Inmitten von Krisen und Kriegen sollte die Münchner Sicherheitskonferenz eine Botschaft der Hoffnung finden. Doch dann brach die brutale Realität über die Teilnehmerinnen und Teilnehmer herein. Der sogenannte Westen zeigte sich in München mal entschlossen, mal ratlos – aber auch: lernbereit.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabian Busch sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Der Begriff ist am Ende etwas abgenutzt. Doch Christoph Heusgen hat das inoffizielle Motto selbst ausgegeben. Es fällt bei fast jeder Rede, in fast jeder Gesprächsrunde: Die Münchner Sicherheitskonferenz solle nach einem Silberstreifen am Horizont suchen, hat der Vorsitzende Heusgen gesagt. Gesucht werden Zeichen der Hoffnung angesichts einer Weltlage, bei der man vor lauter Krisen und Kriegen nicht mehr weiss, wo einem der Kopf steht.

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Doch um im Bild zu bleiben: Die Suche nach Silberstreifen fällt schwer, wenn die Realität ihre dunklen Wolken schickt.

Vieles dreht sich um einen Abwesenden

Das wichtigste Gipfeltreffen der internationalen Sicherheit hat am Freitag kaum begonnen, als die Nachricht aus Russland für einen kollektiven Schock sorgt. Dort hat die Regierung den Oppositionellen Alexej Nawalny für tot erklärt. Gestorben in Isolationshaft in Nordsibirien.

Nawalnys Frau Julija Nawalnaja ist an diesem Tag zufällig auf der Sicherheitskonferenz. So angespannt und kontrolliert, dass es einem beim Zusehen wehtut, tritt sie am Mittag ans Rednerpult. Ihr Mann hätte gewollt, dass sie hier spricht, sagt sie. Der russische Präsident Wladimir Putin und seine Regierung würden sich letztlich verantworten müssen. "Für das, was sie unserem Land angetan haben, meiner Familie und meinem Mann. Und dieser Tag wird bald kommen."

Viele hier glauben nicht an einen Zufall. Eher an das grausame Grusswort von jemandem, der nicht eingeladen war. Die russische Regierung sei verantwortlich für Nawalnys Tod, sagt US-Vizepräsidentin Kamala Harris.

Ob es sein bewusstes Ziel war oder nicht: Putin ist der grosse Abwesende, um den sich in München doch vieles dreht. Mehr auf jeden Fall als um Donald Trump und seine Zweifel an der Nato, mehr als um die Lage im Nahen Osten.

Wanken zwischen Entschlossenheit und Ohnmacht

Die Gäste der Münchner Sicherheitskonferenz kommen aus aller Welt, aber die Konferenz war und ist vor allem ein Ort der Selbstvergewisserung des sogenannten Westens: der Industrieländer in Europa und Nordamerika, zu denen inzwischen auch Osteuropa gehört.

Vor 60 Jahren kamen Politiker, Diplomaten und Experten (damals noch in übergrosser Mehrheit Männer) erstmals im gelassenen Pomp der Münchner Innenstadt zusammen. In sechs Jahrzehnten hat die Konferenz die Zuspitzung und dann das Ende des Kalten Kriegs begleitet. Jetzt führt Russland wieder einen heissen Krieg gegen die Ukraine – und der Westen schwankt zwischen Entschlossenheit in der Theorie und Ohnmacht angesichts der Realität.

Die zweite dunkle Wolke erreicht die Konferenz am Samstagmorgen. Die Ukraine hat in der Nacht bekannt gegeben, dass sie sich aus der seit Monaten umkämpften Stadt Awdijiwka zurückzieht. Es gehe um die Leben der Soldaten, sagt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei seinem Auftritt in München.

Selenskyj betont seine Dankbarkeit für die Unterstützung im Abwehrkampf gegen Russland. Doch er weiss am besten, dass die zig Milliarden Euro aus dem Westen die russische Armee gegenwärtig kaum aufhalten. Und es schwingt eine gewisse Müdigkeit mit, als er sagt: "Fragt die Ukraine nicht, wann der Krieg vorbei ist. Fragt euch selbst, warum Putin ihn immer noch weiterführen kann."

Ein Kopfstoss aus Dänemark

Bundeskanzler Olaf Scholz verweist am Samstag auf die sieben Milliarden Euro, mit denen Deutschland die Ukraine in diesem Jahr militärisch unterstützt. Russland habe noch kein einziges Kriegsziel erreicht, sagt er. Konferenz-Chef Heusgen lobt zum Abschluss die Entschlossenheit des Westens. Sie gehört zu den Silberstreifen, die er gefunden hat. Doch diese Beschwörungen verlieren ihre Schlagkraft, wenn Russland trotzdem keinerlei Anstalten macht, bei seinem Krieg nachzulassen.

"Das ist eine nette Konferenz hier, vielen Dank dafür. Aber wir brauchen nicht noch mehr Worte."

Mette Frederiksen

Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen verpasst ihren Kollegen am Samstagnachmittag daher einen verbalen Kopfstoss. Sie pocht auf mehr und schnellere Militärhilfen. "Was wir bis jetzt geliefert haben, wird den Krieg nicht beenden", sagt die Sozialdemokratin. "Das ist eine nette Konferenz hier, vielen Dank dafür. Aber wir brauchen nicht noch mehr Worte."

Allerdings können sich auch die Herren und Damen im Bayerischen Hof nicht von der Stimmung in ihren Gesellschaften lösen. Deren Zerrissenheit lässt sich in München in direkter Nähe der Konferenz betrachten: Auf dem Odeonsplatz fordern Demonstrierende mehr Unterstützung für die Ukraine. Nur wenig Hundert Meter entfernt, auf dem Karlsplatz, findet eine Kundgebung "gegen die Nato-Kriegstagung" statt.

In Russland wären solche Demonstrationen wohlgemerkt kaum möglich. Bundesaussenministerin Annalena Baerbock will das Ringen des Westens mit sich selbst daher positiv deuten. "Es ist eine Stärke der Demokratie, dass wir uns selbst immer wieder hinterfragen", sagt sie bei einer Diskussion mit ihren Kollegen aus den USA und Indien.

Charme-Offensive gegenüber dem globalen Süden

Es ist auch eine Stärke der Demokratie, dass sie dazulernen kann. Auch das lässt sich in München studieren. Viele Rednerinnen und Redner umschmeicheln geradezu den globalen Süden, also die Staaten in Afrika, Asien und Lateinamerika. Viele von ihnen grenzen sich nicht so stark von Russland ab oder verurteilen die Hamas-Attacke auf Israel nicht so deutlich, wie es Europa und die USA gerne hätten. Auch eine Quittung für Fehlentscheidungen und Doppelmoral in der Vergangenheit.

Zu oft hat der Westen Demokratie und Zusammenarbeit eingefordert und dann selbst eigenmächtig gehandelt oder nach Interventionen Chaos hinterlassen. Im Irak, in Libyen oder Afghanistan.

Jetzt ist klar: Man ist aufeinander angewiesen. "Die Länder im globalen Süden bestimmen zu einem beträchtlichen Teil das 21. Jahrhundert. Sie formen unsere Realität in Europa, den USA und anderswo", sagt Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius. Für eine engere Zusammenarbeit müsse man "runter vom hohen Ross".

Nach der Konferenz ist vor der Konferenz

Am Sonntagmorgen lädt ein Mann zur Pressekonferenz ein, der viel Erfahrung gesammelt und eine grosse Aufgabe erst noch vor sich hat. Alexander Stubb wurde gerade zum neuen Präsidenten Finnlands gewählt. Der Konservative und Marathonläufer war zuvor Aussen- und Finanzminister sowie Ministerpräsident seines Landes und hat 2008 in Russlands Krieg gegen Georgien vermittelt.

Die Kriege in der Ukraine und in Gaza seien ein Grund für Pessimismus, räumt Stubb ein. Doch er sieht doch auch so etwas wie einen Silberstreifen. Die Diskussionen auf der Sicherheitskonferenz seien sehr lösungsorientiert gewesen. Im März oder April soll zudem der nächste Gipfel stattfinden. Die Ukraine will gemeinsam mit der Schweiz einen Friedensgipfel ausrichten. Wohlgemerkt wieder mit einer Leerstelle und einem grossen Abwesenden: ohne Russland und damit ohne die derzeit dominante Kriegspartei.

"Irgendwann wird Frieden herrschen. Aber wir wissen nicht, wann das sein wird."

Alexander Stubb

Stubb hofft trotzdem auf eine bedeutungsvolle Konferenz. Er setzt unter anderem – da ist er wieder – auf die Teilnahme des globalen Südens. Länder wie China, Indien, Saudi-Arabien, Brasilien und Südafrika sollen sich einbringen in die Suche nach Lösungen.

Der zukünftige finnische Präsident sagt am Ende einen Satz, der zu dieser Konferenz passt, weil er ihren Anspruch und doch auch ein Stück Ratlosigkeit widerspiegelt: "Irgendwann wird Frieden herrschen. Aber wir wissen nicht, wann das sein wird."

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