Corona, Marathon und schlechte Organisation: Der Wahltag in Berlin im September 2021 war von Pannen überschattet. Das Abgeordnetenhaus wurde schon neu gewählt. Wer muss jetzt wann und wo erneut wählen?
Keine zwei Wochen vor Silvester hat angesichts des höchstrichterlichen Urteils zur Wiederholung der Bundestagswahl wohl so mancher - nicht nur in Berlin - Miss Sophie aus dem "Dinner for One" im Ohr: "The same procedure as every year", das gleiche Verfahren wie in jedem Jahr. Stand 2023 in der Bundeshauptstadt die erneute Wahl des Abgeordnetenhauses auf dem Programm, geht es nun am 11. Februar 2024 noch einmal um die Bundestagswahl von 2021 - bevor voraussichtlich 2025 dann wieder regulär das Bundesparlament in ganz Deutschland gewählt wird. Verwirrend? Dann der Reihe nach.
Was waren die Probleme?
Am 26. September 2021 - parallel zum Berlin-Marathon und inmitten der Corona-Pandemie - bildeten sich lange Warteschlangen vor Wahllokalen. Es gab zu wenige Wahlkabinen. Manche Stimmen wurden nach dem eigentlichen Wahlende um 18.00 Uhr abgegeben. Stimmzettel waren falsch oder fehlten gleich ganz. Die Wahl wurde teils um mehr als 100 Minuten unterbrochen. Den Bundestag wählten am Ende Minderjährige mit sowie Menschen, die aus anderen Gründen dazu nicht berechtigt waren.
Was passierte dann?
Der Bundestag beschloss am 10. November 2022 mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP - also den seit der Wahl regierenden Parteien -, dass die Wahl in mehr als 300 der 2256 Wahlbezirke der Hauptstadt sowie in über 100 Briefwahlbezirken wiederholt werden soll. Der Unionsfraktion war das zu wenig. Sie wollte zwar keine komplette Wiederholung, aber zumindest einen grösseren Umfang als vorgesehen - und reichte eine Wahlprüfungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Dieses überprüfte die Pannen und verkündete am Dienstag seine Entscheidung.
Wie lautet das Urteil?
Im Kern hat der Beschluss zwar Bestand. Doch im Detail befand der Zweite Senat in Karlsruhe, dass in wenigen Fällen keine Wiederholung nötig sei - wenn etwa "lediglich Wartezeiten von weniger als einer Stunde feststellbar waren". Hingegen bemängelten die Richterinnen und Richter Wahlfehler auch in 31 Wahlbezirken, die der Beschluss nicht umfasste, erklärten die Wahl dort für ungültig und ordneten eine Wiederholung an. Im Ergebnis muss nun in 455 von 2256 Wahlbezirken - also gut 20 Prozent - sowie den zugehörigen Briefwahlbezirken die Bundestagswahl 2021 erneut durchgeführt werden. (Az. 2 BvC 4/23)
Wann passiert das?
Laut Landeswahlleiter Stephan Bröchler am 11. Februar 2024.
Welche Folgen könnte die Wiederholungswahl haben?
Nach der Teilwiederholung wird das Ergebnis der Bundestagswahl 2021 insgesamt neu festgestellt - bundesweit. Kleinere Verschiebungen sind möglich. Eine Veränderung der Machtverhältnisse ist aber nicht zu erwarten. Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hat im Bundestag 417 von 736 Sitzen - und in ganz Berlin sind nur 29 Mandate zu vergeben. Aus dem Büro der Bundeswahlleiterin hiess es, laut Simulationsrechnungen könnte es nach jetzigen Umfragewerten eine Verschiebung von maximal zwei bis drei Mandaten geben.
Vor allem der Linken fiel nach dem Karlsruher Spruch ein Stein vom Herzen. Hätte die gesamte Bundestagswahl im Land Berlin flächendeckend wiederholt werden müssen, dann hätte die Linke eines ihrer beiden Berliner Direktmandate verlieren können. In dem Fall wären alle Abgeordneten aus dem Parlament geflogen, die 2021 bundesweit über Listen der Linken hineinkamen. Betroffen hätte dies auch die zehn Abgeordneten um Sahra Wagenknecht, die die Linke inzwischen verlassen haben. Das wird nun nicht passieren. Der Vorsprung der beiden direkt gewählten Linken-Abgeordneten Gesine Lötzsch und Gregor Gysi ist zu gross und die Teilwiederholung zu gering. Der frühere Fraktionschef Dietmar Bartsch sagte es so: "Mit dem Urteil ist klar, dass wir im Bundestag bleiben und unsere Aufgabe als soziale Opposition weiter wahrnehmen werden."
Kurioserweise könnten aber bei Stimmenverschiebungen und einer veränderten Wahlbeteiligung in Berlin andere Bundesländer berührt sein. Das hängt mit der bundesweiten Gewichtung der Stimmanteile der Parteien zusammen. Theoretisch ist es möglich, dass nach der Wahl ein Berliner Bundestagsabgeordneter sein Mandat verliert, aber jemand anderes aus einer anderen Region nachrückt. Denkbar ist nach Expertenangaben auch, dass sich das Parlament minimal verkleinert. Alles sei sehr komplex, hiess es aus dem Büro der Bundeswahlleiterin. Weiter spekulieren wolle man nicht.
Wie erfahren die Menschen in Berlin, ob sie erneut zur Wahl aufgerufen sind?
Die Karte mit den Wahlbezirken, in denen neu abgestimmt wird, gleicht einem Flickenteppich. Alle dort Wahlberechtigten erhalten einige Wochen zuvor Wahlbenachrichtigungen. Dort finden sich Infos zum Wahllokal und zur Möglichkeit einer Briefwahl. Wer per Brief wählen möchte, kann die Unterlagen beantragen und bekommt sie zugeschickt.
2021 waren in Berlin für den Bundestag rund 2,47 Millionen Menschen wahlberechtigt, die Wahlbeteiligung betrug 75,2 Prozent. Übrigens dürfen alle zum Zeitpunkt der Wiederholungswahl Berechtigten abstimmen und nicht nur diejenigen, die 2021 wahlberechtigt waren. Es handelt sich um mindestens 18-jährige Deutsche mit Hauptwohnsitz Berlin sowie bestimmte Deutsche, die im Ausland leben.
Welches Wahlrecht gilt bei der Wiederholungswahl?
Genau dasselbe, das auch im ersten Durchlauf 2021 galt. Das Bundesverfassungsgericht hat erst vor kurzem entschieden, dass die zugrundeliegende Wahlrechtsreform von 2020 verfassungskonform war. Inzwischen wurde das Wahlgesetz zwar noch einmal reformiert. Das wird aber nicht bei der Wiederholungswahl angewendet.
Wie waren die Ergebnisse der Bundestagswahl 2021 in Berlin?
Die Bundestagswahl in Berlin hatte - wie im Bund - die SPD gewonnen. Die Sozialdemokraten kamen auf 23,4 Prozent der Zweitstimmen, gefolgt von Grünen (22,4), CDU (15,9), Linken (11,4), FDP (9,1) und AfD (8,4). Von den zwölf Direktmandaten, die in der Hauptstadt zu vergeben sind, gewann die SPD vier, Grüne und CDU je drei und die Linke zwei. Rechnet man die Kandidaten hinzu, die darüber hinaus über Listen gewählt wurden, kamen insgesamt 29 Berliner Abgeordnete in den Bundestag. Nicht zuletzt wegen der veränderten politischen Grosswetterlage ist davon auszugehen, dass sich hier bei der teilweisen Wahlwiederholung am 11. Februar Änderungen ergeben.
Wurde die Wahl nicht längst wiederholt?
Nein. Infolge der Pannenwahl wurde lediglich jene zum Berliner Abgeordnetenhaus wiederholt. Der dortige Verfassungsgerichtshof hatte diese Wahl wegen "schwerer systemischer Mängel" und zahlreicher Wahlfehler für ungültig erklärt. Am Ende löste eine schwarz-rote Koalition das Dreierbündnis von SPD, Grünen und Linken ab.
Warum wird die Bundestagswahl nur teilweise wiederholt?
Das Gericht betonte das Gebot des geringstmöglichen Eingriffs in den Bestand einer gewählten Volksvertretung. So seien nach Möglichkeit zunächst Wahlfehler zu berichtigen. Wenn das nicht geht - wie in diesem Fall wegen des Ausmasses - sei eine teilweise Wiederholung vorzuziehen, statt eine Wahl in Gänze für ungültig zu erklären.
Ferner erläuterte der Senat, dass es bei der Abgeordnetenhaus-Wahl Pannen gab wie die Verwendung kopierter Stimmzettel, die bei der Bundestagswahl nicht feststellbar seien. Vor allem aber sei der Verfassungsgerichtshof Berlin davon ausgegangen, dass die von ihm festgestellten Wahlfehler 88 von 147 Sitzen und damit 60 Prozent der Abgeordnetenhaus-Mitglieder betrafen. "Eine vergleichbare Situation ist für die Bundestagswahl nicht gegeben", heisst es im Urteil. (dpa/cgo)
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