• Der Skandal beim RBB, Manipulationsvorwürfe beim NDR – die Öffentlich-Rechtlichen geben zurzeit kein gutes Bild ab.
  • Auch in den vergangenen Jahren gab es immer wieder kleine und grössere Skandale.
  • Wir geben einen Überblick über die Aufreger der letzten Jahre und fragen einen Experten, was sich ändern muss.

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Eine saftige Gehaltserhöhung, ein überteuerter Umbau der Chefetage, die private Nutzung des Dienstwagens sowie der Verdacht der Vetternwirtschaft und abgerechneter Spesen für private Treffen: Die Liste der Skandale und Ungereimtheiten rund um die ehemalige ARD-Vorsitzende und RBB-Intendantin Patricia Schlesinger ist lang.

Kaum hatte Schlesinger ihren Hut genommen, kam bereits der nächste Aufreger. Diesmal aus dem Hause NDR. Führungskräfte des Senders sollen Einfluss auf die Berichterstattung genommen haben.

Die beiden Vorfälle sind lediglich die jüngsten in einer Reihe von Skandalen in den öffentlich-rechtlichen Sendern. Das zeigt der – längst nicht vollständige – Überblick:

Ein Autor, den es niemals gab: Die Drehbuchaffäre des NDR

Niklas Becker dürfte der aussergewöhnlichste Drehbuchautor in der Geschichte des NDR sein. Zwischen 2001 und 2009 hatte er vier Skripte bei dem öffentlich-rechtlichen Sender untergebracht. Das Problem: Niklas Becker existiert überhaupt nicht.

Tatsächlich hatte die frühere NDR-Fernsehfilmchefin Doris Heinze unter diesem Pseudonym Drehbücher ihres Mannes Claus Strobel kaufen und produzieren lassen. Die TV-Produzentin Heike Richter-Kaarst soll die Bücher abgenommen haben – ungelesen wohlgemerkt! Zwei weitere Drehbücher jubelte Heinze dem NDR unter einem anderen Pseudonym unter, diesmal von ihr selbst verfasst.

Doch wie erklärte es sich, dass Niklas Becker niemals bei Meetings oder Konferenzen auftauchte? Heinze baute ein ganzes Lügengerüst um einen scheinbar kontaktscheuen Autor auf, der zurückgezogen lebt und das Licht der Öffentlichkeit meidet. Das ging so weit, dass sie sogar ganze E-Mail-Korrespondenzen fälschte.

Die Süddeutsche Zeitung deckte den Skandal trotzdem auf. Heinze und Strobel kamen vor Gericht. Das Ergebnis: Ein Jahr und zehn Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung.

Immer wieder Bernd das Brot: Millionenbetrug beim Kinderkanal

Bernd das Brot gilt als zwar depressiver, aber sicher nicht besonders gieriger Charakter. Und doch: Zwischen 2006 und 2010 tauchten beim MDR ungewöhnlich viele Rechnungen für die Produktion der Serie "Bernd das Brot" (und andere) auf. Tatsächlich handelte es sich um Scheinrechnungen. Entsprechende Leistungen hatte es nie gegeben.

Verantwortlich für den Betrug war ein Mitarbeiter des MDR, der Produktionsleiter Marco K. Seine massive Spielsucht und ein überteuerter Lebensstil waren der Auslöser. Insgesamt belief sich der Schaden auf 8,2 Millionen Euro.

Sechs Jahre und drei Monate bedeutete das für Marco K. Die Richterin des Landgerichts Erfurt kritisierte in ihrer Urteilsbegründung auch die fehlenden Kontrollen beim verantwortlichen Sender MDR. Der Betrugsfall sei vergleichbar "mit einem Alkoholiker, der als Barmann eingestellt werde und die alkoholischen Getränke kontrollieren solle."

Viel Sendezeit für Fussball in Halle: Der Schmiergeld-Skandal beim MDR

Halle an der Saale gilt nicht unbedingt als Fussball-Mekka. Und doch wurde im Jahr 2004 ein eher unbedeutendes Turnier in der Stadt ausführlich im MDR übertragen. Dafür hatte sich der Sportchef des MDR, Wilfried Mohren, fürstlich bezahlen lassen.

100.000 Euro soll Mohren von Hans-Ludwig Grüschow, dem Vorstandsvorsitzenden der Techem AG erhalten haben. Dafür war das Logo des Turniersponsors auffällig oft im Bild. Und dieser Sponsor war die Techem AG.

Mohren wurde wegen Vorteilsannahme, Steuerhinterziehung und Betrug zu einem Jahr und elf Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Dazu kam eine Geldstrafe in Höhe von 8.250 Euro.

Ein Herz für Randsportarten: Der Fall Jürgen Emig

Fussball ist in Deutschland die klare Nr. 1 unter den Sportarten. Daran wird sich wohl auch nichts ändern. Doch mit entsprechend attraktiver Medienpräsentation können auch Randsportarten viele Fans gewinnen. Diese Erkenntnis machte Jürgen Emig in den 1990er Jahren, als er kommentierte, wie Jan Ullrich zum Tour-de-France-Sieg fuhr.

Warum also nicht anderen Randsportarten – wie etwa Tanzen oder Triathlon – eine Plattform bieten? Vorausgesetzt, die Sportveranstalter beteiligen sich finanziell an der Produktion. Diese Art von Bestechung ging als "System Emig" in die Geschichte ein. Doch Emig – Sportchef des Hessischen Rundfunks – trieb das Ganze noch weiter. Er leitete Teile der Schmiergelder direkt in seine eigene Tasche um.

Die Hessische/Niedersächsische Allgemeine deckte den Skandal schliesslich auf. Das Landgericht Frankfurt am Main verurteilte Emig wegen Bestechlichkeit, Beihilfe zur Bestechung und Untreue zu zwei Jahren und acht Monaten Haft. Dabei sprach der Richter von einem "dreisten Vorgehen" und "ziemlich viel krimineller Energie".

Andrea Kiewel und Schleichwerbung? Natürlich nicht!

Andrea Kiewel hat sieben Kilo abgenommen. Das erzählt sie voller Stolz in der Talkshow von Johannes B. Kerner im Januar 2007. Dabei wird sie nicht müde zu betonen, dass sie diesen Erfolg mit der Methode von Weight Watchers erreicht hat. Der Markenname fällt so oft, dass Kerner im Scherz nachfragt, ob sie dafür bezahlt werde. "Natürlich nicht", antwortet Kiewel empört.

Was Kerner nicht ahnt: Mit seinem Scherz hat er wohl voll ins Schwarze getroffen. Denn wie das Magazin "Der Spiegel" berichtete, hat Kiewel einen Vertrag mit einer PR-Firma geschlossen. Darin sei eine Sonderzahlung vereinbart, sollte sie es schaffen, die Marke "Weight Watchers" in besonders attraktiven Formaten zu platzieren. Zu diesen Formaten gehört auch die Show von Johannes B. Kerner.

Das ZDF reagiert prompt und stellt Kiewel frei. Der Fernsehgarten muss ohne sie auskommen – wenn auch nur vorübergehend. Seit 2009 ist sie wieder in dem beliebten Format zu sehen.

Ein Experte nimmt Stellung: Das muss sich bei den Öffentlich-Rechtlichen ändern

Ist es ein Zufall, dass gerade die Öffentlich-Rechtlichen immer wieder von Skandalen gebeutelt werden? Die neuesten Vorgänge bei RBB und NDR sind auf jeden Fall Wasser auf die Mühlen all jener, die das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kritisieren.

Steffen Grimberg vom Deutschen Journalistenverband sieht dagegen eine Chance für einen Neuanfang. "Jetzt findet eine Diskussion statt, die schon lange fällig war", sagte Grimberg im Gespräch mit unserer Redaktion. Um wirklich Änderungen zu erreichen, müssten allerdings die "heissen Eisen" angefasst werden, so Grimberg.
Welche diese heisse Eisen sind? Grimberg nennt drei Punkte: Zuerst sei da die Frage, ob die Intendantenverfassung im Öffentlich-Rechtlichen noch zeitgemäss sei, ob es nur "einen Herrscher geben soll, der über allem schwebt", so Grimberg. "Jede Aktiengesellschaft hat einen Vorstand, wo die Verantwortung kollektiver verteilt ist."
Als zweites nennt er die Rolle von freien und festangestellten Journalisten. "Ohne die Freien gäbe es kein Programm. Da kann man schon fragen, sind die Anstalten richtig aufgestellt."

Schliesslich sei da die Frage der Transparenz: "Es sind öffentliche Anstalten", erklärt Grimberg. "Da ist für mich alles erstmal öffentlich, was nicht die Persönlichkeitsrechte berührt."

Skandale bei den Öffentlich-Rechtlichen: Hat der Verwaltungsrat versagt?

Grimberg nimmt jedoch auch die bestehenden Mechanismen ins Visier und hinterfragt zum Beispiel die Rolle des Verwaltungsrates. "Wenn dieses Gremium schon nicht öffentlich tagt, könnte es dann nicht mehr berichten? Ich bin der festen Überzeugung, wenn es das schon gegeben hätte, dann hätte man vielleicht früher nachgefragt", sagt Grimberg mit Bezug auf den RBB-Skandal. "Beim RBB hat vieles nicht funktioniert, weil Dinge unter dem Deckel gehalten wurden, sodass man schlicht nichts mitbekommen hat."

Grimberg fordert ein Umdenken beim Rollenverständnis des Verwaltungsrates. "Bislang verstehen sich die Gremienvertreter als ‘Mitspieler‘ im eigenen Haus und weniger als distanzierte Instanz, die eine scharfe Kontrollfunktion ausübt."

Die Zweifel, die am System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks generell aufkommen, lässt Grimberg nicht gelten. Es sei wichtiger denn je, deutlich zu machen, wofür die Öffentlich-Rechtlichen eigentlich da seien, so Grimberg.

"Es sollte viel mehr erklärt werden", sagt der Journalistenvertreter. "Zum Beispiel über die Art und Weise, wie gearbeitet wird. Warum eine Geschichte mit Absender Öffentlich-Rechtliche anders zu bewerten ist, als irgendwas, was bei Facebook in die Timeline reingespült wird, wo man nicht weiss, was denn die Quelle ist."
Jetzt sei es wichtig, Vertrauen zurückzugewinnen und die Stellung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Gesellschaft zu stärken.

Über den Experten:

Steffen Grimberg ist Vorsitzender des DJV Berlin-Journalistenverband Berlin-Brandenburg.

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Steffen Grimberg
  • ndr.de: Abgründe - Der Fall Heinze im NDR
  • sueddeutsche.de: Prozess um NDR-Drehbuch-Affäre: "Frau Heinze hat Karrieren gemacht"
  • tagesspiegel.de: Millionenbetrug beim MDR: Berliner Geschäftsführer im Kika-Skandal verurteilt
  • faz.net: Kika-Betrugsskandal : 8,2 Millionen Euro hinterzogen
  • spiegel.de: ARD-Sportjournalist Wilfried Mohren zu Bewährungsstrafe verurteilt
  • sueddeutsche.de: Schmiergeld-Affäre: Ex-Sportchef Emig wieder in Haft
  • tvtoday.de: Jürgen Emig: Vom Sonnyboy zur Skandalfigur
  • spiegel.de: PR-Vertrag ZDF-Moderatorin machte Schleichwerbung für Weight Watchers
  • ZDF: Kerner vom 23. Januar 2007
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