisiert, ihnen jede berechtigte Teilhabe an der Welt abgesprochen", analysiert Kliche.

"Diese Botschaft ist leicht verständlich, gestattet seinen Anhängern die Äusserung von sonst verpönten Hassgefühlen und gibt ihnen das Gefühl, einer besonders tollen Gruppe anzugehören, die sich nichts von anderen vormachen lässt."

Zugleich sei der Hass auch direkte Machtausübung, weil er die Beleidigten einschüchtere. Damit ist Trump auch Vorbild für andere: "Trumps Erfolg hat die miesesten Politiker der Welt auf noch miesere Gedanken gebracht", urteilt Kliche.

Verroht nicht nur die Politik, sondern auch die Gesellschaft?

Im Internet sind heftige Beleidigungen bis hin zu Morddrohungen inzwischen an der Tagesordnung. Ist das gesellschaftliche Klima vergiftet? Haben die Menschen weniger Hemmungen? Oder bekommen wir davon heute nur mehr mit?

Politikpsychologe Kliche weist darauf hin, dass Menschen eher zur Schädigung ihrer Mitmenschen bereit seien, wenn sie diese nicht sähen. Eine unbekannte Person im Chat lässt sich leichter beleidigen als der unliebsame Nachbar, dem man täglich begegnet.

Zudem spielten im Internet auch rechtsextreme Trollfabriken eine Rolle, die andere zum systematischen Beleidigen animierten, sagt Kliche.

Hinzu komme ein gesellschaftlicher Wandel: Wurden früher die Menschen dazu angeleitet, sich in die Gesellschaft einzufügen und sich ihr zu unterwerfen, werde heute eine individuelle Lebensführung angestrebt.

Diese "hedonistischen Werte" können zu Rücksichtslosigkeit führen. Als Beispiele nennt Kliche, wenn keine Rettungsgassen gebildet werden oder Müll im Wald liegen gelassen wird, aber auch Steuerhinterziehung oder Versicherungsbetrügereien. "Es ist offen, wohin das führt, denn viele Menschen tun im Ehrenamt ja genau das Gegenteil: anderen helfen", erläutert der Experte.

Warum werden Menschen überhaupt ausfallend? "Grob gesagt: Beleidigung befriedigt die narzisstische Eitelkeit und soll Überlegenheit verdeutlichen", sagt Kliche. Wer das für sozial geduldet halte, aufgeregt oder impulsiv sei oder sich schlecht behandelt fühle, beleidige andere bereitwilliger.

Zum Abbau von Aggressionen dienten Beleidigungen jedoch nicht: "Lernpsychologisch gilt: Erfolgreiche Verhaltensmuster verstärken sich, auch aggressive", erklärt der Experte. "Eine Gruppe, die die Herabsetzung anderer als Norm zulässt, sorgt dafür, dass das regelmässig passiert und eingeübt wird, und dann eskalieren Konflikte eben."

Thomas Kliche ist Professor für Bildungsmanagement an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Politik- und Gesellschaftspsychologie gehört zu seinen Schwerpunkten.
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